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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #497 vom 14.08.2006
Rubrik Texte - lesen oder hören

Bertolt Brecht "An die Nachgeborenen"

Hörspiel-Doku: Lesungen, Songs, Hörstücke, Interview-Schnipsel mit Brecht aus den Jahren 1929 bis 1956
(CD; Hörverlag)

Wer die neue Monographie "Bertolt Brecht" von Reinhold Jaretzky gelesen hat, der steht nach den 150 Seiten komprimierter neuester Brechtforschung endlich über dem in Schule und Uni vermittelten Halbwissen: Der "privilegierte Prokuristensohn Brecht" lernte als Teenie auf dem heimischen Dachboden drei Dinge, die sein Leben fortan bestimmen sollten:

  • Die Lust am Inszenieren von Theater in der Gruppe
  • Die Lust am Kontrollieren: Brecht hat "immer den Ton angeben, immer kommandieren wollen", so ein Nachbarsjunge.
  • Außerdem litt Brecht an einer Herzneurose und fürchtete sich von Jugend an, am 'Herzkrampf' zu sterben. Die pure, starke Emotion des Illusionstheaters lehnte er daher ab; er fürchtete, dass sie für ihn im 'Herzkrampf' enden könnte.
Bertolt Brecht erkannte früh, dass er anecken musste, um überhaupt aufzufallen und gehört zu werden. So lehnte er nicht nur die traditionelle Form des Illusionstheaters ab, sondern suchte sich explosive Inhalte, um seine neuen Formen auch füllen zu können, z.B. den Marxismus. Politische Inhalte waren für ihn also mehr Mittel zum Zweck als Überzeugung mit Haut und Haaren.
Diese Aspekte zusammen resultierten in einem verschrobenen, kompromisslos patriarchischen Charakter; seine schreibenden Frauen und Affären bekamen keine Liebe von Brecht, sondern seine Kinder, die er nicht weiter beachtete; Projekte brach er ab, wenn er nicht uneingeschränkt das Sagen hatte.
Diese Gebrochenheit des genialen Stückeschreibers und Lyrikers lässt sich auf der Hörspiel-Dokumentation "An die Nachgeborenen" auch hören: Ich war geschockt, als ich sie hier zum ersten Mal hörte, Brechts Stimme. Er spricht wie ein Priester predigt. Die authentische Emotion aus dem Bauch heraus bricht ihm im Hals ab. Dadurch hat Brecht eine latent hochfrequente Stimme. Dieser Mann, so wird klar, war nicht mit sich im Reinen. Wer hätte gedacht, dass das Theatergenie dies so wenig kaschieren konnte? Bestes Beispiel für Brechts Dilemma ist hier seine Vernehmung vor dem 'Ausschuss des Kongresses zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten' vom 30.10.1947: Brecht wird mit eigenen marxistischen Textzeilen konfrontiert und wehrt in unsicherem Englisch mit seinem Stimmchen ab, dies sei doch "just a German poem". Wie theatralisch hätte er seine Verteidigung aufbauen können, als feurige Opposition zu Hitler, die eben nur in der Massenbewegung des Marxismus möglich erschien! Aber Brecht versagte auf der Bühne des wahren Lebens. Für Hanns Eisler und andere Exilanten, die auch verhört worden waren, war das der feige Brecht, der sich auch in anderen Punkten nicht an Absprachen für die Verhöre gehalten hatte. Brecht im Dilemma: Zum Marxismus konnte er nicht stehen - er hat ja nur Theater damit gemacht. [vw: @@@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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