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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #620 vom 09.03.2009
Rubrik Kolumne

Sal's Prog Corner #78

Hilfe! Mir ist langweilig! Als ich begann die Alben für die heutige Prog Corner zusammenzustellen, fiel mir auf, wie langweilig ich die allermeisten aktuellen Neuerscheinungen im Sektor finde. So langweilig, dass ich sie hier kaum vorstellen mag, so langweilig, dass sie noch nicht einmal für einen zünftigen Verriss herhalten können. Komisch: Ich habe den Eindruck, dass sich das allgemeine Niveau in Zeiten des großen Label-Sterbens eher verschlechtert hat (was freilich nicht nur für den Progressive Rock gilt). Man müsste doch meinen, dass die Krise das Mittelmaß und den Ausschuss heraussiebt, aber das Gegenteil scheint mir der Fall: Es kommt immer mehr Mediokres auf den Markt und wenig wirklich begeisterndes, originelles oder gut gemachtes Material. Die Krise der Musikbranche ist eben auch eine Krise der Musik, zumindest der, die klassisch vermarktet wird.
Hier nun also eine Auswahl an Material, das nicht gleich durch das Sieb gerasselt ist.
Es kommen bestimmt wieder bessere Zeiten und ansonsten gibt es genügend andere Musik, die man hören kann. Keep on proggin... [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Pendragon "Pure"

Progressive Rock – Pure Pendragon (it's only them again)
(CD/CD+DVD; InsideOut)

Seit 30 Jahren gehören Pendragon zu den festen Größen im Progressive Rock. Als eine der populärsten Bands der NeoProg-Welle der 1980er Jahre (andere Exponenten waren Marillion, Saga und IQ) sprechen die Briten den Mainstream-Hörer unter den Progressive-Rock-Hörern an, der von 'seinem Genre' bestimmte Stereotypen erwartet: Epische Länge der Tracks, ausufernde Instrumental-Passagen, Keyboard-Flächen und ein paar neckische Rhythmus-Wechsel. All das beherrschen Pendragon auf ihrem x-sten Studioalbum "Pure" aus dem Eff-Eff und immerhin haben sie auf den schleimig-käsigen Keyboard-Sound früherer Alben weitgehend verzichtet, ja ab und zu wird sogar mal 'gerockt'. Aber das ganze Album klingt wie schon einmal gehört und ich fühle mich dabei ertappt, wie ich ständig ein Stück, einen Künstler, ein Album auf der Zunge (respektive im Hinterkopf) zu haben scheine, aus dem diese oder jene Passage übernommen wurde. Das Album trieft von Pathos, 'anspruchsvollen' Texten und abgegriffenen Klischees.
Wenn ich fair bleibe, dann muss ich "Pure" zumindest 'solides Handwerk' attestieren und dabei bin ich ausnahmsweise einmal nett und ignoriere den flachen, unechten Drumsound. Aber mögen muss ich "Pure" trotzdem nicht, oder? Am Ende singt Bandkopf Nick Barrett "It's Only Me" – jo, das stimmt auffallend. [sal: @@]


Lobster Newberg "Actress"

Quelle: http://www.justforkicks.de

Jamrock/Progressive Rock – Coole, zeitlose Scheibe
(CD; Lobster Newberg)

Erinnert ihr euch noch an die Scheibe der US-amerikanischen Jamrocker Umphrey's McGee "Anchor Drops" (2005)? Das frische Album des Chicagoer Sextetts verband damals Elemente des in den USA sehr populären Jamrock mit Versatzstücken des Progressive Rock. In ähnlichem Fahrwasser bewegt sich das ebenfalls in Chicago beheimatete Quartett Lobster Newberg auf ihrem mittlerweile zweiten Album "Actress" (übrigens: Ein dämlicher Titel für ein Rock-Album und ein geschmackloses Cover); schon ihr Debüt "Vernal Equinox" (2007) hatte in der Prog-Szene für Aufsehen gesorgt.
Auf "Actress" spielen die vier Musiker eine gut hörbare, aber keineswegs flache Mischung aus Jam-, Blues-, Jazz- und Rock-Elementen, vorwiegend 'klassischer Prägung' (also mit starkem 1970er-Jahre-Touch). Auf die Zeitlosigkeit ihrer Musik ist Bandboss und 'einziger Überlebender' des Debüts Colin Peterik (Gesang und Keyboards) dann auch besonders stolz (»Our music doesn't age«) und in der Tat: "Actress" ist für Fans der frühen Chicago ebenso ein heißer Tipp, wie für Verehrer der verspielten Prog-Rocker Gentle Giant oder Fans der Dave Matthews Band.
Und ja: Colin Peterik ist der Sohn des ehemaligen Survivor-Bosses Jim Peterik – aber das färbt glücklicherweise nicht auf seine Musik ab. [sal: @@@]


Pure Reason Revolution "Amor Vincit Omnia"

Pop/Progressive Rock – Der Fluch des zweiten Albums
(CD; Superball)

Ihr Debütalbum "The Dark Third" (2007) gehörte für mich zu den lockersten, unverkrampftesten Alben der letzten Jahre. Endlich mal ein Album, dass der Fan seinen Freunden und Kollegen vorspielen konnte, ohne ein mitleidiges Augenverdrehen zu ernten. Entsprechend optimistisch war ich dann auch für das Folgealbum: Die Band schien genügend unverkrampfte Energie zu haben, um mich mit psychedelischen Klängen und schönem Chorgesang ein zweites Mal zu verzaubern. Ein etwas voreiliger Schluss, wie mir schnell klar werden sollte, als ich "Amor Vincit Omnia" ein paar Mal gehört hatte.
Sicher, der charakteristische Chorgesang ist immer noch da, doch anstatt ihn mit psychedelischen Klängen, wabernden Keyboards und verzwirbelten Sounds zu vermengen, klingen Pure Reason Revolution auf ihrem zweiten Album über weite Strecken wie eine Achtziger-Revival-Band. Wurden sie beim Debüt noch als 'fehlendes Bindeglied zwischen dem 21. Jahrhundert und Pink Floyd' gefeiert, so klingen sie heute eher wie das 'fehlende Bindeglied zwischen Human League (oder anderen irrelevanten Synthie-Pop-Bands) und einem Anfängerkurs für E-Gitarre': Man addiere eine schrammelnde E-Gitarre zum Plastik-Sound der Achtziger, füge ein paar altmodische Chöre hinzu (die dann auch noch unfreulicherweise im Soundbrei schnell untergehen) et voilà: Fertig ist das neue PRR-Album.
So gut "The Dark Third" war, so schlecht ist "Amor Vincit Omnia" geworden. Das bisher enttäuschendste Album des Jahres. [sal: @]


Andrew Gorczyca "Reflections - An Act Of Glass"

Adult Orientated Rock – Große Namen, kleine private Hommage
(CD; Progrock)

Andrew Gorczyca war ein US-amerikanischer Gitarrist und Songschreiber, der 2004 als 40-jähriger verstarb, ohne jemals auch nur ein Album veröffentlicht zu haben. Sein Bruder Chris sichtete das verbliebene Demo-Material und machte sich daran, die Songs seines Bruders mit einigen der arriviertesten Musiker der Progressive-Rock-Szene einzuspielen: Adrian Belew (King Crimson), Nick D'Virgilio, Dave Meros und Ryo Okumoto (Spock's Beard), Ted Leonard (Enchant), Mike Keneally (Frank Zappa) und viele weitere Gäste haben geholfen dieses 'Tribute-Album' einzuspielen.
Musikalisch bewegen sich Gorczycas Stücke mehr oder minder im Fahrwasser des Mainstream-Rocks ('Adult Orientated Rock' will ich hier nicht als Schimpfwort verstanden wissen) und so ist es dann auch nicht verwunderlich, dass mich das Album insgesamt etwas langweilt. Einige Songs (etwa der Opener "The Tall-Tale Heart", gesungen von Nick D'Virgilio und "How Can We Go On This Way?" gesungen von Adrian Belew) gehen dann aber doch ins Ohr, dennoch: Wer hier Großes erwartet, weil so viele große Namen beteiligt waren, der muss enttäuscht sein. "Reflections - An Act Of Glass" ist ein kleines, privates Tribute-Album (with a little help from friends) geworden, in dem Chris Gorczyca vor allem das Vermächtnis seines verstorbenen Bruders aufarbeitet. Andrew selbst ist übrigens nur auf einem Track, dem abschließenden "All Fixed (Predestination)" als Sänger zu hören. Für Fans der oben genannten prominenten Musiker ist dieses Album eher irrelevant.
Das Album ist beim 'großen Versender' nur als teurer Import erhältlich, deutlich günstiger ist es beim spezialisierten Fachhändler. [sal: @@]


Gutbucket "A Modest Proposal"

Avant/Jazz/Progressive Rock – Alles andere als bescheiden
(CD; Cuneiform)

Das Avant-Quartett Gutbucket aus den USA (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Truppe aus Kiel) machen auf ihrem vierten Album "A Modest Proposal" alles andere als einen bescheidenen Eindruck: Die New Yorker spielen eine hübsch aggressive, energiegeladene und Genre-überschreitende Mischung aus avantgardistischem Rock, Jazz und sonstigem schrägen Zeugs. Dabei steht vor allem der Saxophonist (und Bandleader) Ken Thompson im Vordergrund, der quasi den Part des nicht vorhandenen, aber auch nicht weiter fehlenden Sängers übernimmt. Der Sound der Band lebt allerdings in gleichen Teilen von Thompsons Sax wie von der kraftvollen Rhythmus-Sektion (Adam D. Gold, dr.; Eric Rockwin, b) und der schrägen, originellen Solo-Gitarre von Ty Citermann. Das Ergebnis ist gewiss nicht jedermanns Sache, aber wer ihr Label Cuneiform kennt, der wird wissen, dass sich dahinter stets komplexe, non-konformistische Musik verbirgt – und genau das braucht man ja manchmal auch, n'est-ce pas?
Gutbucket sind just dieser Tage auf Europa-Tour: 10.3.2009 Berlin, 11.3. Mannheim, 13.3. Passau, 14.3. Köln, 15.3. Herne, 16.3. Karlsruhe. [sal: @@@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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