#421 vom 31.01.2005
Rubrik Texte - lesen oder hören
Umberto Eco / Manfred Hess "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana"
Inszenierte Lesung – Memento mobile oder: Ein Bilderbuch wird verhört
(4CD; Hörverlag)
Nach den Erfolgen "Der Name der Rose" und "Das Foucaultsche Pendel" nahm sich Umberto Eco einer semi-biografischen Erinnerungsarbeit an, die eine Jugend in der norditalienischen Provinz in Kriegszeiten zum Thema haben sollte. Der Roman ist nie erschienen und Umberto Eco legte stattdessen "Die Insel des vorigen Tages" vor. Mehr als eine Dekade später wollte der Verlag wohl ein neues Buch und die bereits erwähnten Kindheitserlebnisse wurden von Eco mit einer eigenartigen Koma-Geschichte zusammengeschraubt und veröffentlicht (interessant ist auch, was der Autor nicht schreibt). La misteriosa della pubblicazione.
In beinahe allen Texten des Semantikers Eco geht es um Zeichen und um Bilder. Und Letzteren ist nicht immer zu trauen. In der Rahmenhandlung stellt ein aus dem Koma erwachter Mann fest, dass zwar sein Kurzzeitgedächtnis funktioniert, er sich an auswendig Gelerntes aus der Vergangenheit, aber nicht an autobiographische Fakten erinnern kann. Er weiß weder seinen Namen, noch kennt er Frau, Tochter, Eltern, Angestellte oder Freunde. In einer großen Rückwärtsbewegung versucht der Protagonist die nebligen Leerstellen anhand von Büchern, Comics, Schulheften und Schallplatten zu füllen. Mit Hilfe von Flash Gordon, Micky Maus, Mussolini, alten Werbeschnipseln und Illustrierten, einer Vespa und schließlich durch das imaginieren eines aus seinem Leben verschwundenen, aber nie vergessenen Mädchens, entsteht eine Art Vergangenheitskonstrukt. Die Flamme aus Jugendtagen wird für den Genesenden schnell zur fixen Idee und was bei Franz Liszts "Liebestraum" eine verführerische Obsession, eine Geschichte von Begierde war, gerät bei Eco immer mehr zum Wahn. Was man nicht bekommen kann, beschäftigt ein Leben lang. Fortan finden weder Ehefrau noch Tochter besondere Beachtung. Durch ein erneutes Koma verlöschen schließlich sowohl Flamme, wie auch falsche und richtige Bilder.
Die Hörbuch-Fassung kann mit der schon bröseligen literarischen Vorlage nicht mithalten. Wo der 512-Seiten-Ziegel allein durch die 491 Bilder noch halbwegs funktioniert, fehlt der szenischen Lesung einfach der visuelle Kosmos. Abbildungen im Buch lösen beim Lesen andere Bilder aus, als die vorgelesenen. Da kann selbst ein Virtuose des Wortes wie Christian Brückner nicht viel ausrichten. Hier war wohl eher Ecos Gewinn versprechender Name Geburtshelfer, als der Romaninhalt. Immerhin ein schönes Beispiel, dass nicht aus jeder literarischen Vorlage auch erfolgreiche (meist gekürzte) Leseaktionen werden können. [gw: @@]
Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:
@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight
Permalink: http://schallplattenmann.de/a112777