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[ << | Inhalt ]Ausgabe #534 vom 14.05.2007
Rubrik Feature

Jimi Hendrix Experience "Are You Experienced"

Pop – Vor 40 Jahren erschien das revolutionäre erste Album der Jimi Hendrix Experience
(CD; Polydor/MCA)

Seit Samstag, 12.5.2007 ist Mark Medlock, Deutschlands vierter Superstar, Nummer 1 der deutschen Pop-Charts. Meine Sympathien fliegen ihm zu. Leider wissen wir, dass er in der Popmusik keine nennenswerten Spuren hinterlassen wird. Anders als auf den Tag genau vor 40 Jahren: Am 12.5.1967 erschien das erste Album der Jimi Hendrix Experience. An diesem Tag wandelte sich die Popmusik.
Der 23-jährige Session-Gitarrist Jimi Hendrix hatte im Frühjahr 1966 die Schnauze voll. Hits in der Backing-Band von Little Richard, den Isley Brothers oder Curtis Knight runternudeln? Darauf wollte er scheißen können. Um seine radikalen Soundvorstellungen endlich umzusetzen, gründete Hendrix im Mai 1966 seine eigene Band: Jimi James & The Blue Flames. Chas Chandler, ex-Animals Bassist mit der Ambition zum Produzenten, erkannte Hendrix' Talent bei einem New Yorker Auftritt im Juli 1966. Der Brite holte den Gitarristen nach London. Mitch Mitchell, zuvor bei Georgie Fame & The Blue Flames sollte Schlagzeuger der Jimi Hendrix Experience sein. Noel Redding bewarb sich als Gitarrist für Eric Burdon; in derselben Londoner Session begegnete er Hendrix, der ihm "Hey Joe" vorsummte. Redding wurde zum Bassisten des Trios.

Das 'Jimi Hendrix Erlebnis'

Die Atmosphäre, in die Hendrix 1966 in London eintrat, schilderte der Musikjournalist Nik Cohn sehr anschaulich: »Immer dieselben Gesichter, dieselben müden Songs.« Hendrix' erste Gigs in den Clubs der Stadt im Sommer 1966 lösten Begeisterung aus; die Leute hatten ihr unvergessliches 'Jimi Hendrix Erlebnis', daher der Name der Band. Die Stones fürchteten sich: »Wir spielen den Blues nur nach und jetzt ist das Original in der Stadt!« Am 1.10.1966 spielten Cream einen Londoner Gig. Clapton, mit dem Chandler gesprochen hatte, bat den Neuankömmling auf die Bühne. Während Hendrix eine starke Version von "Killing Floor" herauspowerte, stand Clapton hinter der Bühne und bekam seine Zigarette nicht an: »Scheiße, der Typ spielt so verdammt geil,« soll er vor sich hingebrabbelt haben. Aus Hendrix' Sicht war der beste Gitarrist der britischen Szene der junge Jeff Beck.

Single-Hits nur ein Vorspiel

Neben den ständigen Gigs aber stand die Jimi Hendrix Experience schon im Oktober 1966 hochmotiviert im Studio. Hendrix kommentiert: »Wir haben zuerst "Hey Joe" aufgenommen und dann "Purple Haze". Wir hatten es geschafft! Es war unsere eigene Musik – nicht die von irgendeinem anderen.« Die erste Single "Hey Joe"/"Stone Free" erschien in England am 16.12.1966, in den folgenden Wochen erschienen auch "Purple Haze"/"51 Anniversary" und "The Wind Cries Mary"/"Highway Chile". Aus Geldmangel fanden alle Aufnahmen, auch die für das erste Album, in kurzen Sessions in ständig wechselnden Studios statt. Morgens stellte Hendrix einen neuen Song Mitchell und Redding vor, nach ein paar Stunden war er im Kasten. Doch in welchem Studio sie auch waren, Produzent Chas Chandler und der geniale Toningenieur Eddie Kramer waren immer dabei.

»Sammelsurium aus völlig freien Gefühlen«

Am Freitag, dem 12.5.1967 erschien in England das erste Album der Jimi Hendrix Experience: "Are You Experienced". Es machte Jimi Hendrix zum Superstar. Der Prophet musste also erst ins Ausland gehen, um erhört zu werden. Hendrix selbst beschrieb das Album so: »Du findest ungefähr zwei Rock'n'Roll-Songs, ein Blues-Stück und ein paar ausgeflippte Sachen. Ein Sammelsurium aus völlig freien Gefühlen.« (Quelle: Ken Voss) Aber nicht der Blues-Song "Red House" löste Furore aus, sondern Hendrix-Songs wie das laszive "Foxy Lady", das treibende "Manic Depression", der brutale Riff in "Fire", das dröhnende "I Don't Live Today", das psychedelische "Are You Experienced" und der Sci-Fi-Track "Third Stone From The Sun"! Wilde neue Soundwelten. So anziehend und so reizvoll, weil sie die eigene Erfahrungswelt übertrafen. Viele, wie Richie Unterberger und Sean Westergaard im "All Music Guide", beschreiben den ersten Hör-Eindruck des Albums »als wären Marsianer gelandet«. Und noch heute ist es fast nicht in einem Rutsch durchzuhören, eine solche Eruption findet dort statt.

Jimis orchestrale Gitarre

Hendrix spielte härtere Riffs, phantasievollere Licks und soundpraller mit der Elektronik als alle vor ihm: Er lässt seine Fender Stratocaster so atemberaubend schreddern wie das Triebwerk eines Raumschiffs, lässt sie als gigantische Flöte am Firmament erklingen und entlockt ihr den rohsten Blues-Sound aller Zeiten. Hendrix' Spiel ist dermaßen radikal, virtuos und facettenreich, dass der Musikwissenschaftler Lothar Trampert nach eingehender Analyse zum Ergebnis kam, Hendrix spiele eine »orchestrale Gitarre« – viele Rollen gleichzeitig. Und dazu kommt die Vielfalt der Stile auf "Are You Experienced": R&B, Heavy-Rock, Blues, Free-Jazz, Psychedelic und Spoken Word fusioniert Hendrix wie ein kunstvoller Kernreaktor.

Zwei Versionen eines Albums

Interessant ist, wie das Tracklisting des vier Monate später in den USA erschienenen Albums von dem der britischen Veröffentlichung abwich. Auch die Schreibweisen variierten. Das britische Album "Are you Experienced" vom 12.5.1967:

  • Foxy Lady
  • Manic Depression
  • Red House
  • Can You See Me
  • Love or Confusion
  • I Don't Live Today
  • May This Be Love
  • Fire
  • 3rd Stone from the Sun
  • Remember
  • Are You Experienced
Die US-amerikanische Version des Albums vom August 1967, die die Singles "Purple Haze", "Hey Joe" und "The Wind Cries Mary" enthielt, außerdem die "Foxy Lady" zur "Foxey Lady" machte:
  • Purple Haze
  • Manic Depression
  • Hey Joe
  • Love or Confusion
  • May This Be Love
  • I Don't Live Today
  • The Wind Cries Mary
  • Fire
  • Third Stone from the Sun
  • Foxey Lady
  • Are You Experienced?
Schade, dass die hinreißenden Single B-Seiten "Highway Chile" und "51st Anniversary" weder in der originalen britischen Version noch in der veränderten US-Version berücksichtigt wurden. Allerdings bringt die vorzügliche CD-Ausgabe von 1997 alle Singles zum originalen britischen Album.

Rap mit Lightnin' Rod & Buddy Miles

Sein künstlerisches Level hielt Hendrix mit seinem zweiten, noch experimentelleren Studioalbum "Axis: Bold A Love" (1967) und stieg im dritten in faszinierende psychedelische Blues-Tiefen hinab: "Electric Ladyland" (1968). Das posthum 1997 erschienene vierte Studioalbum, an dem Hendrix von 1968 bis August 1970 immer wieder arbeitete, dokumentiert allerdings eine Stagnation. Hatte Hendrix seine Inspirationsquelle schon 1968 erschöpft? Wegen der Dauertourneen? Noel Redding beklagte sich später: »ab Oktober 1966 bis 1969 haben wir 365 Shows im Jahr gespielt.« (Quelle: Jesse Nash) Da wir Hendrix nicht mehr fragen können, müssen wir genauer hinsehen: Was er noch vorhatte, das zeigt eine um Jahrzehnte verfrühte Rap-Session mit Lightnin' Rod, einem der Sprechsänger der The Last Poets aus dem Jahr 1969. "Doriella Du Fontaine" heißt der 8:42 lange Rap-Song. Hendrix spielte zum Rap zuerst seine funky E-Gitarre ein, danach den Bass; Buddy Miles spielte zuerst Schlagzeug, um danach ein paar Orgel-Sounds hinzuzufügen. Wer diesen perfekten funky Rap über eine Hure hört, der wird es nicht glauben wollen: So weit vorne stand Hendrix im Jahr 1969?

Termine standen fest: Gil Evans Orchestra & Jimi Hendrix

Ich habe mit den Trompetern Lew Soloff und Miles Evans, dem Sohn des legendären Gil Evans, vor einiger Zeit ein Bier in einer Kölner Kneipe getrunken. Da erzählten sie mir, dass Gil Evans mit Hendrix schon Termine klargemacht hatte: Virtuose Fusion-BigBand meets Hendrix. Als Hendrix dann unerwartet am 18.9.1970 starb, machte Gil Evans die Platte trotzdem und spielte unter anderem "Little Wing" ein. Schade auch, dass John McLaughlin seine Session mit Hendrix nicht zur Veröffentlichung freigeben will. Blues, R&B, Heavy-Rock, Pop, Funk, Psychedelic und Free-Jazz kennen wir von Hendrix; ich bin sicher, mit McLaughlin hörten wir ihn als Fusion-Gitarrist.

Wer weiterlesen möchte, dem empfehle ich das 200 Seiten starke Buch des Musikjournalisten Sean Egan "Not necessarily stoned, but beautiful. The making of Are You Experienced" (2002, Unanimous). [vw: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


Permalink: http://schallplattenmann.de/a115863


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