#234 vom 19.02.2001
Rubrik Feature
Voodoo Jive – Rhythm & Blues im Schnelldurchlauf
Da sich die äußere Form des Blues sehr wenig, oder wenn, dann nur sehr langsam ändert, braucht man bei der Beurteilung desselben andere Maßstäbe, als bei strukturell offeneren Formen von Popmusik. Noch wichtiger als anderswo ist beim Blues die Intensität, die Unmittelbarkeit, mit der der Sänger/die Sängerin von den eigenen Erfahrungen berichtet. Dies nur als Erläuterung für all jene, die sich wundern warum zwei Alben, die vom oberflächlichen Höreindruck her sehr ähnlich klingen, unterschiedlich bewertet werden. Als ganz besondere Highlights in diesem Sinne möchte ich euch an dieser Stelle auf die unten besprochenen "Overcome"-Sampler hinweisen, sowie auf das brisante Album von Willie King. Viel Spaß beim lesen! [pg]
Etta James "Matriarch Of The Blues"
(CD; Private)
Ein großspuriger Titel, der natürlich hohe Erwartungen weckt. Doch das, was uns Etta James auf ihrem neuen Album serviert, ist mitnichten ein Highlight der jüngeren Bluesgeschichte. Schon der Opener, Dylans "Gotta Serve Somebody", kommt weder an das Original, noch an Pops Staples famose Coverversion heran. Ein platt rockiges Arrangement, spitz klingende, uninspirierte Bläsersätze und Ettas seltsam verschleppte Phrasierung – just not my business. Auch die anderen Nummern, größtenteils Standards wie "Born On The Bayou" oder "Try A Little Tenderness", können den Originalen kaum noch was hinzufügen. Einzig das zum Slowblues umgedeutete "Miss You" der Stones und eine schön entspannte "Hound Dog"-Version ragen über das Mittelmaß hinaus. Liebe Etta, bevor Du Dir das nächste Mal solche Lorbeeren aufsetzt, hör dir doch mal die letzten Werke von Kollegin Ruth Brown an! [pg: @@]
Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:
<#414: Various "Dirty Laundry - The Soul Of Black Country"> [bs:Â @@@]
DC Bellamy "Water To Wine"
(CD; Rooster)
Ein mir bis dato unbekannter Name, der sich, wie so viele, in traditionellen Gefilden bewegt, aber zuviel Feeling und Soul mitbringt, um abgeschmackt zu klingen. "Water To Wine" bietet uns viel groovigen Shuffle-Blues, inspirierten Gesang, intelligente Texte und eine spritzige Band. Die Songs aus Bellamys eigener Feder haben durchaus genug Gehalt, sodass man auf einen Klassiker wie "Dimples" ruhig hätte verzichten können. Ein schönes Album! [pg: @@@]
Willie King & The Liberators "Freedom Creek"
(CD; Rooster)
Der Dauerbrenner unter den Blues-Themen ist nach wie vor die Frau. Frau verlässt Mann und Mann ist so furchtbar traurig, dass er ein Lied darüber singen muss. Das Booklet zu Willie Kings neuer CD belehrt uns eines besseren: "Die alten Blues-Leute haben die Frau als Code für eine Nachricht benutzt, die in Wirklichkeit an den Boss adressiert war. Hättest Du gesagt 'My boss man treats me mean', hätten sie dich am nächsten Baum aufgeknöpft. Also hat man die Frau vorgeschoben." Willie King, 57-jähriger, Sänger, Gitarrist, Poet und Aktivist aus Alabama richtet die Beschwerde wieder direkt an den Adressaten. Auf "Freedom Creek" spielt er mit seinen rüde rumpelnden "Liberators" Delta-Blues von der direkten Sorte, meist mit einem funky Beat ala Rufus Thomas und mit jeder Menge sozio-politischer Attitüde. Willie King ist ein Freiheitskämpfer, der die Dinge beim Namen nennt. In seinen oft improvisiert wirkenden Texten fordert er Selbstbewusstsein und Zusammenhalt beim Kampf für bessere Lebensbedingungen, gerechtere Löhne und mehr Ehrlichkeit. Ein wichtiger Beitrag, um den Blues aus dem Ghetto der abgeschmackten Phrasen zu befreien. [pg: @@@@]
Eddy "The Chief" Clearwater "Reservation Blues"
(CD; Bullseye)
Seit gut 50 Jahren mischt er schon in der Chicago-Blues-Szene mit, über die zweite Reihe ist er allerdings nie so recht hinaus gekommen. Darüber kann man sich eigentlich nur wundern, denn "Reservation Blues" bündelt seine vielen Talente zu einem unwiederstehlichen Gebräu. Mit dem unverwüstlichen Duke Robillard an seiner Seite und einer mega-cool groovenden Band im Rücken swingt sich der Häuptling durch eine absolut kurzweilige Mischung aus Chicago-Blues, Chuck Berry-Rock'n'Roll und Soul. Hier ist keine einzige Note nur Selbstzweck, hier ist nichts neu und doch alles frisch. [pg: @@@@]
Various "Overcome, Vol. 1&2"
(CD; Trikont)
Alle Jahre wieder suchen sie uns heim, die "Golden Jubilee Singers", das "Golden Gate Quartett", die "Holy Harmony Singers", oder wie sie alle heißen mögen. Gospel gehört hierzulande zu Weihnachten, wie Puderzucker auf den Christstollen, und genauso klingen diese "goldigen" Chöre dann auch. Das hiesige Bildungsbürgertum rennt begeistert hin und versaut die ohnehin schon zahmen Darbietungen dann noch durch destruktives Mitklatschen auf die eins und drei. Au weia!
Die beiden "Overcome"-CDs, vom umtriebigen Trikont-Label liebevoll zusammengestellt und herausgebracht, bringen uns nun also den Gospel nahe, wie er in deutschen Stadthallen und Begegnungszentren nie zu hören ist. Auf einem Streifzug quer durch die Jahrzehnte hören wir hier den Stoff, wie er in den Kirchen der schwarzen Landgemeinden und amerikanischen Großstadt-Ghettos zu hören ist. Musik von atemberaubender Intensität, Ton gewordene Ekstase. Rhythmen, die Mauern erzittern lassen, Stimmen die schmerzen. Ganz nebenbei wird uns bewusst, dass hier vieles der heutigen Populärmusik, vom Soul über Funk bis hin zum House seinen Ursprung hat. Wie immer informiert ein ausführliches Booklet über Hintergründe und Zusammenhänge, wie z.B. die Bedeutung des Gospel für die schwarze Bürgerrechtsbewegung. Eine spannende und bewegende Exkursion, wenngleich nicht verschwiegen werden soll, dass über zwei Stunden religiöse Ekstase am Stück ziemlich anstrengend sein können. [pg: @@@@]
Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:
@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight