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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #651 vom 09.11.2009
Rubrik Kolumne

Sal's Prog Corner #84

»Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät?« Da dachte ich schon, dass das Prog-Jahr ausklinge, ja eigentlich schon vorüber sei, da trudeln bei mir in kurzer Folge eine Menge 'Nachzügler' ein, die allesamt noch vor Jahresende veröffentlicht werden und besprochen werden wollen – und das schlechteste ist's nicht, was da in meinem Player landete.
Heute also Teil 1 der Prog-Spätlese 2009 und in wenigen Wochen dann noch einmal der letzte Nachschlag. Bis dahin wünsche ich, wie immer, viel Spaß beim Lesen und, ihr wisst schon: Keep on proggin'. [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Redemption "Snowfall On Judgement Day"

(Prog)Metal – Harte Riffs und melodische Passagen
(CD; InsideOut)

Auch wenn nach dem Abgang des großartigen Schlagzeugers Mark Zonder keiner so recht weiß, wie es bei den Progmetal-Helden von Fates Warning albumtechnisch weitergehen wird, bleibt Sänger Ray Alder umtriebig im Geschäft. Sein zweites Standbein in der Szene heißt seit den frühen 2000ern Redemption – eine Band, die er mit dem Gitarristen Bernie Versailles (von der Speed-Metal-Band Agent Steel) und dem Multi-Instrumentalisten Nicolas van Dyk maßgeblich prägt und die mit "Snowfall On Judgement Day" ihr bereits viertes Album veröffentlicht.
Wer aber nun glaubt, dass Alders markante Stimme ausreicht, um Redemption wie 'Fates Warning light' klingen zu lassen, der wird enttäuscht sein: Riffiger, melodischer und relativ schnörkelloser Metal, deutlich pathetischer und emotionaler als die immer etwas düster-distanzierten Alben von Fates Warning; leider, will ich hinzufügen, denn damit geht ein Großteil der Magie dieser Stimme im Metal-Gewitter unter, gegen dass er auch im Mix des Albums kaum ankommt. Mit Progressive Metal hat dies nur am Rande zu tun. Das meiste ist ordentlich gemachter, gerade heraus gespielter Metal von der Stange, nicht mehr. Da warte ich doch lieber noch ein paar Jahre auf ein neues Album mit seiner Stamm-Band, interessierte Fans von Fates Warning sollten auf jeden Fall prüfen, ob sie mit dem deutlich anderen Sound von Redemption zurechtkommen. [sal: @@]


Moraine "Manifest Destiny"

Avant/Chamber Rock – mit Betonung auf 'Rock'
(CD; Moonjune)

Innerhalb des weiten Feldes dessen, was sich heute mehr oder minder freiwillig in das Genre Progressive Rock einordnen lässt, ist 'Chamber Rock' eine Spielart, die sich aus Elementen und Instrumentarium moderner Kammermusik und dem Progressive Rock zusammensetzt. Meistens ist dieser Chamber Rock eher akustischer Natur: Bands wie Univers Zéro und Aranis (beide aus Belgien) sehen auf der Bühne erst einmal aus wie ein bestenfalls unüblich besetztes Kammerensemble.
Auch Moraine ist ein 'elektrisch verstärktes' Kammerensemble (Violine, Cello, Bass, E-Gitarre und Schlagzeug), doch ihre Musik ist deutlich freier und ungezwungener angelegt, als die Musik der oben genannten Belgier. Und zudem mit deutlichen Berührungspunkten an die wilden (Progrock-) Improvisationen bei King Crimson in den 1970ern. Die Selbstbeschreibung als »heavy chamber rock« ist durchaus passend. Die Musik ist elektrischer, rockiger, als man gemeinhin vermuten würde. Das Ergebnis auf ihrem Debüt "Manifest Destiny" ist eine unterhaltsame, neue Lesart des Chamber Rock, die durchaus mehr Freunde finden könnte als der 'klassische': Der dezidierte Rock-Charakter wird für viele Progressive Rockfans zugänglicher sein, als die sonst nicht unüblichen Anleihen bei Béla Bartók oder Igor Stravinsky.
Das Album kann auch beim Label direkt portofrei und günstig bestellt werden. [sal: @@@]


Markus Reuter & Ian Boddy "Dervish"

Elektronik/Progressive Rock – elektro-akustischer Dialog
(CD; DiN)

Zehn Jahre nach ihrem gemeinsamen Debüt "Distant Rituals" und sechs Jahre nach der zweiten Zusammenarbeit "Pulse" (2003) liegt mit "Dervish" nun ein brandneues Album von Markus Reuter (Centrozoon, Tuner) und Ian Boddy vor. Die größte Überraschung vorweg: "Dervish" klingt ganz anders als die vorigen Alben, die noch tief und nahezu ausschließlich im Ambient verwurzelt waren.
Rhythmus, Riffs, Bassläufe, Drums, dazu Effekte: "Dervish" klingt über weite Strecken deutlich 'rockiger' als alles, was die beiden bislang zusammen veröffentlicht haben. Einen nicht geringen Anteil an dieser Entwicklung hat der Schlagzeuger Pat Mastelotto (King Crimson, Tuner), der für den nötigen Takt sorgt. Außerdem fügten Reuter und Boddy akustische Instrumente hinzu: So vernimmt man auf dem Album neben einer Menge Elektronica auch Blockflöten und ein veritables Streichquartett. Wer sich etwas Zeit für "Dervish" nimmt, denn als Hintergrundmusik taugt diese Musik gewiss nicht, hört einen (gelungenen) Dialog aus Akustischem, Ambient Music und Progressive Rock, ganz im Sinne einiger Kompositionsprinzipien von Olivier Messiaen (1908-1992) mit denen sich beide vertraut gemacht haben.
Übrigens: Über ein Dutzend Remixe des Titeltracks "Dervish" können von der Website des Labels kostenlos geladen werden. [sal: @@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Transatlantic "The Whirlwind"

Retroprog – Die Supergruppe des Progs ist wieder am Start... und kocht auch nur mit Wasser
(CD, 2CD,2CD+DVD; InsideOut)

Als sich Transatlantic im Jahr 2000 aus Mitgliedern von Spock's Beard (Neal Morse, voc, keyb, g), The Flower Kings (Roine Stolt, g, voc), Marillion (Pete Trewavas, b) und Dream Theater (Mike Portnoy, dr) formierten und mit "SMPTe" debütierten, war die Begeisterung in der Prog-Szene groß. Auch der rückblickend vielleicht sogar etwas besser geratene Zweitling "Bridge Across Forever" (2001) kam sehr gut an; die Tourneen durch die USA und Europa waren erfolgreich und die sukzessive veröffentlichten Live-Dokumente belegten, dass die Band ihre Musik, zusammengesetzt aus dem Sound des klassischen Progs der 1970er und veränderlichen Anteilen Bombast, Beatles, Flower Power, Metal und Kitsch auch live nahezu 1:1 umsetzen konnte. Dann fand Neal Morse seinen Weg zu Gott, verließ Spock's Beard und löste im Vorbeigehen Transatlantic auf, um sich fortan der christlichen Missionierung durch Prog zu widmen. Die Folge war eine wenig erfreuliche musikalische Degeneration des Haupt-Songswriters von Transatlantic.
Nach länger Zeit traf sich im Frühjahr 2009 der nach wie vor geläuterte Morse mit seinen Mitstreitern und sie nahmen ihr (von den Fans herbeigesehntes?) drittes Studioalbum "The Whirlwind" auf, das aus einer einzigen 77-minütigen Suite besteht; Bescheidenheit war niemals die Stärke des Progressive Rock. Und wie klingt "The Whirlwind" nun? Nun, wen wundert's, es klingt nach den ersten beiden Alben. Im Vergleich zu den letzten Solo-Outputs von Neal Morse fallen immerhin die nicht penetrant missionierenden Texte positiv auf. Ãœberhaupt: Ich habe überraschend wenig Probleme mit Neal Morse auf diesem Album (von dem man halt musikalisch immer das bekommt, was man von ihm ohnehin schon kennt). Wenn es einen Schwachpunkt auf dem Album gibt, dann ist es das trockene und gefühllose, ungroovige Geholze – pardon, Drumming – von Mike Portnoy. So ist es halt nur ein solides Retroprog-Album mit einigen Highlights und augenzwinkernden Zitaten aus der Prog-Historie sowie einem unsensiblen Drummer. "The Whirlwind" ist kein Super-Album einer Supergruppe, aber gut gemachter, gut hörbarer Mainstream-Retroprog: Und das ist ehrlich gesagt mehr, als ich erwartet hatte. [sal: @@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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