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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #486 vom 29.05.2006
Rubrik Feature

D-Es-C-H #1

Dmitri Shostakovich, http://commons.wikimedia.org

Nicht nur der 250. Geburtstag Mozarts (1756-1791) wird dieses Jahr gefeiert, auch die Geburt des sowjetischen Komponisten Dmitri Dmitrievich Shostakovich (oder in der deutschen Schreibweise Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch) jährt sich zum 100. Mal.
Der am 25.9.1906 in Sankt Petersburg geborene und am 9.8.1975 in Moskau verstorbene Shostakovich gehört unbestritten zu den wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, vor allem seine Beiträge zur Symphonik mit insgesamt 15 Symphonien und zur Kammermusik mit unter anderem 15 Streichquartetten gelten als wichtige Schlüsselwerke der osteuropäischen Kompositionskultur. Das Motiv "D-Es-C-H", entstanden aus seinen Initialen, sollte bei vielen seiner mittleren und späten Kompositionen eine zentrale Rolle zur persönlichen Identifizierung bilden.
Rechtzeitig vor seinem Geburtstag häufen sich die interessanten Neu- und Wiederveröffentlichungen rund um Shostakovich. Grund genug sich einige der interessantesten Veröffentlichungen noch einmal genauer anzuschauen. [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Dmitri Shostakovich / RSO Saarbrücken, Günther Herbig "Symphonie Nr. 8"

Klassik – Düster und intellektuell
(CD; Berlin Classics)

Die Symphonie Nr.8 in c-Moll, op.65 von Dmitri Shostakovich (1906-1975) ist im Triptychon der sogenannten Kriegssymphonien (Nos.7-9) die düsterste und verstörendste, die Kehrseite der gloriosen 'Leningrader' Symphonie No.7, wenn man will. Eindeutig pessimistischer und introvertierter reflektiert Shostakovich über den 2. Weltkrieg und die Folgen, sowohl die des allgegenwärtigen Grauens, als auch seine persönlichen Obsessionen. Ruhig und nüchtern interpretieren Maestro Günther Herbig und das RSO Saarbrücken diese Symphonie, die so viel von Shostakovichs Gemütslage und Hoffnungslosigkeit im Stalinismus erstaunlich schutzlos zu offenbaren scheint. Das Ergebnis ist schlüssig und macht Shostakovichs Empfinden greifbar. Eine souveräne Leistung vom 'kleinen' RSO aus Saarbrücken.
Ebenso wie die Symphonie Nr.8 bietet Günther Herbigs zeitgleich erschienene Interpretation der Symphonie Nr.5 in d-Moll, op.47 in derselben Reihe einen nüchternen und eher ruhigen Blick auf Shostakovichs Symphonik. Weitere Veröffentlichungen dieses hochinteressanten Zyklus' sind in Planung. [sal: @@@@]


Dmitri Shostakovich / St. Petersburg Philharmonic, Yuri Temirkanov "Symphonies Nos. 5 & 6"

Klassik – Mitreißende Live-Aufnahmen
(CD; Warner Classics)

Die Symphonie No.5 in d-Moll, op.47 von Dmitri Shostakovich (1906-1975) gehört zu den bekanntesten und populärsten Werken des sowjetischen Komponisten. Sie markierte in der Biografie Shostakovichs einen entscheidenden Wendepunkt, nachdem er sich massiven Angriffen seiner als 'formalistisch' gebrandmarkten Musik ausgesetzt sah. Die 5. Symphonie (und die Analogie zu Beethovens bekannter 5. Symphonie ist gewiss kein Zufall) ist eine, im Vergleich zu den vorangegangenen Kompositionen, deutlich konservativere Arbeit. Shostakovich selbst nannte sie "die konkrete Antwort eines sowjetischen Künstlers auf rechtmäßige Kritik" und warb damit (erfolgreich) um seine künstlerische Rehabilitierung, fürchtete sich aber fortan vor neuerlicher Verfolgung und vor Repressalien. Zum ersten Mal entwickelt Shostakovich in seiner Klangsprache jene charakteristische Doppelbödigkeit, die gleich einer Matroschka ihr wahres Inneres hinter einer (oder vieler) offensichtlichen Hülle verbirgt.
Yuri Temirkanov und den St. Petersburger Philharmonikern gelingt bei ihren Interpretationen der Symphonien Nos. 5 & 6 eine bemerkenswert dynamische und damit auf die Spitze getriebene Verdeutlichung dieser Doppelbödigkeit. Dort, wo die Symphonien vordergründig und hell sind, erstrahlen sie unter Temirkanov besonders prachtvoll, doch ebenso düster lässt er die verborgenen Untertöne in den Werken erklingen. Die Kontraste, die er so mit seinen exzellent musizierenden Petersburgern schafft, verdeutlichen den Charakter dieser exemplarischen Werke besonders gut und machen aus dieser CD einen besonders guten Einstieg in die Klangwelt Shostakovichs. [sal: @@@@]


Dmitri Shostakovich / Berliner Philharmoniker, Simon Rattle "Symphonies Nos. 1 & 14"

Klassik – Makelloser Shostakovich
(2CD; EMI Classics)

Trotz vieler exzellenter Neueinspielungen im Bereich der Symphonik von Dmitri Shostakovich (1906-1975) ist diese Doppel-CD mit der ungewöhnlichen Kombination der Symphonie No.1 in f-Moll, Op.10 und der Symphonie No.14, Op.135 die eindeutig beste Veröffentlichung in diesem Bereich. Sir Simon Rattle und seine Berliner Philharmoniker präsentieren sich strahlend im Klang und selbstredend technisch perfekt: Ich habe schon lange keine Einspielung der Berliner mehr gehört, die ihren Weltruf wirklich rechtfertigen würde. Hier habe ich zum ersten Mal seit langem das Gefühl ein wirkliches Weltklasse-Ensemble zu hören. Dazu gehören bei der Symphonie No.14 auf jeden Fall auch die exquisiten Sänger Karita Mattila und Thomas Quasthoff.
Die größte Überraschung ist allerdings das akzentuierte und warme Dirigat Rattles. Er leuchtet die (höchst unterschiedlichen) Symphonien so stringent, so pointiert aus, wie man es sich wirklich nicht besser vorstellen kann. Die sehr textlastige Symphonie No.14 und ihre russischsprachige Lyrik erfordern Konzentration und Geduld, sowohl vom Dirigenten und seinem Klangkörper als auch vom Zuhörer. Bei dieser Aufnahme wird man förmlich in die Musik hineingezogen. Die Nähe zu Benjamin Britten ist unüberhörbar. Überraschend auch die Symphonie No.1, die man allzu oft als "nur" eine sehr gelungene Abschlussarbeit Shostakovichs am Konservatorium abtut. Unter Rattle entfaltet dieses Frühwerk eine unglaubliche Faszination und offenbart schon viele Elemente der späteren Werke Shostakovichs, vor allem überzeugt sie aber durch Witz und Esprit. [sal: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Dmitri Shostakovich / Hagen Quartett "String Quartets 3, 7 & 8"

Klassik – Drei der besten Streichquartette Shostakovichs
(CD; Deutsche Grammophon)

Neben dem unbestrittenen Höhepunkt des Streichquartette-Zyklus' von Dmitri Shostakovich (1906-1975), dem Streichquartett No.8 in c-moll, op.110, hat sich das Salzburger Hagen Quartett bei seiner Auswahl für die Quartette No.3 in F-dur, op.73 und No.7 in Fis-Dur, op.108 entschieden. Diese spiegeln in besonderem Maße Shostakovichs Affinität für die jüdische Musiktradition wieder, auf die er immer wieder in seinen Werke zurückgriff: Ihre schlichten Tänze und modalen Skalen fügten sich symbiotisch in seinen eigenen Stil ein; darüberhinaus fühlte sich Dmitri Dmitrievich diesem Volk eng verbunden und trat in seinen Werken, auch in schwierigen Zeiten, für die jüdische Kultur ein.
Das österreichisch-deutsche Ensemble spielt auf dem vorliegenden Album kraftvoll, fast beängstigend und rhythmisch sehr akzentuiert. Mit seinem energiegeladenen, metallisch-wirkendem Ansatz, macht es alle (falschen) Sentimentalitäten zunichte. Beklommen in den langsamen, zerrissen in den schnellen, sarkastisch in den vorgeblich heiteren Sätzen, präsentiert das Hagen Quartett die Musik Shostakovichs in all ihrer Zerrissenheit mit bemerkenswerter psychologischer Tiefgründigkeit.
Vielleicht wollte das Salzburger Ensemble lieber eine CD mit drei herausragenden Interpretationen veröffentlichen, als bloß eine weitere 'ganz ordentliche' Gesamteinspielung. Die Bravour, mit der sie diese drei Quartette eingespielt haben, macht freilich Lust auf mehr. [sal: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Dmitri Shostakovich / Ostrobothnian Chamber Orchestra, Juha Kangas "Suite On Finnish Themes · Chamber Symphonies"

Klassik – Ersteinspielung eines vergessenes Werkes (2002)
(CD; BIS)

Meine Lieblings-CD zum Shostakovich-Zentenarium ist schon seit 2002 auf dem Markt, aber viel zu gut um unbeachtet zu bleiben. Die Weltersteinspielung der "Suite On Finnish Themes" aus dem Jahre 1939 von Dmitri Shostakovich (1906-1975) ist eine kleine Sensation, denn das Werk mit Orchestrierungen finnischer Volkslieder war eigentlich ein Auftragswerk der sowjetischen Armee zu Kriegszeiten, wurde jedoch nie aufgeführt und vom Komponisten aus naheliegenden Gründen verschämt verschwiegen. Zu dieser Scham bestand gar kein Anlass: Es ist unüberhörbar, dass Shostakovich mit dem ausnehmend freundlichen Charakter der Lieder, hier hinreißend gesungen von Anu Komsi (Sopran) und Tom Nyman (Tenor), sich an seinem Auftraggeber rächen wollte, dessen politische Ziele (nämlich die Besetzung Finnlands) er gewiss nicht unterstützte. So heiter und melodisch, ja geradezu ohrwurmhaft erlebte man Shostakovich sonst nie. Die freundlichen Kompositionen schwirren einem tagelang durch den Kopf.
Kontrastreicher könnte der zweite Teil des Albums mit den Bearbeitungen der Streichquartette Nos. 8 und 10 für Kammerorchester von Rudolf Barshai nicht sein. Die fröhliche Atmosphäre der Lieder weicht der düsteren Stimmung der beiden aufwühlenden Kompositionen, die in den zurückhaltenden (und vom Komponisten ausdrücklich autorisierten) Bearbeitungen eher noch an Intensität und Spannung gewinnen. Das Ostrobothnian Chamber Orchestra aus Finnland unter ihrem musikalischem Leiter Juha Kangas musiziert sowohl die heiteren Lieder, als auch die düsteren Streichquartett-Bearbeitungen mit besonderem Wohlklang. [sal: @@@@@]


Dmitri Shostakovich / Brodsky Quartet "The String Quartets"

Klassik – Der spannendste Kammermusikzyklus des 20. Jahrhunderts (1989)
(6CD; Teldec Classics)

Rechtzeitig zum Shostakovich-Jubiläum wurde nun einer der interessantesten Kammermusikzyklen der klassischen Musik in einer seiner besten Interpretationen wiederveröffentlicht. Die 15 Streichquartette von Dmitri Shostakovich (1906-1975) gehören, neben den 15 Symphonien, zu seinen wichtigsten und persönlichsten Werken. Sowohl seine künstlerische Entwicklung (zumindest jene seit 1938, dem Entstehungsjahr des ersten Quartetts), als auch sein privates Schicksal lassen sich an diesen intimen und bewegenden Kompositionen ablesen. Kammermusik ist bei Shostakovich niemals eine technische Fingerübung (oder gar Unterhaltung), sondern das Konzentrat persönlicher Empfindungen in revolutionären schöpferischen Ideen. Gerade in den Zeiten, in denen seine Orchesterwerke unter besonderer politischer Beobachtung standen, verschaffte sich Shostakovich in der Kammermusik die Freiheit, die er in der Symphonik zumindest vordergründig aufgeben musste.
Die vorliegenden Interpretationen des britischen Brodsky Quartet sind kompetent eingespielt, ihr Ansatz ist eigenständig und, betrachtet man die Quartette als Gesamtkunstwerk, in sich kohärent. Gerade bei den weniger populären Quartetten entfaltet das Brodsky Quartet sein unvergleichliches Einfühlungsvermögen, etwas, was sie vielen anderen Einspielungen voraus haben.
Neben den epochalen Ersteinspielungen des Borodin Quartetts aus den 1960er Jahren, ist der hier wiederveröffentlichte Zyklus die einzig überragende und gleichbleibend auf hohem Niveau vorliegende Gesamteinspielung der Streichquartette Shostakovichs. [sal: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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