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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #483 vom 08.05.2006
Rubrik Kolumne

Sal's Prog Corner #54

Hurra! Offenbar wurden meine Gebete aus der letzten Prog Corner erhört: Der Frühling wärmt uns seit einer Woche mit freundlichem Wetter die Seele.
Neben einem Kessel Buntes mit ungewöhnlich vielen (und deswegen heute kurz gefassten) Reviews, welche die gesamte Bandbreite des Progressive Rock abdecken – von Saga bis Tarantula A.D. – liegt das besondere Augenmerk der heutigen Ausgabe auf dem amerikanischen Songwriter, modernen Mozart und Tausendsassa Phideaux, dessen letzte beiden Alben "Chupacabras" und "313" (beide 2005) seine Bandbreite, sein Können und seine immense Kreativität belegen. Auch die vorangegangen Alben "Ghost Story" (2004) und "Fiendish" (2003) seien wärmstens empfohlen, zumal letzteres auf seiner Website zum freien Download bereitliegt.
Auch dieses Mal wünsche ich viel Vergnügen beim Lesen und Entdecken: keep on proggin'. [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


MMCircle "Sibylle"

Quelle: http://www.unicornrecords.com

Avantgarde – Zwischen Jazz und Kammermusik
(CD; Unicorn)

Das zweite Album des kanadischen Projekts MMCircle "Sibylle" präsentiert eine sehr eigentümliche Mischung aus Kammermusik und Jazz, eingespielt von einem Streich- und einem Jazzquartett um den Drummer und Komponisten Martin Maheux.
Solch eine ungewöhnliche Symbiose kannte man bisher bestenfalls von der belgischen Truppe Univers Zero, doch MMCircle legen ihre Schwerpunkte anders. Ihre Musik ist nicht düster-aggressiv, sondern eher zwischen der Schwermut der Streichquartette Franz Schuberts und dem zurückhaltenden, lyrischen Jazz eines Miles Davis anzusiedeln. Das Ergebnis klingt von der ersten bis zur letzten Sekunde völlig symbiotisch und kohärent. MMCircle sind keine Dilettanten auf zwei Gebieten, sondern exquisite Kenner und Könner, die in sechs spannenden Kompositionen die Berührungspunkte zweier verschiedener Gattungen aufspüren und in Musik verwandeln.
Gewiss: Diese Musik ist nicht für jedermann, aber dennoch viel zu gut, als dass sie im Wust der zahlreichen Neuerscheinungen untergehen sollte. [sal: @@@@]


Saga "Trust"

Melodic Rock – Gut gemachte Scheibe der kanadischen Kultband
(CD, CD+DVD; InsideOut)

Ich muss zugeben: Ich war nie ein Saga-Fan, auch nicht zu deren Hoch-Zeit in den 1980ern, als ich jung und unschuldig war. Ihre mittlerweile 17. Studioscheibe "Trust" wird mich nicht wirklich bekehren können. Dennoch muss ich respektvoll anerkennen, dass sich die Truppe um den charismatischen Sänger Michael Sadler nach einigen mediokren Aufgüssen oller Kammellen für "Trust" zu Hochform aufgeschwungen haben. Das Album ist nicht nur exzellent produziert, sondern enthält (endlich wieder) einige sehr gute und abwechslungsreiche Kompositionen, die im leicht modernisierten Saga-Sound dargeboten werden. Da können die alten Fans aus glorreichen Zeiten ("Worlds Apart", "In Transit") bedenkenlos zugreifen. "Trust" ist mit Sicherheit das beste Studioalbum der Truppe seit Urzeiten.
Fazit: Mit Saga ist nach wie vor zu rechnen; auch live ist das Quintett immer noch überzeugend, was sie gerade auf einer ausgedehnten Europa-Tournee belegen: 16.5.2006 Leipzig, 17.5. Wetzlar, 20.5. Dexheim, 21.5. Rockenhausen, 23.5. München. [sal: @@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Tarantula A.D. "Book Of Sand"

Avantgarde/Progressive Rock – Die neuen Wunderkinder der Szene
(CD; Kemado)

Will man die Musik von Tarantula A.D. in wenigen Worten zusammenfassen, so stößt man unweigerlich recht schnell an seine sprachlichen Grenzen. Das US-amerikanische Trio vereint den nonchalanten Anarcho-Touch von Bands wie ...And You Will Know Us By The Trail Of Dead, die psychedelischen Auswüchse der ganz frühen Pink Floyd (Syd-Barrett-Ära), einen Hauch klassischer Musik und den orchestralen, wuchtigen und avantgardistischen Sound neuer Prog-Formationen wie Taal.
Auf dem Konzeptalbum "Book Of Sand" geht es um den Aufstieg und Fall des römisches Imperiums. Glaubt man den Klängen des New Yorker Trios, so war es vor allem ein gewalttätiger, energiegeladener Aufstieg, voller Widersprüchlichkeiten, überraschenden Wendungen und ein fast zärtlicher, vor allem aber unheimlicher Niedergang – wahrlich eine interessante Deutung der Geschichte.
"Book Of Sand" ist eine bemerkenswert unkommerzielle und (deswegen) mutige Demonstration musikalischen Non-Konformismus'. Hier ziehen drei Musiker unüberhörbar ihr Ding durch. Ich wette, dass sie sich vor all den Etiketten grausen, die man (ich!) ihnen anheftet. Unterm Strich ist es aber völlig gleich, in welcher Schublade sie letzten Endes landen werden: Tarantula A.D. sind, wenn sie ihren Weg konsequent weiterbeschreiten, eine echte Bereicherung für die eigentlich seit Jahren innovationsarme Rockmusik. [sal: @@@@]


O.S.I. (Office Of Strategic Influence) "Free"

New Artrock/ProgMetal – Das Allstar-Duo und sein zweiter Streich
(CD, 2CD; InsideOut)

Musikalisch sind Office Of Strategic Influence (kurz O.S.I. und bisweilen noch kürzer OSI) irgendwo zwischen New Artrock mit dezenten Anleihen an Porcupine Tree und ProgMetal à la Fates Warning anzusiedeln. Kunststück, handelt es sich doch bei O.S.I. vornehmlich um das Projekt des Fates Warning-Gitarristen Jim Matheos und des Chroma Key- (und ex-Dream Theater-)Keyboarders Kevin Moore. Diese werden von Dream Theater-Drummer Mike Portnoy und dem Bassisten Joey Vera (ebenfalls Fates Warning) unterstützt – ein echtes Allstar-Ensemble also.
Glücklicherweise klingt das zweite Album "Free" homogen und alles andere als inszeniert und gewollt, wie viele andere Allstar-Projekte dieser Tage. Verdienst daran hat gewiss die klare Rollenverteilung zwischen den beiden Frontleuten einerseits und den Gästen andererseits und die Nähe von Matheos' und Moores musikalische Visionen, die gemeinsam schon auf Fates Warnings "A Pleasant Shade of Gray" Großes zustande gebracht haben.
In seinen besten Momenten bietet "Free" erfrischend modernen, urban kühlen und elektronisch aufgewerteten ProgMetal, der mir en gros abwechslungsreicher als das quasi zeitgleich erschienene Tool-Album "10.000 Days" erscheint. [sal: @@@]


Tool "10.000 Days"

Alternative/ Metal – Nichts Neues von den Szenenlieblingen
(CD; Zomba)

Punktgenaue Riffs, nervenzerfetzender Bass, exzellentes Drumming und ausdrucksstarker Gesang: Tool sind seit einigen Alben große Könner vor dem Herrn, denen der große Durchbruch in Europa bisher verwehrt blieb. Ob sich das mit dem neuen Album "10.000 Days" ändern wird, bleibt allerdings abzuwarten. Bei aller Sympathie für Tool und ihr überzeugendes und hypnotisches musikalisches Konzept, höre ich keine substanzielle Veränderung zum Vorgänger-Album "Lateralus". Mit viel gutem Willen könnte ich etwas variantenreicheren Gesang attestieren, aber insgesamt ist einfach zu wenig Neues auf dieser Scheibe, auf welche die Plattenfirma und die Band offenbar große Hoffnungen setzt. Das ist alles sehr gut gemacht, aber ich werde die gesamte Scheibe nicht das Gefühl los, einen Sampler aus den Vorgängeralben zu hören.
Mag sein, dass man nun mit massivem Marketing und besserem Timing neue Hörerschichten erschließen wird; für alle jene (wie mich), die Tool seit einigen Jahren kennen und schätzen, ist dieses Album leider nur eine – zugegebenermaßen exzellente – Blaupause der Vorgängerscheibe(n). [sal: @@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Umphrey's McGee "Safety In Numbers"

Jamrock – Songorientierteres Album der Truppe aus Chicago
(CD; InsideOut)

Als Umphrey's McGee ihr europäisches Debüt (und insgesamt fünftes Album) "Anchor Drops" auf dem deutschen Prog-Label InsideOut veröffentlichten, war die Aufregung in der Szene groß. So viel Spielfreude und Witz, so viel gute Laune und Spaß wirkten in der eher konservativ gesinnten Progressive-Rock-Szene schon fast blasphemisch. Das amerikanische Sextett konnte sich dennoch als einer der erfrischendsten Newcomer des letzten Jahres etablieren.
Ihr neues Album "Safety In Numbers" greift die Spielfreude des Vorgängers auf, doch anders als auf "Anchor Drops" haben die Mannen um Sänger und Gitarristen Brendan Bayliss nun deutlich songorientiertes Material in Albumform gebracht. Herausgekommen ist ein sehr der Americana-Tradition verpflichtetes Album mit unüberhörbaren Anleihen an Country- und Folkmusik, aber eben auch an den Jamrock und den Progressive Rock.
Am Album wirkte der unverwüstliche 1980er-Rock'n'Roll-Recke Huey Lewis und der Saxophonist Joshua Redman mit; das Cover-Artwork für das rundum stimmige Album stammt von Storm Thorgerson. [sal: @@@]


Tony Levin "Resonator"

Rock/Blues/ProgRock – Der vielleicht beste Bassist der letzten 25 Jahre mit einem Solo-Album
(CD; EMI)

Machen wir es kurz: Das neue Studio-Album "Resonator" vom Peter Gabriel- und ex-King Crimson-Bassisten Tony Levin ist, trotz einer wirklich ordentlichen Leistung, für mich eine kleine Enttäuschung. Sicher: Das Bassspiel des sympathischen Virtuosen Levin weiß, wie immer wenn er die Saiten bedient, zu überzeugen. Andererseits fehlen mir auf dem Album die kompositorischen Highlights, die Songs kommen mir zu bluesig, zu rockig, zu einfach gestrickt daher. Außerdem halte ich die Gesangseinlagen auf dem Album für überflüssig. Levin war auf seinen exquisiten Alben bisher immer ohne (eigenen) Gesang ausgekommen. Die neue CD bietet nun durch das 'Gesangs-Update' keine Verbesserung. Zwar ist Levin ein durchaus passabler Sänger, aber mir scheint, dass er den Gesang mit einer Vielzahl von einfacheren Songstrukturen erkauft hat. Wo sich kreative Musiker frei von Vers- und Strophenschemata entfalten können, kommt Levins Spiel sicherlich besser zur Geltung. Das Vorgänger-Album "Double Espresso" oder "B.L.U.E." belegen sein Können und seine Vielseitigkeit wesentlich eindrucksvoller: Hoffentlich kehrt Levin auf seinen Solo-Pfaden bald mit einem überzeugenderen Konzept zurück. [sal: @@]


Phideaux "Chupacabras"

Quelle: http://www.bloodfish.com

Rock/Pop/Progressive Rock – Ein Meisterwerk aus Resten (2005)
(CD; Bloodfish)

Ausgerechnet das Reste verwertende Album "Chupacabras" stellt den Höhepunkt im bisherigen Schaffen des US-amerikanischen Sängers und Songwriters Phideaux Xavier dar. Zusammen mit den musikalischen Weggefährten seiner Band Phideaux, dem Drummer Richard Hutchins, dem Keyboader und Produzenten Gabriel Moffat sowie zahlreichen anderen Gastmusikern, verwertete Phideaux Xavier unfertige Songs und verworfene Konzepte aus vorigen Albumprojekten. Welch ein Glück!
Dieses Album steckt voll hinreißender Melodien und augenzwinkernder Ideen. Allein das Titelstück, die 20-minütige Suite "Chupacabras", rechtfertigt den Kauf dieser immer wieder überraschenden Scheibe, doch das Album bietet noch weitere Highlights. Dabei bedient sich Xavier immer wieder aller möglichen musikalischen Zitate und wildert unbekümmert (und doch mit gewissenhafter Sachkenntnis) in allen Genres der Rockmusik zwischen 1970 und heute. So klingt "Party" wie ein frühes Stück der Pet Shop Boys (inklusive eines hübsch-ironischen Textes), die Trilogie "Ruffian On The Stairs" mit ihrer zynischen, nihilistischen Grundhaltung würde jeder Post-Punk-Band (den Stranglers?) gut zu Gesicht stehen.
Phideaux Xavier ist ein musikalisches Chamäleon und ein genialer Grenzgänger zwischen den Genres, der gemeinsam mit seiner Band ohrwurmhafte Melodien und superbe musikalische Ideen in exzellente Alben umzusetzen weiß. Seine übersprudelnde Kreativität wird uns noch so manches Husarenstück bescheren. [sal: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Phideaux "313"

Quelle: http://www.bloodfish.com

Rock/Pop/Progressive Rock – Ein Album ist ein Tag (2005)
(CD; Bloodfish)

Nach der genialen Resteverwertung "Chupacabras" spielte der US-amerikanische Songwriter, Sänger und Multiinstrumentalist Phideaux Xavier mit seinem bewährten Team das nun wieder songorientierte und musikalisch homogenere Album "313" ein. Dabei machte er, zum zweiten Mal in Folge, alles richtig. Wieder einmal sind die Songs wahre Ohrwürmer, die intelligenten Texte sprühen vor Witz und Weitsicht. Schon die Idee zum Album war originell: Am 13.3. (engl. Schreibweise 3/13) 2004 initiierte Xavier das Projekt, in dem er alle der insgesamt 13 Songs schrieb (!), die sich auf "313" wiederfinden. Stilistisch nähert er sich hierbei sowohl der psychedelischen Musik der 1960er, als auch der Indie-Kultur der 1980er Jahre (wobei natürlich zahlreiche andere Einflüsse hinzukommen). Das Ergebnis ist ein Album voll exzellenter Songs und der Beleg, dass Phideaux (die Band) sich partout nicht wiederholen wollen. Xaviers Kreativität (und die seiner Band) scheint ungebrochen: Das nächste Album "The Great Leap" ist so gut wie fertig, das übernächste Album "Doomsday Afternoon" in Planung. Es bleibt also weiterhin spannend. [sal: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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