Hinweis: Ihr Browser unterstützt nicht alle grundlegenden Web-Standards, und deshalb sehen Sie diesen Hinweis und das Layout nur in Auszügen. Bitte verwenden Sie einen aktuelleren Browser.

Keine Anzeige
LogoSeit 1996: Aktuell und unabhängig!

[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #624 vom 06.04.2009
Rubrik Feature

Klassische Musik zur Osterzeit

Zum vierten Mal präsentiere ich an dieser Stelle zur anstehenden Karwoche eine Auswahl neu- und wiederveröffentlichter sakraler Musik zum Osterfest. Zum ersten Mal bleibt der "Übervater" der sakralen Musik, Johann Sebastian Bach, außen vor. Stattdessen gibt es Werke von seinem Vorläufer Heinrich Schütz (gleich zweimal sogar), seinem Sohn Carl Philipp Emanuel Bach, seinem "Konkurrenten" und Zeitgenossen Georg Friedrich Händel und dem bestenfalls nur mittelbar in seiner Tradition stehenden Franz Liszt. [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Heinrich Schütz / Ars Nova Copenhagen, Paul Hillier "Lukas-Passion"

Klassik РSch̦ne Neu-Aufnahme der Lukas-Passion
(CD; Da Capo)

Die "Historia des Leidens und Sterbens unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi nach dem Evangelisten St. Lukas" (SWV 480) von Heinrich Schütz (1585-1672) ist der zuerst fertiggestellte Teil der Choral-Trilogie und ist vermutlich 1663/64 entstanden, die Matthäus- und Johannes-Passion folgten kurz darauf 1665/66. Anders als die berühmten Passionen Bachs sind diese Passionen rein vokal. Eine vierte ihm früher zugeschriebene Markus-Passion stammt eigentlich von Marco Giuseppe Peranda (ca. 1625-1675). Es spricht vieles dafür, dass eine vierte Passion niemals geplant oder gar geschrieben wurde. Für die traditionellen Aufführungen der damaligen liturgischen Ordnung in Dresden, wo er am Hof als Kapellmeister wirkte, waren ohnehin nur drei Aufführungen in der Fastenzeit vorgesehen: am Passionssonntag, Palmsonntag und Karfreitag.
Das Kopenhagener Gesangsensemble Ars Nova unter der Leitung des Dirigenten Paul Hillier (ex-The Hilliard Ensemble) singt die Lukas-Passion sehr präzise in weichem, zurückhaltenden, ja frommen Ton mit auffallender Langsamkeit, die auf keinen Fall zu langsam, sondern absolut angemessen erscheint. Die beiden Haupt-Solisten, Johan Linderroth (Tenor) als Evangelist und Jakob Bloch Jespersen (Bass-Bariton), 'spielen' ihre Rolle sehr lebendig: Der Evangelist singt mit fast ungeduldiger Fassungslosigkeit über die tragischen Entwicklungen, Jesus ist hier ein tieftrauriger, um sein Schicksal wissender Protagonist. So bekommt man eine gute Vorstellung davon, wie 'pädagogisch' wohl sakrale Musik im tiefreligiösen Europa Mitte des 17. Jahrhunderts auf die Gläubigen gewirkt haben muss. [sal: @@@@]


Heinrich Schütz / Dresdner Kreuzchor, Martin Flämig "Matthäus-Passion"

Klassik – Die ganz andere Matthäus-Passion (1974)
(CD; Berlin Classics)

Die "Historia des Leidens und Sterbens unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi nach dem Evangelisten St. Matthäus" (SWV 479) von Heinrich Schütz (1585-1672) ist eine musikalische Umsetzung der Passionsgeschichte nach Matthäus (Mt 26,1-27,66), und wie alle Passionen von Schütz rein vokal. Der Bibeltext wird hauptsächlich vom Evangelisten (Peter Schreier, Tenor) vorgetragen; die wörtliche Reden werden von weiteren Solisten übernommen (sehr eindrucksvoll, Jesus: Hermann Christian Polster, Bass und Petrus: Hanns-Joachim Rotzsch, Tenor). Der Chor übernimmt den Part des Volkes und bekräftigt wichtige Wendepunkte in der Handlung.
Anders als bei instrumentalen Aufnahmen Alter Musik aus der Zeit, in der man sich um historisch-informierte Aufführungen keine Gedanken machte, ist diese Einspielung immer noch eine gut hörbare Umsetzung, auch wenn man heute bei der Aufführung sakraler Vokalmusik sicherlich weniger emphatisch singen würde. Die guten Solisten (die nebensächlichen Solisten aus dem Kinderchor mit ihren mäßigen Stimmen überhören wir einmal geflissentlich) und der wohlklingende Dresdner Kreuzchor unter Martin Flämig verfehlen auch hier nicht ihre Wirkung.
In der gleichen Reihe und in quasi derselben Besetzung sind auch die "Johannes-Passion" und die "Lukas-Passion" von Schütz erschienen. [sal: @@@]


Georg Friedrich Händel / Solistenvereinigung & Rundfunkchor Berlin · RSO Berlin, Helmut Koch "Der Messias"

Klassik – Altmodische Gesamtaufnahme in deutscher Sprache (1975)
(2CD; Berlin Classics)

Diese deutschsprachige Aufnahme des Messias von Georg Friedrich Händel (1685-1759) ist sozusagen ein Evergreen aus dem Katalog des DDR-Labels Eterna und wurde seit der Erstveröffentlichung in zahlreichen Auflagen mit unterschiedlichen Covers immer wieder veröffentlicht und genießt folglich eine gewisse Verbreitung.
Nach heutigen Maßstäben gemessen ist dieser "Messias" allerdings kaum konkurrenzfähig und hat mit einem barocken Oratorium nichts zu tun. Massenchöre, ein sattes, beschwingtes, fast schon lasziv (sic!) musizierendes Orchester, dazu jede Menge Hall als befände man sich im Kölner Dom. Die zum Teil überdurchschnittlichen Solisten (Peter Schreier, Theo Adam) singen viel zu opernhaft. Man meint fast, man würde eine romantische Oper hören: Wenn der Chor das berühmte "Halleluja" anstimmt, klingt das (fast) nach Wagner-Festspielen. Glanz, Gloria, vor allem Größe, Pracht, Pomp und viel dick aufgetragenes Pathos. Dazu kommt dann noch dieser satte Orchesterklang mit langen Bögenstrichen. Die einführende "Sinfonia" hätte ich so fast nicht wiedererkannt. Das ist alles gar nicht schlecht ausgeführt, nur eben konsequent am Thema vorbei.
So bleibt dieser "Messias" wohl eher ein Kuriosum für den Liebhaber üppiger Klänge und Chöre und ist alles andere als ein empfehlenswerter Konkurrent in der umfangreichen Messias-Diskografie.
In der gleichen Aufmachung (und derselben Ästhetik) sind auch weitere Oratorien Händels (in deutscher Sprache) aus dem Eterna-Back-Katalog wiederveröffentlicht worden. [sal]


Carl Philipp Emanuel Bach / Knabenkantorei Basel · Ensemble Ad Fontes, Beat Raalaub "Markus-Passion"

Klassik – Rar eingespielte Passion von C.P.E. Bach (1994)
(2CD; Ars Musici)

Von den über 20 Passionsmusiken, die Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788) zwischen 1769 und 1788 in seiner Hamburger Zeit nachweislich geschrieben hat, nimmt die "Markus-Passion" in gewisser Weise eine Sonderrolle ein, wurde sie doch erst 1985 im Archiv der Universität entdeckt und ein Jahr später von Helmuth Rilling zum ersten Mal in moderner Zeit aufgeführt. Möglicherweise erfuhr das Werk so sogar seine verspätete Uraufführung. Ironischerweise ist dies C.P.E. Bachs einzige erhaltene Passionsmusik nach einem Evangeliumstext, alle anderen Partituren sind seit dem 2. Weltkrieg verschollen und liegen (wenn überhaupt) nur als spätere Drucke vor.
So nah der Vergleich mit den Passionen seines Vaters Johann Sebastian Bach zu liegen scheint, so unterschiedlich sind die Passionen in ihrem Klang und ihrer intendierten Wirkung, obwohl sie formal noch ganz ähnlich aufgebaut sind. Die Musik C.P.E. Bachs, einem der musikalischen Hauptvertreter des 'Sturm und Drang', ist unüberhörbar weltlicher ausgerichtet. Die Kompositionen wirken melodiöser und leichter, irgendwo zwischen Barock und Wiener Klassik (also ebenda, wo sich der 'Sturm und Drang' auch befindet). Das Schweizer Originalinstrumente-Ensemble Ad Fontes ('Zu den Quellen') unter Beat Raaflaub musiziert mit schlankem Ton, das Vokalensemble kann vor allem bei den schönen, rhythmisch komplexen und beweglichen Chören überzeugen, derweil die langen, lehrreichen Rezitative sicherlich nicht jedermanns Sache sind.
Alles in allem ist diese "Markus-Passion" ein sehr gelungenes Beispiel für ein Meisterwerk einer Epoche, die zwischen zwei einflussreichen Phasen der musikalischen Historie ein wenig ins Hintertreffen geraten ist: Eine schöne Bereicherung für neugierige Grenzgänger. [sal: @@@]


Franz Liszt / GrauSchumacher Piano Duo · WDR Rundfunkchor Köln, Rupert Huber "Via Crucis"

Klassik – Beklemmender Kreuzweg
(SACD; Neos)

Wenn man "Via Crucis - Les 14 stations de la croix" für Chor, Soli und Klavier zu vier Händen von Franz Liszt (1811-1886) zum ersten Mal hört, wird man vielleicht etwas perplex dreinblicken und sich denken: »Franz Liszt, war das nicht der Komponist mit der irrwitzig virtuosen, pathos-geladenen und bisweilen ein wenig langweiligen Klaviermusik? Und das hier soll etwas von Liszt sein?« So zumindest ging es mir, als ich zum ersten Mal dieses Spätwerk Liszts (von 1878) in der hier vorliegenden aktuellen Aufnahme des GrauSchumacher Piano Duos und dem WDR Rundfunkchor Köln unter Rupert Huber gehört habe. Was ich da zu hören bekam, deckte sich nicht mit meinem Vorurteil des 'virtuosen, pathetischen Romantikers'.
Die "Via Crucis" ist eher das Gegenteil all dessen: Die Chöre wirken unkompliziert (sind aber in Wirklichkeit alles andere als das) und fast ein wenig volkstümlich, die Klavierpassagen auf das Wesentliche reduziert und wirken in ihrer Schlichtheit sehr modern, sehr verdichtet, sehr expressiv. Man kann sich diesen knapp 50 Minuten kaum entziehen, man hört einfach gebannt zu, auch Dank der hervorragenden Umsetzung durch die ausführenden Musiker, allen voran des hervorragend disponierten WDR Rundfunkchors und seiner Solisten.
Dies ist mit Sicherheit einer der spannendsten Neuveröffentlichungen der letzten Monate aus dem Bereich der sakralen Musik und meine persönliche Empfehlung in diesem Feature, ein düsterer, beklemmender Soundtrack für die Karwoche. Da stört es auch nicht, dass das Stück der koreanischen Komponistin Younghi Pagh-Paan (*1945) "Vide Domine, vide afflictionem nostram" bei weitem nicht so überzeugend wirkt, wie Liszts "Via Crucis". [sal: @@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


(cc) 1996-2016 Einige Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist unter einem Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung Lizenzvertrag lizenziert. Um die Lizenz anzusehen, gehen Sie bitte zu http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/.

http://schallplattenmann.de/artikel.html
Sprung zum Beginn der Seite