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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #625 vom 20.04.2009
Rubrik Kolumne

Sal's Prog Corner #79

Heute habe ich einen ordentlichen Batzen Neuerscheinungen, die vorstellt werden sollen, also, keine langen Vorreden hier.
Aus gegebenem Anlass möchte ich aber dennoch zwei Ostereier aus dem Prog-Feld meinen Lesern ins Nest legen: Zum einen das neue Album der stark psychedelisch angehauten Experimental Dental School "Forest Field", zum anderen das neue Studioalbum der Jamrock-Truppe The Jacob Fred Jazz Odyssey "Winterwood". Dazu gibt es allerdings keine Ausführungen an dieser Stelle: Bildet euch selbst ein Urteil.
In diesem Sinne "Keep on rockin' in a free world" und wie immer: Keep on proggin'...
PS: Der aufmerksame Leser dieser Prog Corner wird sogar noch ein Goodie zum kostenlosen Download finden. [sal]


Cheer-Accident "Fear Draws Misfortune"

Avantgarde – Verstörend, fesselnd, hypnotisch, elektrisierend, verwirrend etc. etc.
(CD; Cuneiform)

Cheer-Accident? 16 anspruchsvolle, abwechslungsreiche und non-konformistische Alben in 25 Jahren Bandbestehen eines sich stetig wandelndes Musiker-Kollektivs, das bedeutet Cheer-Accident.
Das neueste Album "Fear Draws Misfortune" der in Chicago beheimateten Band ist eine atemberaubende Mischung aus allen möglichen Einflüssen und Stilen, so als ob Steve Reich, Magma, Faust, This Heat, Time Of Orchids, Sleepytime Gorilla Museum und King Crimson (und noch ein Dutzend anderer Bands) gleichzeitig musizieren würden. Musik, die offenbar nur dafür gemacht wurde, um den Hörer zu hypnotisieren, zu elektrisieren, zu schocken, zu verstören, zu fesseln, zu betören, zu verwirren, hinters Licht zu führen, zum Nachdenken anzuregen, zum genauen Hinhören zu animieren, verführen, verleiten...
Finger weg, wenn Musik nur unterhalten soll; unbedingt kaufen, wenn Musik endlich unterhalten soll. [sal: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Doubleyousee "Playing In Tongues"

Rock – Die vermutlich meisten Untertitel der Welt
(CD; Earmusic)

»Doubleyousee AKA Warren Cuccurullo featuring Terry Bozzio - Playing in Tongues: Holographic Jesus and the Cee Gee Alien Attack« Den vollen Projekt-Namen samt Album-Titel kriege ich mit über 120 Zeichen gerade noch so in einer SMS untergebracht. Und wenn ich mir es recht überlege, habe ich damit gar nicht einmal wenig über das Wesen des Albums gesagt, denn "Playing In Tongues" ist aufgedrehter, leicht irrsinniger und ausladender Kram. Und so ist das Intro des Albums "The Definitive Magical Miss Tickle Backwards Alphabet Song" nur ein weiterer weiterer Hinweis auf das hier zu hörende Spiel mit Worten, Klängen, Zitaten von ex-Zappa-Gitarrist Warren Cuccurullo (WC, gelesen Doubleyousee; auch ex-Missing Persons, ex-Duran Duran) und dem Drummer extraordinaire und ebenfalls Zappa-Eleve Terry Bozzio (ebenso ex-Missing Persons).
Et volià: Zappas unsteter, anarchistischer Geist weht nicht nur durch die bisher unveröffentlichte Zappa-Cuccurullo-Komposition "WreckElection", sondern durch das gesamte Album "Playing In Tongues". Man nehme den Titel bitte wörtlich: In wahrlich babylonischer Sprachverwirrung spielen sich Cuccurullo und Bozzio in Zungen durch ein comichaftes Alptraum-Science-Fiction-Panoptikum. Das entzieht sich jeder näheren Beschreibung (man höre sich einfach die Soundbeispiele auf der Myspace-Website an) und entzieht sich jeglicher Bewertung.
Nur so viel: Dies ist musikalischer Irrsinn auf höchstem Spielniveau. Wahlweise kann man damit Leute hypnotisieren oder in den Wahnsinn treiben. Oder beides. [sal]


Saga "The Human Condition"

Progressive/Melodic Rock – Ein gelungener Neuanfang
(CD; InsideOut)

Nach 30 Jahren schlägt die kanadische Rockband Saga ein neues, nicht gerade unwesentliches Kapitel auf: Mit Sänger Michael Sadler verloren sie eine der Trademarks der Band. Sadlers ausdrucksstarke und unverkennbare Stimme war lange Zeit sicherlich einer der wichtigsten Referenzpunkte im Sound der Band. Doch heuer will die Band mit dem neuen Sänger Rob Moratti belegten, dass Saga auch mit einer neuen Stimme gute Alben für die Fans abliefern kann. Nun, mit "The Human Condition" hat das Quintett schon einmal einen guten Anfang gemacht.
Moratti ist kein Sadler und will auch nicht so klingen und die Band nutzt den Besetzungswechsel zu einer behutsamen Revision des Sounds. Saga 2009 klingen moderner und druckvoller als etwa auf den letzten beiden Studio-Alben "10.000 Days" (2007) und "Trust" (2006), mehr noch: Ohne die typische Melodic-Rock-Stimme Sadlers wagen Saga progressivere und teilweise rockigere Kompositionen. Das macht "The Human Condition" zu einem recht kurzweiligen Prog-Album, ein Prädikat, dass ich gewiss nicht vielen Saga-Scheiben geben würde.
Wer Saga mit neuem Sänger aber nun gar nicht anhören will (was wirklich nicht klug wäre), der kann sich mit dem Michael-Sadler-Abschiedskonzert "Contact" in dreifacher Aufmachung (als Doppel-DVD, Doppel-CD und als Doppel-DVD/Doppel-CD-Set) auf trösten. Dieser Live-Mitschnitt ist fast zeitgleich mit "The Human Condition" erschienen, aber musikalisch gesehen gewiss die schlechtere Wahl. [sal: @@@]


Trank Zappa Grappa in Varese? "Play Zappa Live in Waremme 08"

Quelle: http://www.fazzulmusic.ch

Jazz/Avant/Progressive Rock – Eine kleine Verbeugung vor Zappa
(CD; Fazzul)

Wenn das Wörtchen "Wenn" nicht wär...: Eigentlich sollte an jenem Abend im belgischen Waremme das neue Live-Album der belgisch-schweizer Formation Trank Zappa Grappa in Varese? entstehen, aber das für diese Abend herbeigeschaffte Aufnahmegerät, machte nach nur 25 Minuten schlapp. Und so ist aus dem geplanten Album nur die EP "Play Zappa Live in Waremme 08" geworden mit 5½ exzellenten, witzigen und druckvollen Cover-Versionen von Zappa-Klassikern: "Willie The Pimp", "Mother People", "The Gumbo Variations", "Mom And Dad", "Apostrophe" und einer leider unvollständigen Aufzeichnung von "King Kong". Ach wenn das Album doch vollständig wäre...
So oder so kann ich aber konstatieren, dass TZGIV (Wie bitte sprechen die belgischen Mitglieder der Band den vollen Bandnamen aus?) auf diesem Album den Dialog von komplexem Jazz-Saxophon mit einer meist rotzig-punkig aufspielenden Rockband perfektioniert haben und die intelligente Musik Zappas macht im Avant-Jazz-Punk-Rock-Gewand einfach Spaß.
Erfreulich: Die EP steht auf der Website des Band-Initiators Markus Stauss kostenlos zum Download bereit, zusammen mit zahlreichen anderen Tracks seiner spannenden Projekte. Fans können dort auch die EP (und natürlich auch alle anderen Stauss-Produktionen) günstig erwerben. [sal: @@@@]


Blind Ego "Numb"

NeoProg/AOR/ArtPop – Das zweite Album des Soloprojekts des RPWL-Gitarristen
(CD; Red Farm)

Mit dem Debütalbum "Mirror" (2007) von Blind Ego (das Solo-Projekt von Karlheinz Wallner (RPWL) mit prominenter, angelsächsischer Unterstützung) konnte ich herzlich wenig anfangen. Das klang mir einfach zu sehr nach kalkuliertem 'Breitwand-Progrock light' allzu simpler Machart, technisch gut gemacht (wie alles aus der RPWL-Ecke), aber seelenlos, langweilig und letzten Endes austauschbar – und mit einer erschreckend geringen Halbwertszeit. Umso überraschter bin ich nun beim Zweitling "Numb". Nicht, dass man hier wirklich viel am Grundrezept geändert hätte, doch was auf dem ersten Album in meinen Ohren nicht funktionieren wollte, klappt auf "Numb" deutlich besser: Gut gemachter Mainstream-Prog mit hohem Rock-Anteil. Das Antiseptische des Debüts ist gewichen, Blind Ego klingen nun erdiger und dreckiger, wie eine gute (und echte) Band aus dem Sektor. Na also! Ich kann mich also doch noch über CDs wundern.
In dieser Verfassung könnte das deutsch-englische Quintett zu einem sehr unterhaltsamen Live-Act werden. Nachprüfen kann man das an folgendes Daten: 24.4.2009 Freising, 25.4. Reichenbach, 4.5. Bremen, 5.5. Hamburg, 6.6. Rüsselsheim und 7.5. Dortmund. [sal: @@@]


Extra Life "Secular Works"

Postrock/Avant – Furioses Debüt
(CD; Loaf)

Wer unter dem Label 'Postrock' prinzipiell eher getragene Musik erwartet, wird sich beim Debütalbum "Secular Works" der New Yorker Formation Extra Life ganz schön umgucken. Denn was das Quartett um Bandkopf Charlie Locker (Gitarre, Gesang und Keyboards) mit seinen Mitstreitern Karen Waltuch (Viola), Tony Gedrich (Bass) und Ian Antonio (Schlagzeug) hier an sprühender Kreativität und Energie in ein höchst abwechslungsreiches Album umgesetzt hat, ist alles andere als elegisch.
Kammermusik, ein Hauch 1980er-Indie-Rock, starke Avantgarde-Einflüsse, ein gewisser Grad an Härte und Aggressivität, einige wenige ruhige 'post-rockige' Momente und ungewöhnliche Gesangslinien: Extra Life machen auf "Secular Works" alles richtig und kreieren eine sehr eigenständige, typisch New Yorker Mischung aus verschiedenen Einflüssen. Wer Bands wie Present und King Crimson (Lizard-Phase und 1990er!) schätzt, wer vor ungewöhnlichem (aber gutem!) Gesang nicht zurückschreckt, der wird sich an diesem tollen Album wirklich erfreuen können. [sal: @@@@]


Gazpacho "Tick Tock"

NeoProg/Postrock/Alternative – das fünfte Alben der Norweger
(CD; HWT)

Ein Konzeptalbum über Antoine de Saint-Exupérys Notlandung im Dezember 1935 in der Sahara und dessen fünftägige Wanderung durch die ägyptische Wüste könnte zu einer bedeutungsschwangeren Schmonzette ohne Gleichen werden. Dass das neue Album "Tick Tock" des norwegischen Sextetts Gazpacho dennoch eine der erfreulichsten Neuerscheinungen des Jahres geworden ist, spricht unbedingt für die sechs Musiker.
Die Band, die sich spätestens seit ihrem letzten Album "Night" (2007) vom Nimbus der Marillion-Epigonen emanzipieren konnte, spürt auf "Tick Tock" die gesamte Bandbreite menschlicher Gefühle in solch einer Notsituation nach: Einsamkeit, Verzweiflung, Todesangst, Lebenswille, Demut, Erkenntnis: "Tick Tock" steht für das allgegenwärtige Schlagen des eigenen Herzens in der Stille der Wüste, für die stetig ablaufende Lebenszeit, für die Gleichförmigkeit der Wüste. Aus diesen Grundmotiven weben die Norweger ein emotional dichtes Album, voll schöner Klänge und Melodien, getragen von der wundervollen Stimme von Jan-Henrik Ohme. Musik irgendwo zwischen den besten Momenten von Bands wie Marillion und Muse, Radiohead und Sigur Rós. Und doch eigen. [sal: @@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Univers Zéro "Relaps: Archives 1984-1986"

RIO – Historisches aus den Archiven
(CD; Cuneiform)

Die 1980er Jahre waren für viele Rock-Bands nicht gerade ein Eldorado. Nicht nur, dass sie von der völligen Kommerzialisierung überrollt wurden, fragwürdige Moden und das aufkommende Musik-Fernsehen und die daraus resultierende fortschreitende Gleichschaltung in Sachen Musikgeschmack erlebten einen Höhepunkt. Für eine Avantgarde-Band wie Univers Zéro bedeutete dies noch weniger Auftrittsmöglichkeiten, unstete Plattenverträge und generell schwierige Arbeitsbedingungen. Daraus resultierten zahlreiche Besetzungswechsel, was nicht gerade dazu beitrug, die Band in ruhigen Fahrwassern durch eine schwierige Zeit zu geleiten.
Dennoch waren die Live-Auftritte der Band um Daniel Denis durchaus hörenswert. Das belegt die nun zusammengestellte Sammlung "Relaps" mit ausgewählten Live-Aufnahmen von Univers Zéro aus den Jahren 1984 bis 1986. Ich würde schamlos übertreiben, wenn ich dieses Album in die Folge der wichtigsten Veröffentlichungen der Band einreihen würde, aber "Relaps" ist mehr als nur eine Live-Sammlung nur für beinharte UZ-Fans. Das Album komplettiert mit gut ausgewählten Stücken das historische Bild einer der einflussreichsten Bands der RIO-Bewegung innerhalb des Progressive Rock. Eine hörenswerte Zeitreise. [sal: @@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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