#264 vom 08.10.2001
Rubrik Texte - lesen oder hören
Michel Houellebecq / Leonhard Koppelmann "Elementarteilchen"
Hörspiel: Mit Blixa Bargeld ins verlorene Reich der Realität – 2CD
(Audio Verlag)
An einer Universität hält ein Professor weit in der Zukunft eine Vorlesung über den Gründer der neuen Zivilisation: Präzise und sachlich berichtet er vom verlorenen Leben der Halbbrüder Bruno und Michel. Ihre Mutter, eine radikale Jüngerin der 1968er Ideale, widmet sich ganz ihrer sexuellen Selbstverwirklichung und sorgt so dafür, dass das Leben ihrer Söhne von kalter Einsamkeit geprägt ist. Bruno, der Ältere, wird Opfer seiner verzweifelten sexuellen Obsessionen, während Michel in seiner Molekularbiologie lebt und zwischen Supermarkt und Psychopharmaka nichts mehr schiebt, bis er an einem gentechnischen Institut das unsterbliche und geschlechtslose menschliche Wesen klont, seine Vision jenseits von Egoismus und sexuellem Elend, sein Fazit aus seinem zerrütteten Leben.
Dass Michel Houellebecq hier sein eigenes Leben reingesteckt hat, überrascht nicht. Dermaßen rührend und zerstörerisch fühlt es sich beim Lesen an. Dass aber auch das Hörspiel diesen sachlichen und gleichzeitig zermürbend rührenden Blick ins verlorene Reich der Realität rüberbringt, ein Hybrid aus Science-Fiction, Porno-Katastrophe, philosophischen Ergötzlichkeiten und Zeitportrait, das haben wir den Sprechern Blixa Bargeld, Lena Stolz, Michael Tregor, Vadim Glowna u.a. zu verdanken und vergessen wir diesmal nicht den Hörspielbearbeiter und Regisseur Leonhard Koppelmann. "Elementarteilchen", das ist ein 150-Minuten-Ritt durch Bus-Erektionen, Scheißefressen, Vergewaltigung, weinende Brüder, vögelnde Mutter, dem simplen Wunsch nach Zärtlichkeit und einem Schwanz, der nur zum Pissen dient – und das war's. Wertvoll. [vw]
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