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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #451 vom 29.08.2005
Rubrik Texte - lesen oder hören

Carlos María Domínguez "Das Papierhaus"

Ungekürzte Lesung mit Jürgen Tarrach – La casa de papel: Von besessenen Lesern und leidenschaftlichen Büchersammlern
(2CD; Eichborn Lido)

Südamerikanische Autoren scheinen mit einer besonderen Vorliebe in ihren Büchern auch über Bücher zu schreiben (Borges, Bolaño, deSantis, Estrada, Sepúlveda, Márquez, Feinmann, etc.). Alles zwischen Magie und Realismus ist erlaubt. Auch in Carlos María Domínguez' "Das Papierhaus" geht es um Bücher und um Büchermenschen. Manische Leser und ebensolche Sammler. Die Einen folgen, Wörter verschlingend, Führern durch unendliche Parallelwelten und geraten in den Mahlstrom der Leselust, die Anderen versinken genussvoll in ihrer Raum füllenden Bibliothek, die gleichermaßen als Metapher für eine unübersichtlich gewordene Welt stehen könnte, die – hier wie dort – ohne funktionierendes Ordnungssystem schnell aus den Fugen geraten kann.
Das 92-Seiten-Büchlein liegt zwar schöner in der Hand, dafür flattern die gehörten Seiten der ungekürzten Hörbuch-Fassung angenehm ungekünstelt, von Jürgen Tarrach gelesen, durch die Ohren. Glücklicherweise keine theatralische Solo-Performance, sondern der Schauspieler tut, was ich im Allgemeinen von einer Lesung erwarte: Jemand liest. Dazu legt Tarrach etwas Melancholie in die Stimme, was ganz wunderbar zu dieser Geschichte passt.
Im Zentrum von "Das Papierhaus" (eigentlich: Das Haus aus Büchern) stehen zwei Personen, die direkt gar nicht auftauchen, da die Eine, Gedichte lesend, bereits im ersten Satz von einem Auto überfahren wird und der Andere über den Schluss hinaus rätselhaft verschollen bleibt. Wer mag, kann ein Binnenzentrum dazuhören, das sozusagen im Schatten der "Schattenlinie" (Joseph Conrad) ruht. Auch dort ging es um Unentrinnbarkeit, die man gelegentlich Schicksal nennt. Der namenlose Erzähler, in Cambridge Nachfolger der erwähnten, an Gedichten gestorbenen Literatur-Dozentin Bluma Lennon, erhält aus Montevideo ein Päckchen von Carlos Brauer, der zum Hausbau Bücher statt Ziegel verwendet. Darin ein Buch, an dem noch Zementreste und Mörtel kleben und das eine Widmung enthält: Für Carlos als Andenken an die verrückten Tage in Monterrey. Und es ist Conrads Roman "Die Schattenlinie". Damit wären wir bereits auf Seite neun und wer jetzt immer noch nicht neugierig geworden ist, dem könnte ich noch verraten, dass im Verlauf der Geschichte die Unendlichkeit versperrt wird, weil eine Kartei verbrennt, dass der Sinn des Lebens nicht in Büchern liegt (auch wenn sie dieses gelegentlich zu erklären versuchen) und dass es manchmal keine Antwort gibt – oder auch zu viele.
Haptikern, die mit Plastikbierdeckeln mit einem Loch in der Mitte nichts anfangen können, sei unbedingt noch das ebenfalls bei Eichborn erschienene bibliophile Bändchen empfohlen. [gw: @@@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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