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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #515 vom 18.12.2006
Rubrik Feature

Sal's Prog Corner #59

Noch vor dem Weihnachtsfest ein paar kurze Geschenktipps (und ein paar Warnungen) für Prog-Fans, hauptsächlich DVDs. Ende des Jahres ging der hyperaktiven Szene dann doch etwas die Puste aus und es erschien massenweise Mittelmäßiges und Austauschbares.
Wie dem auch sei, ich wünsche, wie immer, viel Spaß beim Lesen: Keep on proggin' und Have yourself a proggy Christmas. [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Twisted Into Form "Then Comes Affliction To Awaken The Dreamer"

ProgMetal – Schnell, hart, präzise, perfekt: Aber auch gut?
(CD; Sensory)

Sie sind so etwas wie die Weiterentwicklung zweier der wichtigsten norwegischen Metal-Acts, namentlich Spiral Architect und Extol, rekrutiert sich Twisted Into Form doch aus deren (ehemaligen) Mitgliedern: Leif J. Knashaug (voc) und Kaj Gornitzka (g) von Spiral Architect, David Husvik (dr) von Extol und dazu Erik Aadland (b). Anders als ihre Vorgängerbands sind Twisted Into Form nicht immer nur schnell, hart und dabei von einer fast beängstigenden (aber mittlerweile eher langweiligen) Präzision und Perfektion: Das Album "Then Comes Affliction To Awaken The Dreamer" überrascht mit jazzigen Anklängen und wechselnden Tempi bis hin zu ruhigen Momenten. Gut so! Der Band ist für zukünftige Produktionen noch mehr Mut in dieser Hinsicht zu wünschen, denn das Album überzeugt immer dann am meisten, wenn die mit Bravour vorgetragenen Gitarrenriffs durchbrochen und variiert werden. Wenn man Lust auf modernen, technisch hochwertigen ProgMetal bekommt, der dann und wann durchsetzt ist von einigen Genre-fremden Einflüssen, ist man mit diesem Album bestens bedient. [sal: @@@]


Jon Anderson "Tour Of The Universe"

ProgRock – Solo-DVD des Yes-Sängers
(DVD; Warner)

Eine Reise durch das musikalische Universum von Jon Anderson, gespickt mit Songs und Hits seiner Solo-Karriere, seiner Alben mit Vangelis und natürlich mit seiner Stammband Yes: Klingt das nicht interessant? Nein, klingt es nicht, es klingt stellenweise sogar einschläfernd und ganz und gar grauselig.
Schnell wird klar, warum Anderson als Solist niemals richtig Fuß fassen konnte: Seine Stimme bleibt zwar markant (wenn auch längst von ihrer Höchstform entfernt), doch ohne überragende musikalische Mitstreiter wird Anderson schnell zur Karikatur des esoterisch angehauchten Proto-Proggers, der in die Jahre gekommen ist und sich nicht dafür zu schade ist, sich auf der Bühne vor seinen Fans lächerlich zu machen. Lieber nicht, selbst die eingefleischtesten Yes-Fans könnten wirklich enttäuscht sein, spätestens beim vielköpfigen Kinderchor gehen dann wohl bei allen die Lichter aus. Man sollte aufhören, bevor man peinlich wird. [sal: @]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Barclay James Harvest "Caught Live"

Artrock – Archiv-Aufnahmen in Bild und Ton (1974/1978)
(DVD; Warner)

"Caught Live" ist ein vergessener, nie veröffentlichter Dokumentarfilm über die "Gone To Earth"-Tour von Barclay James Harvest aus dem Jahre 1977 (peinlich, peinlich: Auf dem Cover wird 1974 angegeben). Die Band befand sich seinerzeit auf dem Höhepunkt ihrer Kreativität. Es ist also prinzipiell erfreulich, dass dieser Film nun endlich erhältlich ist, auch wenn das Ergebnis nicht ganz überzeugen kann.
Trotz aller Restaurationsbemühungen konnte das Filmmaterial weder mit optimalem Klang noch Bild digitalisiert werden: Das Ausgangsmaterial ist einfach zu schlecht konserviert worden, zaubern kann man im digitalen Zeitalter eben immer noch nicht. Das technische Ergebnis bleibt eher bescheiden; die (alten) Fans können aber dennoch beruhigt zugreifen, wenn sie noch einmal ihre Lieblingsband sehen wollen, bevor der kommerzielle Ausverkauf einsetzte, denn die Magie, die die Band Mitte der 1970er Jahre ausstrahlte, ist auch in verminderter Qualität durchaus nachvollziehbar. Zusätzliche Konzertausschnitte von 1974, die üblichen Interviews etc. runden den positiven Gesamteindruck der DVD ab. Nicht essentiell, aber durchaus eine Bereicherung für Fans. [sal: @@@]


Emerson, Lake & Palmer "Pictures At An Exhibition"

ProgRock meets Klassik – Der erste erfolgreiche Prototyp von Rock-meets-Klassik-Alben (1970)
(DVD; Warner)

Spätestens mit ihrem zweiten Album "Pictures At An Exhibition" etablierten sich Emerson, Lake & Palmer als Supergruppe des ProgRock. Ihre Adaption von Modest Mussorgskys "Bilder einer Ausstellung" sorgte seinerzeit für Furore bei den Rockfans und für Grauen bei den Klassikhörern. Daran hat sich auch nach über 35 Jahren nichts geändert.
Ihr Auftritt vom 9.12.1970, der 1971 sowohl als Film, als auch als Schallplatte erschien, ist legendär und strotzt nur so vor virtuoser Musikalität und frecher Energie. Sicher: Alle Manierismen, die Emerson, Lake & Palmer bald bis zum Exzess betreiben sollten, sind hier längst angelegt, dennoch hat der Auftritt immer noch nichts von seiner rotzigen Unverschämtheit (der Klassik gegenüber) verloren.
Endlich liegt nicht nur das Tonmaterial, sondern auch der Film in exquisiter Qualität vor. Ein Muss für alle junggebliebenen ELP-Fans, die sich auch heute noch jedem Spott aussetzen, wenn sie dafür solch einen genialen Moment wieder erleben dürfen. [sal: @@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


IQ "Stage"

Prog/NeoProg – Was? Schon wieder eine IQ-Live-DVD?
(2DVD; Giant Electric Pea)

Ja, ich weiß: IQ sind eine wirklich faszinierende Live-Band, aber war die dritte DVD der britischen Formation binnen kurzer Zeit wirklich notwendig? Ein klares Nein, auch wenn die Doppel-DVD (wie üblich) randvoll daherkommt und mit dem Live-Set der letzt- und diesjährigen "Dark Matter"-Tour zu glänzen weiß und mit Drummer Andy Edwards (ex-Robert Plant) einen Neuzugang zu vermelden hat. Zu vieles habe ich schon auf diversen Live-Veröffentlichungen der Band gehört und so macht sich ein wenig Ermüdung breit: Viel hilft nicht immer viel.
Für die eingeschworene Fangemeinde, die wirklich jeden Schnipsel der Band braucht und sammelt (und mittlerweile offenbar auch erhält), mag diese DVD durchaus wichtig sein, ich hingegen freue mich lieber auf das nächste Studio-Album. [sal: @@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Yes "Yes Acoustic"

ProgRock – Symphonischer Artrock ausgestöpselt
(DVD; Warner)

Ich mach es noch kürzer, als bei der nahezu gleichzeitig erschienenen Solo-DVD "Tour Of The Universe" des Yes-Frontmanns Jon Anderson: Braucht man diese DVD? Nein, man braucht sie nicht, man braucht sie absolut nicht, denn die hier akustisch dargebotenen Yes-Klassiker wirken blutleer und gelangweilt, uninspiriert und zum Teil dilettantisch. Auf der letzten DVD "Speak" wurde noch allerlei Witziges besprochen, nun wird also akustisch-bieder musiziert, nur dass sich niemand für die Hausmusik der Familie Anderson-Squire-Howe-Wakeman-White interessieren kann, selbst wenn man sich bemüht, man wird von Langeweile überwältigt.
Ich kann es nur noch einmal wiederholen: Man sollte aufhören, bevor es peinlich wird: Zweifellos haben Yes diesen Zeitpunkt schon lange versäumt. [sal: @]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Spock's Beard "Spock's Beard"

ProgRock – Fast das beste Album seit langer Zeit
(CD; InsideOut)

Dies hätte für mich die Überraschung des Jahres werden können, ja sogar das beste Spock's Beard-Album seit "V", doch leider hat das nunmehr achte Album der US-amerikanischen Progrocker, das dritte ohne ihre ehemaligen Kopf Neal Morse, mindestens drei unüberhörbare Total-Aussetzer ("Is This Love", "Sometimes They Stay, Sometimes They Go", "Wherever You Stand"), die in ihrer aufdringlichen, anbiedernden Art den Gesamteindruck des guten Albums nicht unwesentlich schmälern. Sicher, es gibt die Skiptaste, aber sollte man nur 2/3 einer Platte beurteilen und den Rest einfach ignorieren? Wohl kaum...
Es bleibt ein immer noch ordentliches Album mit einigen wirklich schönen Momenten, die eben unverständlicherweise von diesen hohlen und hölzernen Kompositionen unterbrochen werden. Ich finde, Spock's Beard sollten endlich aufhören sich bei allen möglichen Gruppen anzubiedern.
Das Problem ist noch grundlegender als 'nur' ein unausgewogenes Album. Ich glaube, dass sich innerhalb der Band ein Richtungsstreit anbahnt: Soll man noch mainstreamiger und rockiger werden oder soll man sich doch auf die Prog-Wurzeln zurückbesinnen? Alan Morse (g) und Ryo Okumoto (keyb) mit ihren Flirts in Richtung Kommerz könnten der Band in Zukunft mehr schaden als nützen und scheinen mir nicht unersetzbar. Die kompositorischen Aussetzer auf "Spock's Beard" riechen ein wenig nach einem Schnitt. Wo auch immer die Reise hinführt: Schade, um die verpasste Chance. [sal: @@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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