Hinweis: Ihr Browser unterstützt nicht alle grundlegenden Web-Standards, und deshalb sehen Sie diesen Hinweis und das Layout nur in Auszügen. Bitte verwenden Sie einen aktuelleren Browser.

Keine Anzeige
LogoSeit 1996: Aktuell und unabhängig!

[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #597 vom 08.09.2008
Rubrik Neu erschienen

Joan Baez "Day After Tomorrow"

Folk – Altersweises, von Steve Earle strikt akustisch produziertes Spätwerk der Folk-Ikone
(CD, LP; Proper)

Eigentlich braucht es nicht viel, um ein gutes Album zu machen: Eine Handvoll Songs, die uns etwas erzählen über uns und die Welt, in der wir leben. Eine Stimme, die diesen Songs Leben einhaucht. Ein paar Musiker, die ihr Handwerk verstehen, ohne es nur als Handwerk zu verstehen. Einen Produzenten, der aus all dem die Essenz destilliert. Klingt wenig – und doch: Wenn nur eine dieser Koordinaten schwächelt, kann man das Ergebnis in der Regel in die Tonne treten. Dass Joan Baez' neues Album – das erste Studiowerk seit fünf Jahren – derart gelungen ist, lässt sich dennoch nicht einfach damit erklären, dass hier jede Position perfekt besetzt ist. Da ist schon etwas mehr im Spiel, eine Qualität, die sich jeder rationalen Definition entzieht und nur Künstlern zu eigen ist, die keine Grenze mehr kennen zwischen sich und dem was sie tun.
"Day After Tomorrow", staubtrocken produziert vom Songwriter Steve Earle, der auch drei Songs beisteuert, ist Joan Baez in schönster Reinkultur. Da ist zunächst diese Stimme: voll, reich, durchlebt und ganz anders als der glockenhelle Sopran früherer Jahre. Nur zum Vergleich: Als Baez 1968 ihr Dylan-Album "Any Day Now" herausbrachte, staunte man wohl über den melodischen Reichtum, den sie den genölten Originalen abtrotzte – von der emotionalen Vielschichtigkeit und dem sarkastischen Witz Dylans blieb sie indes meilenweit entfernt. Sowas passiert ihr heute nicht mehr: Heute durchdringt sie die Songs ihrer liebsten Songwriter bis in die tiefste Faser. Angefangen beim Titelsong: Im Repertoire seines Schöpfers Tom Waits ist dieses direkte, vollkommen metaphernfreie Antikriegslied eher ein irritierendes Kuriosum, bei Joan Baez findet es hingegen seine wahre Heimat. Baez hat an Pathos verloren und an Dringlichkeit gewonnen - was nicht zuletzt auch ein Verdienst der rein akustischen Instrumentierung und der genauso zurückgenommen wie homogen spielenden Band ist. Neben Waits und Elvis Costello ("Scarlet Tide") sind es vor allem wenig bekannte amerikanische Songschreiberinnen, denen sich die große alte Dame des Folksongs widmet, wobei Vergänglichkeit, Tod, Glaube und Erlösung die beherrschenden Themen des Albums sind. Diana Jones' Bergarbeiter-Drama "Henry Russel's Last Words" kann man eigentlich nur mit feuchten Augen hören. Man muss nicht religiös sein um bei Eliza Gilkysons "Requiem" auf die Knie zu sinken. »Oh Mother Mary, come and carry us in your embrace!« fleht sie und trägt den Hörer an Orte, die nur große Musik erreichen kann. Mit diesem innigen, ideologiefreien Folk-Purismus ist Joan Baez vielleicht näher bei sich selbst als je zuvor. Da macht es gar nichts, dass "Day After Tomorrow" gewiss kein popmusikalischer Meilenstein ist – sondern einfach nur ein reifes Alterswerk voller Wärme, Tiefe, Trost und Schönheit.
(Zuerst veröffentlicht in den Nürnberg Nachrichten) [pg: @@@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


Permalink: http://schallplattenmann.de/a117294


(cc) 1996-2016 Einige Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist unter einem Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung Lizenzvertrag lizenziert. Um die Lizenz anzusehen, gehen Sie bitte zu http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/.

http://schallplattenmann.de/artikel.html
Sprung zum Beginn der Seite