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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #609 vom 01.12.2008
Rubrik Kolumne

Sal's Prog Corner #76

Und wieder einmal geht ein Jahr zu Ende und wieder einmal ist es dem Progressive Rock nicht gelungen, die Weltherrschaft in der Rockmusik (wieder) an sich zu reißen. Überrascht? Ich bin es ehrlich gesagt nicht. »The world has moved on«, sagt Roland of Gilead, Protagonist der Dark-Tower-Reihe von Stephen King (die ich gerade lese) immer wieder. Und auch in Sachen Musik ist das nicht anders: Was einst populär war, wird nie wieder dieselbe Relevanz erhalten, gerade nicht in so essigsauren Rockzeiten wie diesen.
Dennoch bot das Prog-Jahr natürlich gute und weniger gute, hauptsächlich mittelmäßige oder 'ordentliche' Alben; Musik also, die den Test des Zahns der Zeit, der vielleicht schon bald an ihr nagt, nicht überstehen wird. Andere hingegen lassen uns hoffen, dass sie diesen Test bravourös bestehen werden.
In diesem Sinne: Bis zum nächsten Jahr, keep on proggin'... [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Genesis "Box Set 1970-1975"

Progressive Rock – Die wahren Genesis (1970-1975)
(7SACD+6DVD, 6LP; Virgin)

Selbstverständlich läuft diese Box ein wenig außer Konkurrenz: Die fünf Genesis-Alben mit Peter Gabriel als Frontmann gelten nicht nur bei Prog-Fans als Meilensteine der Musik des 20. Jahrhunderts.
Das letzte der drei Genesis-Box-Sets deckt die frühe Periode der Band ab, angefangen bei ihrem ersten richtigen Album "Trespass" (1970, über das wacklige Debüt "From Genesis To Revelation" (1969) hüllt sich selbst die Band lieber in Schweigen) über "Nursery Cryme" (1971), "Foxtrot" (1972), ihrem ersten Top-10-Album in Großbritannien "Selling England By The Pound" (1973) bis hin zum Doppelalbum "The Lamb Lies Down On Broadway" (1974). Darüberhinaus gibt es jede Menge Audio- und Video-Raritäten, darunter die legendären und bis dato ultrararen "Jackson-Tapes", vier Stücken, die Genesis für eine BBC-TV-Sendung produzierten, die aber dann nie gesendet wurde.
Meinem subjektiven Empfinden nach profitieren vor allem das Frühwerk "Trespass" und das Magnum Opus "The Lamb Lies Down On Broadway" am meisten von der sorgfältigen Bearbeitung; doch andere mögen das anders sehen. Für alle Alben gilt: höchstmögliche Transparenz im Klang (man hört Details, die man 30 Jahre zuvor nie gehört hat) und sorgfältigste Verarbeitung bis ins kleinste Detail (auch bei der Aufmachung der Box) – dies ist ein wundervolles Geschenk der Band an ihre zahlreichen Fans. [sal: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Frost "Experiments In Mass Appeal"

NeoProg – Befremdliche Versuche in Sachen Massengeschmack bei Prog-Fans
(CD, CD+DVD; InsideOut)

Das Debüt "Milliontown" (2006) von Frost konnte ich hier noch ruhigen Gewissens ignorieren. Es war nicht schlecht gemachter, aber unspektakulärer Rock mit leichten Prog-Anleihen, gefällig produziert und schwach gesungen – eine Charakterisierung, die auf viel zu viele Alben aus dem Sektor zutrifft. Doch am vorliegenden Zweitling "Experiments In Mass Appeal" komme ich nicht so leicht vorbei, denn Frost-Boss Jem Godfrey hat auf diesem Album die 'richtigen Konsequenzen' gezogen um seine Prog-Karriere nach vorne zu bringen.
Wer ist eigentlich Jem Godfrey? Jem Godfrey ist eigentlich erfolgreicher Songschreiber und Hitproduzent (Ronan Keating, Atomic Kitten – ürgsel!) und hat Frost, seinen musikalischen Ausbruch aus dem Pop-Einerlei, minutiös geplant. Er rekrutierte exquisite britische Musiker (John Jowitt und Andy Edwards von IQ, John Mitchell von Arena) und kleisterte das Debüt mit zahlreichen Zitaten und altmodischen Klängen zu. Weil das nicht reichte, holte er nun für das zweite Album den sehr guten Sänger Declan Burke dazu und komponierte mit unverhohlener Berechnung ein Album, das weite Bereiche des Mainstream-Geschmacks im Prog abdeckt. Druckvoller Rock, semi-akustische Balladen, der unvermeidliche Longtrack – Frost macht alles richtig, Godfrey hat alles genau berechnet und das Album beeindruckt und erschreckt mich zugleich: Ist es wirklich so leicht, sich als Neueinsteiger die Klischees der Szene so schnell, so perfekt anzueignen und ein Album in einem Sound zusammenzubasteln, der funktioniert? Offenbar ja, denn das Album ist gelungen und gehört, bei aller Skepsis gegenüber der Vorgehensweise Godfreys, zu den allerstärksten Veröffentlichungen des Jahres im Prog-Mainstream. [sal: @@@@]


Jack Foster III "Jazzraptor's Secret"

Prog/Jazz/AOR – Popradio-kompatibles mit Prog-Momenten
(CD; Progrock)

Das vierte Album "Jazzraptor's Secret" des nach dem Sänger benannten US-amerikanischen Trios Jack Foster III vereint summa summarum genau das, was mir schon beim Debüt "Evolution Of JazzRaptor" (2003) positiv aufgefallen war und was Foster und seine Mitstreiter Robert Berry und Trent Gardner auf den folgenden Alben "Raptorgnosis" (2005) und "Tame Until Hungry" (2007) weiterführten: Mainstream-Rock wird mit Singer/Songwriter-Versatzstücken, Folk, angejazzten Passagen und einer ordentlichen Portion Prog-Elementen vermengt. Das Ergebnis ist ein gut hörbares Rockalbum, das sowohl dem Radiohörer auszugsweise gefallen kann, als auch den Rockfan nicht verjagt, wenn er das Album komplett hört. Freilich macht sich beim vierten Album eine gewisse Abnutzung und Gewöhnung breit, der charmante Überraschungseffekt ist aufgebraucht, Jack Foster III sind 'nur' ein weiterer ordentlicher Act aus der breiten amerikanischen Mainstream-Szene.
Die Benotung steht dann irgendwo zwischen 'solides Handwerk' und 'erfreuliche Delikatesse' in unserer Bewertungsskala. Ausschlaggebend für die bessere Note ist das überraschende, ungewöhnliche Highlight des Albums "God And War", von dessen schönen Chören und relaxtem Gesang man sich ruhig mehr gewünscht hätte. [sal: @@@]


Traumhaus "Die andere Seite"

Quelle: http://www.myspace.com/traumhausmusic

Progressive Rock – Traumhaftes auf Deutsch
(CD; Superskunk)

Deutsche Bands haben es traditionell schwer bei mir. Vielleicht weil mir aufgrund der räumlichen Nähe eben nicht nur die Perlen auf internationalem Niveau ins Haus geflattert kommen, sondern auch viele gut gemeinte, aber schlecht gemachte Amateur-Produktionen. Den Umkehrschluss, nämlich dass aus Deutschland immer nur minderwertige und provinzielle Alben kommen, widerlegt die deutsche und deutschsprachige (!) Formation Traumhaus mit ihrem zweiten Album "Die andere Seite", dass mal so eben ratzfatz das beste Album aus deutschen Landen ist (was allerdings dieses Jahr nicht sonderlich schwer war), das aber eben auch eine Menge internationale (und namhafte) Mitbewerber aussticht.
Auf ihrer Myspace-Seite benennt das rheinland-pfälzische Trio King Crimson, Paatos, Opeth, Tool und Genesis als Haupteinflüsse und in der Tat ist die geistige, oder besser gesagt musikalische Nähe zu diesen Bands nicht überhörbar – nur dass die Kombination als solche gar nicht mal so unoriginell ist und für genügend eigene Identität sorgt. Besonders möchte ich die poetischen, glücklicherweise aber nicht peinlichen, deutschen Texte der Band hervorheben, die gefühlvoll von Alexander Weyland gesungen werden. Außerdem gefällt mir das phantasievolle Drumming von Hans Jörg Schmitz und die melancholische Gesamtstimmung des Albums: ein überraschendes herbstliches Highlight. [sal: @@@@]


Edensong "The Fruit Fallen"

Progressive Rock – Starkes, altmodisch gemachtes Debüt
(CD; Edensong)

Als ich vor rund zwei Jahren über die US-amerikanische Band Edensong stolperte, hatte ich sofort das Gefühl, dass sich hier eine überdurchschnittlich gute Retro-Formation zusammengefunden hatte. Nun liegt (endlich) ihr Debüt "The Fruit Fallen" vor und mein langes Warten wurde nicht enttäuscht: Edensong gelingt ein großer Wurf.
Und es ist eine eigentümliche Mischung, die Bandkopf James Byron Schoen für seine Band entworfen hat: poetisch-melancholischer RetroProg mit Flöte, Geige und jeder Menge anderer akustischer Instrumente. Edensong unterscheidet von vielen anderen RetroProg-Combos, dass sie nicht im üblichen Genesis-Yes-Fahrwasser schwimmen (ich denke da an einige skandinavische Retro-Bands), sondern auf "The Fruit Fallen" aus altmodischen Bauteilen etwas wirklich Eigenständiges zusammengebaut haben.
Edensong bekennen sich zur Turn-me-up-Initiative, die sich gegen das stete Anheben der Lautstärke bei CDs ausspricht. Der Klang ist daher etwas ungewohnt, aber alles in allem gelungen. Das Album ist derzeit wohl nur theoretisch beim großen Versender erhältlich, auf der Homepage und der Myspace-Seite gibt es genügend (günstige) Bezugsquellen und ausreichend Auszüge zum Probehören. [sal: @@@@]


Martin Orford "The Old Road"

AOR – Ein müdes Album auf alten, eingefahrenen Wegen
(CD; GEP)

Bis vor kurzem war Martin Orford der fleißige Keyboarder der NeoProg-Formation IQ, außerdem Produzent, Förderer und Sideman alter Prog-Recken wie John Wetton und vielversprechender Newcomer wie Steve Thorne, zudem gelegentlich Solo-Künstler. Mittlerweile hat er sich weitgehend aus dem Musik-Business zurückgezogen und so ist es gut möglich, dass dies sein letztes Solo-Album ist. Orford spart nicht mit Kritik an der Internet-Mentalität, die durch das massive Downloaden seiner Musik seine Arbeit unrentabel gemacht hat, weil immer weniger Fans bereit sind für ein Album zu bezahlen und es stattdessen bei den einschlägigen Quellen downloaden. Ein letztes Mal, so scheint es, wollte Orford seine Lieblingsmusiker zu einer Produktion zusammentrommeln, um noch einmal ein 'altmodisches' Rock-Album zu produzieren.
Das Ergebnis "The Old Road" liegt nun vor und hinterlässt einen faden Beigeschmack. Zum einen wollen die allzu gefälligen, stark am Mainstream-Rock ausgerichteten Kompositionen zum größten Teil bei mir überhaupt nicht zünden, zum anderen hat man permanent den Eindruck, dass der großartige Musiker Orford nur noch halbherzig bei der Sache war und mehr an der Zusammenarbeit mit seinen Freunden und Weggefährten interessiert war als an den Ergebnissen. Diese klingen dann größtenteils alles andere als überzeugend; das Album wirkt auf mich inhomogen und wenn gar John Wetton singt, rutscht das Niveau bedenklich weit nach unten und klingt ähnlich schrecklich, wie die unlängst erschienene Asia-Reunion-Scheibe "Phoenix". Lediglich Steve Thorne sorgt mit seinem Vocal-Beitrag "Out In The Darkness" für ein echtes Highlight auf dem Album, der Rest ist im Durchschnitt sehr gut gespielter, solider Mainstream, den man schnell zur Seite legt. Für einen versöhnlichen Abschluss reicht es, leider nicht für mehr. [sal: @@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Anyone's Daughter "Piktors Verwandlungen"

Progressive Rock – Wiederauflage des erfolgreichsten Albums von Anyone's Daughter (1981)
(CD; Tempus Fugit)

Seit einigen Jahren war "Piktors Verwandlungen" der schwäbischen Prog-Institution Anyone's Daughter vergriffen, nun ist das Album endlich wieder erhältlich: Eine auch optisch schön gestaltete Neuauflage mit ausführlichen Liner Notes und einem gelungenem Remaster, das den bisherigen Klang deutlich verbessert, und ergänzt wird durch eine sehr schöne Demo-Version der Suite. Alles andere habe ich bereits beim Besprechen der zum Hermann-Hesse-Jahr (2002) erschienen Auflage gesagt: "Piktors Verwandlungen" ist ein 'Meilenstein des deutschen Prog', der vielleicht letzte der großen klassischen Ära. Was diese Neuauflage betrifft, bleibt hinzuzufügen: Dies ist wohl die ultimative CD-Ausgabe des Albums. [sal: @@@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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