#284 vom 04.03.2002
Rubrik Feature
Historische Opern mit Beniamino Gigli, Teil 3
In den 30er und 40er Jahren initiierte das italienische Label La voce del padrone (His Master's Voice) ein ambitioniertes Projekt mit Meistertenor Beniamino Gigli als Galionsfigur. Die Aufnahmen galten als richtungsweisend für Aufnahme- und Interpretationskunst, freilich stand die Reihe deutlich unter dem Einfluss der tragischen Ereignisse, die Europa in den Wirren des 2. Weltkriegs erschütterten. [sal]
<#284: Giuseppe Verdi "Un ballo in maschera"> [sal:Â @@@@@]
<#265: Historische Opern mit Beniamino Gigli, Teil 1> [sal]
<#270: Historische Opern mit Beniamino Gigli, Teil 2> [sal]
Giuseppe Verdi "Requiem"
Verdis Trauer und Europas Grauen – Meisterwerk und Zeitgeschichte
(CD; Naxos Historical)
Am Vorabend des 2. Weltkrieges, im August 1939, nahmen das Orchester und der Chor der Oper in Rom unter Tullio Serafin Verdis Requiem auf. Zweifelsohne kein Zufall im Repertoire, sondern ein Statement zur Vergänglichkeit des Menschen und, so erscheint es uns heute, ein grausam-visionärer Vorgriff auf die Ereignisse, die Europa bald schon in Schutt und Asche legen sollten.
Erstaunlich, wie provokant politisch angepasste Künstler wie Beniamino Gigli, Maria Caniglia, Ebe Stignani und Ezio Pinza (und natürlich die faschistische Oper par excellence, die römische Oper) in jenen Tagen schon zu sein wagten, sei es, weil sie sich der Unausweichlichkeit des herannahenden Krieges fügten, sei es, weil das faschistische Italien schon vor Beginn des Krieges deutlich an Unterstützung seitens der Bevölkerung, der intellektuellen Avantgarde und der Künstler verloren hatte.
Verdis Requiem kann man sich auf jeden Fall kaum kraftvoller, emphatischer, verzweifelter vorstellen, als in dieser Aufnahme. Gigli und seinen Mitstreitern gelingt der problematische Spagat zwischen der opernhaften Anlage des Werkes und dem tief-religiösen Inhalt: Der Schwerpunkt liegt so deutlich auf dem Ausdruck des Tragischen, dass man sich heute kaum vorstellen kann, eine Aufnahme mit dieser Grundstimmung zu machen. Fast so, als ob der Tod seinerzeit grausamer gewesen sei, als heute, fast so, als ob die Trauer, die bald schon über Europa hereinbrechen sollte, in dieser Aufnahme gebündelt und verstärkt ihren vorweggenommenen Ausdruck gefunden hätte. Eine schlichtweg überwältigende Aufnahme. [sal: @@@@@]
Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:
Giuseppe Verdi "Un ballo in maschera"
Verdis Maskenball als Parabel des kriegerischen Italiens –
(2CD; Naxos Historical)
Die mitten in den Wirren des zweiten Weltkriegs entstandenen Aufnahmen zu Verdis "Un ballo in maschera" (Ein Maskenball), könnten leicht mit ihrer Verschwörungs-, Rache- und Eifersuchtsthematik als Spiegelbild der bröckelnden faschistischen Macht und der ambivalenten Beziehung zum Verbündeten, dem nationalsozialistischen Deutschland gedeutet werden. Ausgerechnet der engste Vertraute wird zum Mörder des Königs, so wie man mit gewisser Berechtigung behaupten könnte, dass die fatale Verstrickung in nationalsozialistische Machtgelüste zum schnellen Verfall der ohnehin schon brüchigen faschistischen Souveränität beigetragen hat. So gesehen muss man die 43er Aufnahme des Maskenball unter Tullio Serafin mit Orchester und Chor der Oper Rom gewissermaßen als Ehrenrettung des Faschismus sehen, nicht als seine moralische Demontage.
Doch fernab der zweifelhaften politischen Aussage, ist die vorliegende Aufnahme freilich eine Interpretation allerhöchsten Ranges, alleine schon wegen eines blendend aufgelegten Beniamino Gigli, der sich unüberhörbar stark mit der Rolle des leidenschaftlichen, letzten Endes aber moralisch integeren Prinzipals identifiziert und diesen pathetisch, wenn auch für heutigen Ohren eindeutig 'altmodisch' vorträgt. Wie so oft in der historischen Diskografie hat Toscaninis Aufnahme (1940 an der New Yorker MET mit Jussi Björling) als mindestens ebenbürtig zu gelten, dennoch ist diese Aufnahme, nicht zuletzt wegen ihres vorzüglichen Klangs und der unglaublich detailreichen Restaurierung, eine echte Empfehlung für den historischen Opernentdecker, für Freunde von Verdis Opern sowieso. [sal: @@@@@]
@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight