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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #601 vom 06.10.2008
Rubrik Kolumne

Sal's Prog Corner #74

Grenzgänger (Cog, Eatliz) und elektronische Avantgarde (Richard Barbieri, Tuner), dazu das Comeback eines alten Recken (Keith Emerson): Die 74. Ausgabe der Prog Corner zeigt sich mal wieder abwechslungsreich. Keine weiteren Vorreden vonnöten: Keep on proggin'...
PS: Ein Nachtrag noch zur letzten Ausgabe: Die deutsche ProgMetal-Combo Sieges Even hat sich 'aufgrund interner Differenzen' überraschend aufgelöst. So schnell kann das gehen... [sal]


Richard Barbieri "Stranger Inside"

Elektronik – Richard Barbieris zweites Solo-Album
(CD; K-Scope)

Richard Barbieri gehört seit seiner Zeit bei Japan (in den 1980ern) zu den profiliertesten Keyboardern der Rockmusik, erst recht seitdem er bei Porcupine Tree mit seinem unverwechselbarem Sound die Tasten drückt. Obwohl Barbieri seit über 25 Jahren in der Szene für den guten Ton sorgt, ist "Stranger Inside" erst sein zweites Solo-Album. Der Vorgänger "Things Buried" erschien 2004 und blieb trotz exzellenter Kritiken fast unbemerkt, ein Schicksal, das "Stranger Inside" teilen könnte. Zum einen, weil Solo-Alben von Keyboardern nicht unbedingt den besten Leumund haben, zum anderen, weil Barbieris Musik hier nicht aufdringlich, nicht vordergründig daherkommt.
Dabei ist die Musik bei genauerem (und mehrmaligen) Hinhören alles andere als belanglos, entfaltet aber ihre Faszination nur dann, wenn man wirklich konzentriert (und mehrfach) zuhört: Der Brite mit dem italienischen Nachnamen lässt auf diesem Album in gewisser Weise seine musikalische Vergangenheit Revue passieren. Wohlgemerkt nicht notwendigerweise die Musik der Bands, in denen er spielt(e), sondern seinen Beitrag, quasi die Essenz des Barbieri-Sounds. So konzentriert ist das auf jeden Fall eine Entdeckung wert, gerade für Fans der beiden wichtigsten Bands in seiner Karriere, weil man den Unterbau besser begreift und auf Spurensuche gehen kann. [sal: @@@]


Cog "Sharing Space"

NuProg – NuMetal meets Progressive Rock
(CD; Superball)

Emphatischer Gesang, riffbetonte Gitarren, komplexe Rhythmen: Beim australischen Trio Cog wachsen Elemente des NuMetal mit Elementen des Progressive Rock zusammen. Das ist heutzutage nicht einmal ungewöhnlich: In letzter Zeit tauchen vermehrt blutjunge Bands auf, die sich gleichberechtigt und ohne Scheuklappen den unterschiedlichen Traditionen des Alternative Rock und des Progressive Rock verbunden fühlen. Was früher trennte, verbindet heute. Bands wie Tool waren da nur Vorreiter dieser neuen Stilrichtung (nennen wir sie mal »NuProg«) innerhalb des großen Sammelbeckens für komplexe Musik, das sich selbst das Etikett »Progressive Rock« verpasst hat.
Cog sind erfreulicherweise eine der interessanteren Formationen aus dem Sektor, zum einen, weil ihre Musik nicht so abgegriffen wirkt wie die vieler Mitstreiter (die eben wie 'Tool lite' klingen), zum anderen, weil der Wunsch nach musikalischer Entwicklung dem Album über weite Strecken anzumerken ist. Cog wollen nicht nur 'abrocken', sie wollen musikalisch überzeugen, sich profilieren. Das gelingt ihnen auf rund der Hälfte der Songs vorzüglich (namentlich im ersten Drittel des Albums, beim Titelstück und beim Finale "Problem Reaction Solution"), bei der anderen Häfte wird es dann doch zu gleichförmig.
Dennoch ein vielversprechendes Debüt-Album, das aufhorchen lässt und streckenweise sehr unterhaltsame Rockmusik komplexerer Art bietet. [sal: @@]


Keith Emerson Band "Keith Emerson Band"

Klassischer Prog – die Keith Emerson Band featuring Marc Bonilla
(CD, 2LP; Edel)

Über die Meriten des Rock-Dinosauriers Keith Emerson muss wohl nicht diskutiert werden: Als Keyboarder von The Nice und der Supergroup Emerson, Lake & Palmer schrieb er in den 1970er Jahren Rockgeschichte, meldete sich in den 1980er und 1990er Jahren immer wieder mit Filmmusiken zurück und legt jetzt, 14 Jahre nach dem sagenhaft miesen letzten ELP-Album "In The Hot Seat" (1994), sein erstes Album mit neuem Prog-Material vor. Und hoppla: Emerson erfindet das Rad nicht neu (im Gegenteil), steckt aber mal locker die ganzen Epigonen der RetroProg-Fraktion in die Tasche. Der 'Godfather of Prog Rock' (so das Promo-Sheet, wer verpasst denn solche Titel?) spielt mit einer exzellenten Band stilsicher ein Album ein, das alle Nachmacher nicht hinkriegen. Klar: Hier klingt es nicht nur nach "alten Zeiten", Emerson ist die Personifizierung der alten Zeiten.
Die wahre Überraschung sind aber nicht die altmodischen Keyboard-Orgien Emersons, sondern die frisch und locker aufspielende Band, allen voran Sänger Marc Bonilla (der im Untertitel des Band- und Album-Namens auftaucht), dessen an John Wetton erinnernde Stimme sich sehr gut in das Albumkonzept einfügt.
Je nach Gusto liegt das Album in der Bewertung zwischen 'solidem Handwerk' (was bei einem alten Haudegen irgendwie auch selbstverständlich ist) und 'erfreulicher Delikatesse', vor allem für Fans des alten ELP-Sounds. Wer darauf abfährt, ist mit diesem Album bestens bedient (viel besser als mit vielen späten ELP-Alben), besser als viele Solo-Alben anderer alter Haudegen ist es allemal, Respekt, Mr. Emerson. [sal: @@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Eatliz "Violently Delicate"

Avant/Pop/Alternative – 'Complicated Pop' aus Israel
(CD; Anova)

Israels Musikszene bleibt hierzulande (und anderswo) weitgehend unbeachtet (vielleicht mal abgesehen von einigen schillernden Auftritten beim Eurovision Song Contest), dabei hat das kleine Land am Mittelmeer an der schmerzhaften Nahtstelle zwischen Orient und Okzident eine erstaunlich vitale, hochklassige Szene zu bieten, die keine internationalen Vergleiche zu scheuen braucht.
Ein gutes Beispiel für die hohe Qualität zeitgenössischer israelischer Rockmusik ist das Tel Aviver Sextett Eatliz (zu Deutsch 'Schlachthaus') um die Sängerin Lee Triffon und Band-Kopf Guy Ben-Shitrit. Ihre bittersüßen Melodien, die sofort ins Ohr gehen, verbinden sie respektlos mit krummen Takten, Metal-Riffs, Gefühlsausbrüchen, funky Coolness und weiteren seltsamen Wendungen. Das Ergebnis, das Debüt-Album "Violently Delicate", ist eine der anspruchsvollsten und gleichzeitig unterhaltsamsten 'Pop'-Platten dieses Jahres. Endlich darf ich mal als Verfechter der hohen Schule der Rockmusik hemmungslos mitwippen, -summen und -singen: Eatliz stehen für Popmusik ohne Banalität, die Spaß macht. Sie selbst definieren es als 'Complicated Pop' und treffen damit den Nagel auf den Kopf.
Dies ist alles andere als eine Veröffentlichung für eine kleine, verschrobene Randgruppe von Prog-Nerds, sondern hat Niveau und gleichzeitig internationales Hitformat – wenn es denn noch eine intakte Kultur der Popmusik gäbe: Unbedingt reinhören oder am 10.10.2008 in Berlin live sehen! [sal: @@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Tuner "Pole"

Quelle: http://www.myspace.com/tunertunes

Avantgarde/Rock/ArtPop – Konzentrat aus Intelligenz, Kreativität und Avantgarde
(CD; Unsung)

Tuner sind das gemeinsame deutsch-amerikanische Projekt des (Touch-)Gitarristen Markus Reuter (Centrozoon) und des Drummers Pat Mastelotto (King Crimson). Wer den Output der Stammformationen der beiden Vollblutmusiker kennt, der weiß ungefähr in welch weitem Rahmen sich das zweite Album "Pole" bewegt.
War das Debüt-Album "Totem" 2005 noch deutlich experimenteller ausgefallen, so steckt in "Pole" zwar nicht minder Experimentelles, doch verpacken die beiden Musiker gemeinsam mit einem halben Dutzend Gästen und Sängern ihre avantgardistischen Ansätze deutlich geschickter als noch beim Debüt, das beileibe nicht schlecht war. Eingebettet in stark (poly-)rhythmisch ausgerichtete Kompositionen (Drums und Bassläufe vom Feinsten!) sind Songs mit geradezu hypnotischen Sequenzen entstanden. Diese wurden dann noch mit einer Fülle ungewöhnlicher Sounds (Mellotron, Theremin, Vibraphon, Violinen) und einer Vielzahl von Stimmen (gesungen und gesprochen) verziert.
Das Ergebnis braucht sich wirklich nicht hinter den gelungensten experimentellen ArtPop-Alben von Peter Gabriel (etwa "IV") oder David Sylvian ("Brilliant Trees", "Dead Bees On A Cake") zu verstecken und ist gelinde gesagt ein absolutes Highlight in der Diskografie der beiden Musiker.
Hierzulande ist das Album jetzt endlich beim spezialisierten Prog-Dealer erhältlich; (nicht nur) für King-Crimson-Fans (und für Centrozoon-Fans) ist dies mit großer Wahrscheinlichkeit das Album des Jahres. In den USA, wo "Pole" bereits letztes Jahr erschien, wurde das Album im Modern Drummer Magazine zu einem der besten 50 Prog-Alben aller Zeiten gewählt. [sal: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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