#422 vom 07.02.2005
Rubrik Tipp der Woche
Juli Kapelle "Materie:"
Independent Rock – Entkommensversuchsführung für Bleiberinnen und Niemand besonderes oder: Bevor du ankommst bei der Plastikinsel, die alles ansaugt und verschlingt, schick mir Nachricht oder einen prächtigen Meteoritenschwarm
(CD; t und TT)
Große Alben brauchen keine guten Sänger. Genialität tut's auch. "Materie:" ist so ein Glücksfall. Acht Jahre der Entstehung haben etwas Perfektes geboren. Unter deutschsprachigen Rock-Poeten fällt mir nur der Österreicher Herwig Mitteregger ein, dem in einem anderen Jahrtausend ebenfalls ein solcher Wahnsinns-Coup gelang. Der Titel – es kann gar keinen anderen geben – sagt schon alles: Materie gibt dem Urstoff der außerhalb unseres Bewusstseins vorhandenen Wirklichkeit einen Namen. "Materie:" als CD (über Deutungsmöglichkeiten des Doppelpunkts lässt sich lange nachdenken) ermöglicht einen Blick in etwas, was neben bekanntem Mainstream-Spliss deutsche Rockmusik auch sein könnte.
Hier offenbart sich ein Romantiker, einer mit Zärtlichkeit, Spott, Ironie und Intelligenz. Und er hat erkannt, dass Tanzen Träumen mit den Beinen ist. Rock-Poesie mit durchaus auch experimentellem Charakter. Selbstverständlich setzen sich auch die Songs der Juli Kapelle aus bereits existierenden Partikeln zusammen. Je nach individueller Neigung können sich Schattenbilder von Will Oldham, Motorpsycho, Das Weeth Experience, Residents, Spliff, Pothead oder Fehlfarbens "Paul ist Tot" einstellen.
Schon lange keine so schöne Platte mehr gehört. Juli Kapelle, wir sehen uns am Jahresende in der Lieblingsliste. Und grüßt mir die Leoniden. [gw: @@@@@]
Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:
@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight
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