#641 vom 31.08.2009
Rubrik Kolumne
Sal's Prog Corner #82
Trari-Trara, der Sommer ist vorbei. Derweil mir als Balkonien-Urlauber heuer ein wenig die Sonne und die Hitze fehlten, blieben die Neuerscheinungen im Prog-Sektor (trotz des berühmt-berüchtigten Sommerlochs) nicht aus und sie fallen dieses Mal vielleicht sogar überdurchschnittlich gut aus: Alte Bekannte kehren in ungewohntem Sound wieder, neue Hoffnungen wurden sogar übertroffen, die guten haben sich zu sehr guten gesteigert und manchmal lohnt es sich, die aussortierten Sachen noch einmal durchzusehen. Was ich damit meine? Checkt die aktuelle Prog Corner und ihr wisst es. Viel Vergnügen bei Lesen und Nachhören und keep on proggin'... [sal]
Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:
Beardfish "Destined Solitaire"
Retroprog – Das bisher beste Album der Schweden
(CD; InsideOut)
So langsam kommt der schwedische Bartfisch in Fahrt. Live sind die Jungs eh ein Geheimtipp und spätestens mit ihrem neuesten Studioalbum "Destined Solitaire" belegen die vier Musiker, dass gut hörbarer 'Mainstream-Retroprog' (der uns oft von schwedischen, amerikanischen und britischen Bands kredenzt wird) alles andere als austauschbar und langweilig sein muss. Beardfish nehmen den alten, bewährten Sound des Prog, würzen ihn mit einigen artfremden Zitaten (Rap, Growls) und jeder Menge an Frank Zappa erinnernden Humor. Keine Frage: Die Jungs nehmen die Musik ernst, sich selbst aber nicht immer.
Das Ergebnis kann sich hören lassen: Relaxter, lustiger, unterhaltsamer, besser und (ironischerweise) konsensfähiger haben Beardfish nie geklungen. Wer's nicht glauben will, der sollte mal in das Titelstück "Destined Solitaire" oder "The Stuff That Dreams Are Made Of" reinhören.
Beardfish spielen übrigens im Rahmen des PRockfests am 3.10.2009 in Bielefeld. [sal: @@@@]
<http://www.myspace.com/beardfishband>
Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:
Indukti "Idmen"
Progmetal/Alternative/Avantgarde – Viel besser als erwartet, ganz anders als erwartet
(CD; InsideOut)
Nachdem das Album "S.U.S.A.R." der polnischen Formation Indukti 2006 zu den erfreulichsten Debüts und zu den angenehmsten Überraschungen des Jahres gehörte, liegt nun das zweite Album des Quintetts "Idmen" vor und ich bin sehr angenehm überrascht, wie variabel das Album geworden ist und wie weit sie sich vom erfolgreichen Konzept des Debüts entfernt haben, ohne ihren Stil aufzugeben, aber eben auch ohne sich selbst zu imitieren.
Statt wie beim Debüt auf die charismatische, aber auf Dauer vielleicht etwas gleichförmige Stimme von Gastsänger Mariusz Duda (hauptamtlich der Frontmann von Riverside) zu setzen, haben sich die Polen dieses Mal gleich drei Gastsänger geholt (für jeweils drei Stücke, die anderen fünf Tracks sind Instrumentals). Unter ihnen ist Nils Frykdahl von den Szenelieblingen Sleepytime Gorilla Museum, der beim neunminütigen "Tusan Homichi Tuvota" alle Register seiner Stimme zieht. Andererseits hat das Album 'große' Namen nicht nötig: Es überzeugt durch eine sehr gelungene Mischung aus düsterem Hardrock, der hypnotischen Violine von Ewa Jablonska, Jazz-, Weltmusik-, Ambient- und Klassik-Einflüssen und dem beeindruckenden Drumming von Wawrzyniec Dramowicz. Das alles kommt in abwechslungsreichen Kompositionen und mit einer sehr druckvollen Produktion daher.
"Idmen" ist ein heißer Anwärter auf das Prog-Album des Jahres. Indukti zeigen, dass sie noch vieles vorhaben in der Szene und bereits begonnen haben, es umzusetzen. Sehr empfehlenswert. [sal: @@@@]
<#636: Riverside "Anno Domini High Definition"> [sal:Â @@@]
<#543: Sleepytime Gorilla Museum "In Glorious Times"> [sal:Â @@@@@]
<http://www.myspace.com/indukti>
Jolly "Forty-Six Minutes, Twelve Seconds of Music"
Progressive Rock/ Alternative Rock – Sechsundvierzig Minuten und zwölf Sekunden Gewohntes
(CD; Progrock)
Hätte ich meinem ersten Impuls nachgegeben, dann wäre ich beim Debüt-Album der US-amerikanischen Formation Jolly niemals über das erste Stück hinaus gekommen. Ich reagiere besonders allergisch auf hohlen, platten Drum-Sound und auf einfallslose Gitarrenriffs: Der Opener "Escape From DS-3" vom Album "Forty-Six Minutes, Twelve Seconds Of Music" klingt wie eine Symbiose aus allem, was ich an moderner (Progressive) Rockmusik nicht mag.
Glücklicherweise steigert sich das Album schon beim nächsten Stück "Renfaire", aber der blasse Eindruck, den ich schon beim Opener heraushörte, will nicht ganz verschwinden. Zum einen finde ich das Drumming und die Gitarrenarbeit wirklich nicht sonderlich einfallsreich, zum anderen leidet das ganze Album ein wenig unter mangelnder Individualität und fehlenden Einfällen. Und so bleibt das Album im grauen Pulk der durchschnittlichen Alternative-Rock-Scheiben mit leichtem New-Artrock-Einschlag.
Zu den von anderen Kritikern beschworenen 'amerikanischen Riverside' reicht es in meinen Ohren noch lange nicht. Riverside spielen, gerade nach ihrem wieder überzeugendem aktuellen Album "Anno Domini High Definition", in einer ganz anderen Liga. Das hier ist nur Manna für jene, die von dieser Art von Musik den Hals nicht voll bekommen. Ordentlich gemacht, nicht mehr. [sal: @@]
Arjen Lucassen's Guilt Machine "On This Perfect Day"
Progressive Rock/New Artrock – Lucassen kann ja doch anders!
(CD, CD+DVD; Mascot)
Das letzte Album von Arjen Lucassens Stammband Aryeon "01011001" (2008) fand ich über alle Maßen enttäuschend. Es war »schlichtweg überproduziert, stellenweise geradezu größenwahnsinnig« und überdurchschnittlich »hektisch«, kurzum nichts, was mir auch nur annähernd gefiel. Ich dachte, dass Lucassen in seiner Neigung sich von Mal zu Mal in Bombast zu übertreffen nun eine Grenze überschritten hätte, hinter die ich ihm als Hörer nicht mehr folgen wollte. Sollten doch andere seine Prog-Operetten anhören.
Aber Lucassen wäre gewiss nicht so erfolgreich, wenn er nicht die Intuition besäße, sich zum rechten Zeitpunkt weiterzuentwickeln. Für sein neues Projekt krempelte er vieles (nicht alles) an seiner Art Musik zu machen um: Deutlich weniger Bombast, eine kleine feste Besetzung (u.a. mit dem Drummer Chris Maitland, ex-Porcupine Tree, ex-Kino), einem Sänger (dem fantastischen Jasper Steverlinck) und Kompositionen mit weniger Pathos, mehr Atmosphäre in einem Sound, der nicht wie Progmetal-Kitsch, sondern wie ernsthafter New Artrock klingt – und dennoch genügend Lucassen-Trademarks besitzt um von alten Fans akzeptiert zu werden. Und es ist sogar so gut, dass diese Scheibe ihm ein paar neue Fans einbringen und bei vielen New-Artrock-Fans das Album des Jahres werden könnte.
Maitlands grooviges Drumming und seine 'psychedelische Vergangenheit' bei Porcupine Tree scheinen Lucassen über alle Maßen inspiriert zu haben. Die Nähe zu den mittleren Porcupine Tree, also jener Phase rund um die Alben "Stupid Dream" (1999) und "Lightbulb Sun" (2000) ist unüberhörbar. "On This Perfect Day" ist das ernsthafteste, vielleicht sogar beste Album unter Beteiligung des niederländischen Multi-Instrumentalisten. Mit dem Prog-Kitsch früherer Arbeiten hat Guilt Machine nur wenig gemein. Hoffentlich gibt es diese Formation auch einmal live und hoffentlich folgen noch weitere Alben. [sal: @@@@]
<#238: Porcupine Tree "Lightbulb Sun"> [sal:Â @@@@]
<#426: Kino "Picture"> [sal:Â @@@@]
<http://www.myspace.com/guiltmachine>
<http://www.youtube.com/watch?v=2Om8FgC87C8>
Morkobot "Morto"
Psychedelic/Noise/Avantgarde – Zwei Bässe, ein Schlagzeug: laut und roh (2008)
(CD, LP; Supernaturalcat)
Fast ein Jahr alt und eigentlich schon im Stapel der Neuerscheinungen viel zu weit nach unten gerutscht und dann doch noch entdeckt: Das italienische Trio Morkobot mit "Morto" (zu Deutsch 'tot'), dem abschließenden Teil einer Trilogie, die die drei Musiker (Lin, Lan und Len, laut Eigenauskunft drei Gesandte vom Planeten Morkobot, sic!) auf einem Schlagzeug, zwei Bässen und zahlreichen Effekten auf den Saiteninstrumenten eingespielt haben. Das Ergebnis klingt roh, aggressiv und stark psychedelisch, meistens laut und oft bedrohlich düster: Dies ist Musik, die man in den weniger freundlichen Winkeln seiner Seele aufnimmt oder anders gesagt: Der ideale Soundtrack für die Momente, in denen man sich vor Vernunft und Rationalität akustisch abschotten will.
Wer auf den düster-aggressiven Sound von Bands wie King Crimson, und Guapo mit einem Hauch von Can steht – mich hat das Album stark an "Five Suns" von Guapo erinnert – der sollte von "Morto" nicht enttäuscht werden. Ich bin auf jeden Fall sehr angenehm überrascht. [sal: @@@]
<#388: Guapo "Five Suns"> [sal:Â @@@@@]
<#409: Can "Tago Mago"> [sal]
<http://www.myspace.com/morkobot>
@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight