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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #410 vom 01.11.2004
Rubrik Texte - lesen oder hören

Albert Camus / Ulrich Matthes "Der Fremde"

H̦rbuch РUlrich Matthes liest den genialen Krimi
(3CD; Patmos)

Ist "Der Fremde" ein Krimi oder kein Krimi? Immerhin geht es um den kleinen französischen Angestellten in Algier, den jungen Herrn Meursault, der einen Einheimischen erschießt. Das Merkwürdige: Meursault empfindet dies als Zufall. "Die Sonne sei schuld gewesen, er habe den Araber am Strand nicht erschießen wollen, sagt Meursault aus." Der Prozess rollt die vergangenen Tage im Leben des jungen Meursault auf. Seine Mutter war gestorben, er hatte im Altenheim bei ihr Nachtwache gehalten. Tage später hatte er eine Affäre angefangen, war mit ihr im Kino. Dann der Ausflug ans Meer mit seinem Zimmernachbar Raymond. Wenig später am Strand der Mord. Diese Chronik ist nichts Besonderes, doch der Ton, in dem Meursault berichtet, der verschreckt: Denn er berichtet in kurzen, klaren Sätzen ohne Schlüsse zu ziehen, ohne Zusammenhänge herzustellen, mit einem Unbeteiligtsein an sich selbst, dem Leben und der Welt, dass man ihn beinahe verachten will. Immer wieder die Phrasen "Ich wusste nicht", "Ich wollte nicht", "Das war mir gleichgültig", "Das bedeutete nichts". In der Todeszelle wünscht Meursault, um der Einsamkeit entgehen zu können, "dass am Tage meiner Hinrichtung möglichst viele Zuschauer da sein mögen und dass sie mich mit Schreien des Hasses empfangen".
Camus traf im Erscheinungsjahr 1942 das Lebensgefühl seiner Generation auf den Kopf. Der Fremde war damals ein "Muss": Das Chaos der zwei Weltkriege hatte der Welt die Zusammenhänge genommen. Selbst keinen Einfluss auf den Lauf der Dinge zu haben, war tägliche Erfahrung, ein Leben fast nichts wert. Und so könnte man "Der Fremde" in eine Chronologie mit faszinierender seelenverwandter Literatur stellen, wenn man möchte: Fjodor M. Dostojewski "Schuld und Sühne", Franz Kafka "Der Prozess", Albert Camus "Der Fremde", Bret Easton Ellis "American Psycho".
Der Schauspieler Ulrich Matthes (aktuell als Joseph Goebbels in "Der Untergang" im Kino zu sehen, auch Synchronsprecher von Kenneth Branagh) liest in 223 Minuten mit einem Verständnis, einer Eleganz und Tiefe, die in jede Silbe dringt. Herausragend. [vw: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


Permalink: http://schallplattenmann.de/a112504


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