#442 vom 27.06.2005
Rubrik Feature
Elvis Costello im Interview, Teil 1
Peter Gruner [pg]: Sie haben sich im Laufe ihrer Karriere mit den verschiedensten Musikstilen auseinandergesetzt, doch sie kehren immer wieder zurück zu Rhythm&Blues, Rock'n'Roll und Country. Was ist ihre Beziehung zu amerikanischer Musik?
Elvis Costello: Rock'n'Roll gehört zu der Musik, von der ich als erstes dachte, dass sie zu mir gehört. Als Kind hörte ich viel Musik. Ich hörte die Musik, die mein Vater spielte und sang. Ich denke man beginnt mit etwas und egal wohin es einen führt, liegt da noch immer eine große Kraft in dieser ersten Idee. Aber diese Idee verändert sich aufgrund der Erfahrungen die man als Performer und Schreiber sammelt, ebenso wie die meiner Bandkollegen. Ich denke, dass Rhythm&Blues, Rock'n'Roll oder Country – oder eben alle Stile mit denen meine Songs identifiziert werden – sich beständig erneuern. Jedesmal wenn man auf diese Formen zurückgreift, steht man an einem anderen Punkt seines Lebens und hat etwas anderes zu sagen.
[pg]: Einige der Songs auf ihrem neuesten Album "The Delivery Man" sind durch eine Art Geschichte miteinander verbunden...
Elvis Costello: Ja, da läuft ein Erzählstrang durch, aber ohne konventionellen Anfang und Ende. Die meisten Bücher und Filme erzählen Geschichten in Sequenzen. Die Leute sind clever genug das zu verstehen, sie wissen, wie Geschichten erzählt werden. Wenn man sich den Titelsong anhört, hat man schon den Großteil der Geschichte. Die anderen Songs hängen dann vom Standpunkt der jeweiligen Charaktere ab. Ich wollte es lieber der Vorstellungskraft der Hörer überlassen, die Verbindungen zwischen den Songs herzustellen, als alles zu erzählen. Denn wenn ich alles über diese Leute erzählen würde und keinen Platz ließe für die Version der Hörer, dann bräuchte man die Platte nicht öfter als einmal hören, weil man dann die Geschichte kennen würde (lacht). Das Interessante daran ist ja, Verbindungen herzustellen. Jeder stellt andere Verbindungen her, schließlich erfährt jeder die gleichen Dinge auf seine eigene, einzigartige Weise. Ich denke, die meisten Leute kennen eine Person wie Vivien, die mit ihrem Liebesleben prahlt und man findet darin eine gewisse Traurigkeit. Ich denke, die meisten treffen so eine Person irgendwann in ihrem Leben. Sogar als Kind trifft man Leute, die mit Erfahrungen angeben, die man selbst nie hatte, und vielleicht ist da etwas essenziell unaufrichtiges an Vivien. Jeder kennt wohl auch jemanden wie Geraldine, die einem erzählt, dass alles ideal ist in ihrem Leben, obwohl es offensichtlich ist, dass das nicht stimmt. Ich habe versucht diese Dinge allgemeingültig zu machen, indem ich Charaktere geschaffen habe, anstatt in der ersten Person zu singen.
[pg]: Das unterscheidet ihre neuen Songs von den alten, in denen sie ja viel in der ersten Person gesungen haben.
Elvis Costello: Oh, ich habe schon immer Charaktere erfunden um die Perspektive zu ändern. In meinen früheren Songs habe ich oft in der Mitte eines Songs von der ersten zur dritten Person gewechselt, um Dinge zu verkleiden, die sehr schmerzhaft waren für mich. Mit den Jahren ist es mir dann leichter gefallen, direkter zu sein, ohne mich hinter sprachlichen Verkleidungen zu verstecken. Da gibt es natürlich einen emotionalen Widerwillen in einigen meiner früheren Songs. Obwohl die Musik manchmal sehr kraftvoll ist, sind die Texte schwer zu entschlüsseln, sogar in Englisch. Deswegen finde ich, dass die Menschen, die in einer zweiten Sprache wenigsten versuchen zu verstehen, was ich sagen will, mir einen großen Gefallen tun.
[pg]: Stimmt, das ist manchmal schon recht schwer...
Elvis Costello: Wissen Sie, ich habe keine Angst umgangssprachliche Ausdrücke zu verwenden, die keine Entsprechung im Deutschen oder irgendeiner anderen Sprache haben. Es ist seltsam für mich, dass mein Album "North" in Deutschland weitaus mehr Akzeptanz gefunden hat als in England. Für mein Gefühl ist das mein emotional direktestes, am wenigsten rätselhaftes, textlich am wenigsten konstruiertes Album. Was gesagt wird, mag vom persönlichen Standpunkt des Hörers vielleicht nicht interessant sein, aber es ist eine sehr intime, sehr konzentrierte Platte, die sich dem Hörer nicht durch Lautstärke aufdrängt. Ich war von der positiven Reaktion sehr überrascht, als ich die Songs in Deutschland spielte – verglichen mit dem Misstrauen, das mir in den Besprechungen in meinem eigenen Land entgegenschlug. Wenn man schreibt, wird man immer wieder überrascht, was die Songs mit der Vorstellung der Hörer anstellen. Und zweifellos bleiben, bei allem was wir als Menschen teilen, genug kulturelle Differenzen in der Welt bestehen – und mögen sie lange bestehen, sonst wird's ziemlich langweilig – sodass man überall unterschiedlich wahrgenommen wird. Ich glaube ich hatte früher keine nennenswerten Erfolge in Deutschland, aber jetzt entdecken die Leute meine Songs im Nachhinein. In Großbritannien hatte ich schon recht bald großen Erfolg und bis zu einem gewissen Grad hat das meine Karriere etwas aus der Bahn geworfen. Das englische Publikum hat einen gewissen Hang zur Nostalgie, der mir nicht behagt. Ich habe wenig Ambitionen, nach diesem Sommer nochmal nach England zurückzukehren, denn es gibt genug Länder auf der Welt, auf die ich mich wirklich freue.
[pg]: Sind die Publikumsreaktionen in den verschiedenen Ländern so verschieden?
Elvis Costello: Oh ja, da gibt es große Unterschiede. In den USA sind viel mehr junge Leute im Publikum, da die Leute immer neugieriger werden, ältere Künstler kennenzulernen, über die sie gelesen haben. Und die Bands, die sie mögen, erwähnen meinen Namen, weil das die Musik war, die sie gehört haben, als sie aufgewachsen sind, genauso wie ich mich auf die 'Small Faces' berufen habe. Und diese jungen Leute bringen eine ansteckende Energie mit, sodass selbst ein kleiner Anteil von ihnen für ein besseres Konzert sorgt. Die sind einfach weniger zynisch und weniger zurückhaltend in ihrer Reaktion und das putscht jeden anderen auch auf. Es begeistert einen einfach selbst, wenn man für ein begeistertes Publikum spielt. Ich bin den Leuten schon dankbar, die mir von Beginn an folgen, aber es hat einfach nicht die gleiche Energie wie in den USA oder in Europa.
[pg]: Was hat sie daran gereizt das Ochesterwerk "Il Sogno" zu schreiben? War das ihre Liebe zu klassischer Musik oder mehr der Reiz, etwas absolut Neues auszuprobieren?
Elvis Costello: Ich habe keine Reputation als Komponist für Orchester und ich glaube nicht, dass der Choreograph Mauro Bigonzetti und sein Team wussten, dass ich während der vergangenen zehn Jahre tatsächlich schon Arrangements für Orchester geschrieben hatte. Ich hatte also diesbezüglich schon ein bisschen Erfahrung gesammelt. Es ist aber ganz was anderes, einen Song zu arrangieren als ein komplettes Orchesterwerk zu schreiben. Wenn man einen Song wie "Almost Blue" arrangiert, dann kennen den die Leute schon und haben schon eine Meinung dazu. Das Orchester-Arrangement ist dann nur eine andere Art, ihn zu präsentieren. Es ist etwas ganz anderes, ein brandneues Stück Musik zu schreiben, das keine Worte hat, außer den Ideen die Shakespeare hatte, aber es gibt keine Worte, die ich mir ausgedacht hätte und Worte sind mindestens 50 Prozent wofür ich bekannt bin. Sie gingen also ein großes Risiko mit mir ein und ich muss ihnen dafür meine Anerkennung aussprechen und ich hoffe ich habe die Erwartungen erfüllt.
[Teil 2 folgt in der nächsten Ausgabe: Elvis Costello im Interview, Teil 2]
(Auszugsweise Erstveröffentlichung in den Nürnberger Nachrichten) [pg]
<#373: Elvis Costello "Singles, Volume 1-3"> [um:Â @@@@]
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