#294 vom 13.05.2002
Rubrik Editorial
Vergangene Woche war ich wirklich entsetzt über die Spiegel-Titelgeschichte: "Das Leben und Töten des Robert S." Tragisch genug das Geschehen in Erfurt, nahezu unmöglich, eine befriedigende Erklärung für diese Tat zu finden. Aber muss man stattdessen auf Privat-Sender-Reportagen-Niveau einen Artikel verfassen? Wahllos irgendwelche Bands rausgreifen, nur um irgendeinen Schuldigen zu benennen? Musik, Videospiele, Filme sind nur ein Teil des Bildes. Kann man Künstler, egal welcher Couleur und welchen Niveaus, als Dummies für eine Gesellschaft einsetzen, die vorher schon unzählige Male versagt hat? Aber sollten sich Künstler nicht auch mehr der Verantwortung verpflichtet fühlen, als der stumpfen Provokation? Verzeiht mir den Pathos-Hauch, aber vielleicht ist es wirklich wieder an der Zeit, den Menschen zu sehen. Zuerst den Nächsten und dann erst sich selbst. Toleranz und Liebe nicht nur auf den Lippen zu führen, sondern im Herzen zu tragen. Oder, wie es die Publizistin Marion Gräfin Dönhoff 1995 bei einer Abiturientenfeier sagte: "Vielleicht werden sie fragen, was mir als geistige Einstellung für die Zukunft am wichtigsten erscheint. Ich denke, ihr müsst vor allem versuchen, tolerant zu sein. Gewiss, man könnte eine lange Liste aufstellen, aber wie lang sie auch sein mag, Toleranz muss jedenfalls ganz oben stehen." Es liegt an uns – so oder so! [dmm]
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