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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #585 vom 02.06.2008
Rubrik Feature

Hörspiel-Regisseur Sven Stricker im Interview

»Welcher Star am besten ausgeleuchtet ist oder die meisten Großaufnahmen hat, das bleibt hier außen vor.«
(2CD; Hörverlag)

Als Sven Regener (Sänger bei Element Of Crime) seinen Roman "Herr Lehmann" präsentierte, ging das Buch eine Million mal über den Tresen. Sogar der Literaturweise Marcel Reich-Ranicki jubelte. Von einem witzig-virtuosen Wunder war die Rede. Jetzt hat Regisseur Sven Stricker aus dem Roman ein berstend unterhaltsames Hörspiel gemacht.

Volker Wilde: Der "Herr Lehmann" hat seit seinem Erscheinen 2001 deutschlandweit die Buchregale erobert. Wann haben Sie die Geschichte um den Barkeeper in Berlin-Kreuzberg, der am Tag des Mauerfalls volltrunken seinen 30. Geburtstag erlebt, gelesen?

Sven Stricker: Zum ersten Mal in Berührung gekommen mit dem Stoff bin ich kurz nach Erscheinen des Buches, als Hellmuth Karasek im Hamburger Audimax ein Kapitel daraus gelesen hat und ich im Publikum saß. Eigentlich war ich wegen Götz Alsmann da, der aus Jules Verne las. Ich fand es jedenfalls sehr amüsant. Das war's dann aber auch. So richtig beschäftigt habe ich mich damit erst vor nicht mal einem Jahr, als ich gefragt wurde, ob ich daraus ein Hörspiel machen wolle. Das wollte ich dann sehr. Es war sozusagen Liebe auf den letzten Blick, dafür umso heftiger.

Florian Lukas bringt einen authentisch bodenständigen Herrn Lehmann. Bjarne Mädel, als "Ernie" in der TV-Serie "Stromberg" bekannt geworden, spricht seinen bärenstarken Freund Karl. Florian von Manteuffel ist ein hinreißender Erzähler. Die Besetzung gefällt mir besser als diejenige der bereits gelungenen Verfilmung von 2003. Haben Sie sich diese Super-Truppe selbst ausgewählt?

Sven Stricker: Ja, und es war ein wirklich großes und seltenes Glück, dass alle Wunschbesetzungen, inklusive Sonsee Neu als Katrin, zur selben Zeit verfügbar waren und Lust auf diese Arbeit hatten. Da ich immer im Ensemble aufnehme, anstatt die Sprecher einzeln und nacheinander aufzunehmen, wie es bei Hörspielproduktionen mittlerweile manchmal üblich ist, kommt es schon mal vor, dass bestimmte Konstellationen nicht klappen, weil etwa Dreh- oder Theatertermine im Weg stehen. Die Verfilmung kenne ich übrigens bis heute nicht, ich kann das also gar nicht vergleichen – und will es auch nicht.

Wie kann man sich das Bearbeitungs-Handwerk vorstellen? In Ihrer Hörspiel-Bearbeitung ist der tragikomische Hund dem Herrn Lehmann nicht sooft über den Weg gelaufen wie im Roman. Warum?

Sven Stricker: Man sollte in erster Linie eine Haltung, dazu ein Gefühl für Sprache und Aufbau des Textes entwickeln und gleichzeitig herausfinden, welchen Aspekt einer Geschichte man erzählen will. Klar ist nämlich bei einer Bearbeitung immer: Man muss sich von bestimmten Strängen und Inhalten der Vorlage trennen. Sonst wäre es ja eine Abschrift und keine Bearbeitung. Eine Bearbeitung beinhaltet ganz unromantisch immer auch eine Kürzung. Der Rest ist tatsächlich Handwerk. Die Dramaturgie muss stimmen, der Spannungsbogen gehalten werden, sonst können 130 oder 140 Minuten sehr, sehr lang werden. Und was den Hund betrifft: Ich fand es pointierter, wenn er nur an zwei Schlüsselstellen auftritt: Ganz am Anfang der Geschichte und in dem Moment, wo Herr Lehmanns fragile Welt endgültig zusammenbricht.

Als Hörspiel-Regisseur dirigieren Sie beispielsweise die Schauspielasse Boris Aljinovic, Peter Fricke und Felix von Manteuffel gemeinsam im Studio, wie bei Ihrem Hörspiel "Nachtzug nach Lissabon" nach dem Roman von Pascal Mercier. Gibt es Standard-Probleme, die immer wieder auftauchen?

Sven Stricker: Nein. Ich genieße es einfach nur. Eine Gruppe zusammenzustellen, mit ihr zu interagieren und dann die Ergebnisse zu empfangen, die aus einer solchen Konstellation entstehen, das ist ein sehr befriedigendes Gefühl. Es passiert ja auch schauspielerisch immer viel mehr, als man sich in der Theorie vorher vorstellt, weil das zwischenmenschliche und gruppendynamische Element nicht planbar ist. Und das Schöne am Hörspiel ist ja auch, dass in einem hermetisch abgeriegelten, schalltoten Hörspielstudio alle Schauspieler sehr gleich werden. Welcher Star am besten ausgeleuchtet ist oder die meisten Großaufnahmen hat, das bleibt hier außen vor. Axel Milberg hat mal gesagt, dass er das Hörspiel sehr liebt, weil es dabei ums reine Schauspiel geht und um nichts anderes. Schöner konnte er es nicht sagen.

Wie oft saß ich schon im Stau, gequält von einer unendlich langweiligen Hörspielbearbeitung. Warum schaffen es so viele Bearbeitungen ans Mikrophon im Studio, obwohl sie die Atmosphäre des Romans nicht treffen?

Sven Stricker: Das ist schwer zu beantworten. Ich gehe mal davon aus, dass jeder seine Bearbeitung als gelungen betrachtet, wenn er sie abgibt, und dazu gibt es ja immer noch einen Dramaturgen, der sie abnimmt. Da es unendlich viele Möglichkeiten gibt, einen Roman zu bearbeiten – man kann zum Beispiel ganz nah an der Vorlage bleiben, die Vorlage also einfach nur ins Dialogische umarbeiten, man kann aber auch den gegenteiligen Weg einschlagen, eigenes hinzudichten, bestimmte Stränge anders miteinander verbinden, Figuren verändern, weglassen, neu erfinden –, gibt es auch unendlich viele Möglichkeiten sich zu irren. Es ist ein völlig offenes Feld. Und es hängt unter Umständen oft von einer einzigen Entscheidung ab, ob die Bearbeitung der Vorlage standhalten kann oder nicht.

Uri Orlevs schockierende Romane "Lauf, Junge, lauf" und "Der Mann von der anderen Seite", beide basierend auf realen Kinderschicksalen in der Nazizeit, haben Sie mit Ulrich Pleitgen im Studio eingelesen und Preise geerntet. Warum braucht ein Star-Sprecher wie Pleitgen Sie als Regisseur an seiner Seite?

Sven Stricker: Ulrich Pleitgen könnte einen Text sicherlich auch alleine einlesen und es wäre immer noch großartig. Ich bin mir aber sicher, dass Schauspieler und Text noch einmal deutlich gewinnen, wenn auf der anderen Seite der Scheibe jemand sitzt, der Sensibilität und Ausdruck des Interpreten kanalisiert und behutsam in die richtigen Bahnen lenkt. Bei Lesungen ist der Regisseur ja insgesamt weniger inszenierend tätig, als motivierend und im Detail kontrollierend. Da gute Schauspieler ein ganzes Füllhorn an sprachlichen Möglichkeiten haben und zu sehr feinen Nuancen fähig sind, sollte der Regisseur als 'Ersthörer' in der Lage sein, diese Nuancen richtig einzuordnen und zu bewerten. Uri Orlev ist ein ganz gutes Beispiel dafür, weil bei seinen sehr dramatischen und bewegenden Texten die Gefahr bestand, der Emotionalität zu sehr nachzugeben und dadurch plötzlich ins Pathos zu entgleiten. Dass das nicht passiert, darauf sollte man als Regisseur zum Beispiel achten.

Sie sind Jahrgang 1970, haben Literaturwissenschaften studiert, sich dann in einem Jugendbuchverlag ums Hörspiel- und Liederprogramm gekümmert, so kann man lesen. Wie kam von da aus der weite Sprung zum hochproduktiven, renommierten Hörspiel-Profi?

Sven Stricker: Ehrgeiz und der unbedingte Wille, mit den besten Texten, den besten Schauspielern und dem größtmöglichen Spaß meinen Beruf auszuüben. Das klingt erst mal recht einfach, aber letztlich war es auch nicht schwieriger. Ich habe von Anfang an versucht, und versuche das auch heute noch, von den großen Hörspielregisseuren der letzten Jahrzehnte zu lernen und bin sehr begeisterungsfähig und trotzdem analytisch, wenn ich etwas formal oder inhaltlich Neues höre. Ich bin da, wie gesagt, sehr ehrgeizig. Und hatte gleichzeitig großes Vertrauen, dass sich der Rest schon fügen würde. Ich liebe dieses Medium und wollte nie etwas anderes machen als genau das, was ich jetzt tue – das hat mir sicherlich nicht geschadet.

Andrè Minninger, einer der Autoren der "Drei ???", entspannt nach Fertigstellung jeder neuen Hörspiel-Folge in der Badewanne. Was haben Sie nach dem "Herrn Lehmann" gemacht?

Sven Stricker: Ich kann bei fertigen Produktionen anfangs nur sehr schwer loslassen. Ich höre sie fast andauernd, zu Fuß mit Kopfhörern, im Auto, auch in der Badewanne, im Wohnzimmer und am Schreibtisch. Ich schwöre, ich kann dann fast jeden Satz auswendig. Das hört aber ruckartig auf, sobald die nächste Produktion läuft, von da an wird der Vorgänger eigentlich nie mehr angerührt.

Sie haben bisher in sehr verschiedenen Genres gearbeitet, vom Kinderhörspiel über Thriller bis zum philosophischen Roman. Unzählige Projekte warten. Welches ist das Projekt, dem Sie sehnlich entgegenfiebern?

Sven Stricker: Darüber will ich nicht einmal nachdenken! Denn stellen Sie sich vor, ich bekomme dieses Projekt auch noch – was mache ich denn dann danach? Dann kann's ja nur noch schlechter werden. Es ist ja außerdem genau das: Man ist auf gar nichts festgelegt und darf sich mehrmals im Jahr in völlig neue Gedankenwelten fallen lassen. Mal ganz naiv, mal hochphilosophisch. Und während ich das eine mache, freue ich mich schon wieder auf das andere.

Und was steht jetzt auf Ihrem Projekt-Plan?

Sven Stricker: Ich bearbeite gerade Thomas Manns Roman "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" für Hörspiel. Eine wirklich große Ehre, der ich mich in den nächsten Wochen widmen werde. Das Ganze wird ein Zweiteiler, den ich ab Oktober beim NDR aufnehme. Von diesem Titel wird im Frühjahr 2009 auch eine CD-Edition erscheinen.

Sie sehen aus, als würden Sie Led Zeppelin und Jimi Hendrix hören, um vom gesprochenen Wort zu entspannen. Schwer daneben?

Sven Stricker: Voll daneben. Ich bin musikalisch absolut im Hier und Jetzt. Ich stehe zurzeit vor allem auf die ganzen aktuellen britischen Gitarrenbands wie die Arctic Monkeys und Kaiser Chiefs. Zum Nostalgiker tauge ich überhaupt nicht, ich will immer Neues entdecken.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stricker. [vw]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


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