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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #507 vom 23.10.2006
Rubrik Kolumne

Sal's Prog Corner #58

Die Szene hat einfach mehr zu bieten, als man glaubt: Aus einem großen Stapel Neu- und Wiederveröffentlichungen habe ich heute bewusst CDs zur Besprechung herausgezogen, die nicht unbedingt dem Mainstream des Progressive Rock entsprechen: Rare Ware, Newcomer und Sonderheiten, die einfach zu gut sind, um übersehen, pardon, überhört zu werden.
Ihr wisst schon: Keep on proggin'... [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Theo Travis "Earth To Ether"

Canterbury/Jazz – Relaxtes Album für den distinguierten Sommer
(CD; 33)

Ich muss gestehen, dass ich von dieser locker-flockigen, akustischen Canterbury-Scheibe angenehm überrascht bin. Theo Travis, den meisten Prog-Fans als Saxophonist und Flötist von The Tangent eher in unauffälliger Erinnerung, erweist sich auf "Earth To Ether" als variabler und sensibler Flötist, Saxophonist und Komponist. Das Album ist weder verkrampft kopfig, noch anbiedernd 'Canterbury light' wie manchmal seine Stammband (vor allem auf "The World That We Drive Through"). Überhaupt: Wer hier Sounds à la The Tangent erwartet, wird unweigerlich enttäuscht werden. Theo Travis solo ist ruhiger, jazziger und deutlich weniger eingängig.
Nicht zuletzt wegen der Gastauftritte von Richard Sinclair (ex-Caravan) fühlte ich mich eher an eine akustische Variante von Caravan mit einer gehörigen Portion Jazz erinnert. Geradezu hinreißend cool ist die Jazz-Samba "This Frozen Time", Brazil meets Canterbury sozusagen. Auf angenehme Weise entspannend wirken da die ruhigeren Instrumentals "The Mystic And The Emperor" und "Stewed Flute", letzteres mit einem fast schwebenden Flötensound. Alles in allem eine angenehme Canterbury-Scheibe für den distinguierten, hoffentlich goldenen Herbst. [sal: @@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Secret Oyster "Sea Son"

Jazzrock – Wiederveröffentlichung der vergessenen dänischen Formation (1974)
(CD; Laser's Edge)

Schon vor Jahresfrist wurde das dritte Album "Vidunderlige Kælling" (1975) der heutzutage vergessenen dänischen Jazzrock-Formation Secret Oyster wiederveröffentlicht, nun liegt auch ihr zweites und wahrscheinlich bestes Album "Sea Son" endlich wieder offiziell vor.
Ähnlich wie beim ebenso hörenswerten Nachfolger "Vidunderlige Kælling", fragt man sich, warum solch exzellente Musik so lange in den Archiven verstaubte: Frischer, leicht psychedelisch versetzter Jazzrock, gewürzt mit etwas frühem Zappa und jeder Menge Spielfreude. Secret Oyster ist sicherlich kein Massenprodukt, nein, dennoch verdient es die Band von einer breiteren Hörerschicht wiederentdeckt zu werden: Diese Musik macht auch heute noch Spaß. [sal: @@@@]


A Triggering Myth "The Remedy Of Destruction"

Jazzrock/Canterbury – Perfekte Zeitreise, aber etwas unterkühlt
(CD; Laser's Edge)

Irgendwie würde ich bei solch einem Albumtitel eher ein ProgMetal-Album erwarten, doch weit gefehlt: "The Remedy Of Destruction" ist als jazziges Canterbury-Revival intendiert und in der Tat: Man kann nicht umhin, alle notwendigen Bestandteile zu identifizieren, genau abgewogen und steril verpackt zum perfekten Surrogat eines Stils, der mit Bands wie Caravan, Hatfield & The North und Soft Machine populär wurde.
Das von Tim Drumheller und Rick Eddy initiierte Projekt wartet stets mit illustren Gästen auf: Dieses Mal sind unter anderem der Ausnahme-Bassist Michael Manring und der japanische Violinist Akihisa Tsuboy (von Japans bester Prog/Fusion-Band KBB) mit dabei. A Triggering Myth bemühen sich um einen betont altmodischen Sound, allerdings gepaart mit perfekter Aufnahmetechnik. Die Rechnung muss wohl bei solchen Musikern zumindest musikalisch aufgehen. Dennoch: Mir liegt die getreue Imitation auf Dauer ein wenig zu schwer im Magen. Freunde des Genres können gerne noch einen weiteren Punkt addieren. [sal: @@@]


Deluge Grander "August In The Urals"

Quelle: http://www.delugegrander.com/

Artrock/Fusion – Das Debüt-Album des Jahres
(CD; Emkog)

Was wäre passiert, wenn die Artrock-Pioniere von Yes, nicht die kommerziellen der 1980er Jahre, sondern die experimentellen der 1970er Jahre (irgendwo zwischen "Fragile" und "Tales from Topographic Oceans") auf die Fusion-Ideen von Return To Forever getroffen wären? Das Ergebnis hätte sich vielleicht ein wenig so angehört wie das faszinierende Debüt der Baltimorer Progressive-Rock-Band Deluge Grander "August In The Urals". Hypnotische E-Piano-Läufe und Polyrhythmik treffen auf düstere, kunstvoll aufgebaute Klangarchitekturen in epischen, und dennoch nicht langatmigen Kompositionen: Deluge Grander gelingt eine der ungewöhnlichsten Verschmelzungen im Prog, die ich seit langem gehört habe. Für mich hört sich das tatsächlich nach dem "Debüt des Jahres" an, fernab mit großen Namen bespickter Supergroups oder omnipotenter Mainstream-Labels. Wer hätte das gedacht?
Eine Einschränkung bleibt noch anzumerken, die schon für den ganz anders gearteten, aber dennoch exzellente Longplayer "Acts Of Deception" der Vorgänger-Formation Cerebus Effect galt, nämlich dass das Album 'over-underproduced' ist. Dennoch verzichte ich auf einen Punktabzug: "August In The Urals" hat genügend Musikalität, um über soundmäßige Ungereimtheiten hinweg hören zu lassen. [sal: @@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Fluttr Effect "Marking Time"

Quelle: http://www.justforkicks.de

Alternative/Progressive – Zwischen den Stühlen
(CD; 10T)

Fluttr Effect werden gerne als 'Prog-Act des 21. Jahrhunderts' bezeichnet, als eine Band, die die Spielkultur des Progressive Rock mit der Unmittelbarkeit und der ungeschliffenen Aggressivität des Alternative Rock in sich vereinen. In der Tat klingen Fluttr Effect auf ihrem zweiten Longplayer "Marking Time" manchmal so, als ob die junge Tori Amos mit einer talentierten Rock-Band in Prog-Gefilden wildern würde, doch nur zwei Nummern weiter klingt es so, als ob Gwen Stefani im Prog einen neuen Trend wittert und nun ein paar Einsprengsel Moog und Midi-Marimba in ihre Pop-Nümmerchen einbaut.
Nein, nicht alles an "Marking Time" scheint mir so gelungen wie von der lobhudelnden Plattenfirma versprochen; nicht alles wirkt auf mich ausgereift, vieles bleibt trivial oder zündet einfach nicht. In seinen besten Momenten weist "Marking Time" in eine durchaus spannende Richtung, die Fluttr Effect konsequent weiterentwickeln sollten, um nicht im gesichtslosen Alternative Rock unterzugehen; dort gibt es wahrlich bessere Vertreter. [sal: @@@]


Sebkha-Chott "Nagah-Mahdi - Opuscrits En 48 Rouleaux"

Quelle: http://sebkhachott.websanslimit.net/

Avantgarde – Wirrer, irrer, hyperaktiver Stilmix
(CD; Musea)

Das Musikerkollektiv Sebkha-Chott nennt seine Musik "Mekanik Metal Disco" und nicht einmal mit viel Fantasie lässt sich erahnen, was gemeint ist. Greifbar wäre der wilde Stilmix der offenbar total durchgeknallten Franzosen mit wenigen Worten ohnehin nicht. Auf tatsächlich 48 Tracks, die meisten kaum mehr als eine Minute lang, zünden die acht Bandmitglieder und zahllose Gäste (mit zum Teil zweifelhaften Parts, etwa 'Psychologue-aventurier télévisuel' = Fernseh-Abenteurer-Psychologe oder 'Athlète de Caniveau' = Gossen-Athlet) einen so wirren Stilmix, wie ich ihn in solch einer Frequenz und Irrsinnigkeit noch nie gehört habe: Latin, Poser-Metal, Folk, Psychedelisches, Zappaeskes, Grindcore, Pop, Chanson, Jazz, Experimentelles – die Liste ließe sich ohne Probleme um jedes beliebige Genre erweitern. Es ist, als ob man den Radiosender alle paar Sekunden wechseln würde, nur dass solche Musik zum Großteil dort nicht zu hören ist.
Sebkha-Chott machen hyperaktive Musik im Schnelldurchlauf. Irr, wirr, nichts für schwache Nerven und Schöngeister, aber herrlich, um den unfreiwilligen und bald verwirrten und verängstigten Zuhörern im alltäglichen Rush-Hour-Stau rings um das eigene Auto lautstark in den Wahnsinn zu treiben und sich kurzweilig von dieser einzigartigen Truppe unterhalten zu lassen. [sal: @@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Nebelnest "Zepto"

Zeuhl/RIO/Progressive Rock – Kompromisslose Avantgarde
(CD; Cuneiform)

Noch kompromissloser, noch kantiger, noch sperriger präsentiert sich das französische Trio Nebelnest auf ihrem dritten Album "Zepto". Zwischen düsteren Klängen à la Present und dem aggressiven Progressive Rock ihrer Landsmänner Magma oder King Crimson Mitte der 1970er Jahre lösen sich Nebelnest mit diesem exzellenten Album endgültig aus der Phalanx der talentierten, aber schwer zu unterscheidenden RIO-Bands (=Rock in Opposition-Bands) und dürften neben Present und Guapo die innovativsten und originellsten Vertreter dieser konsequent avantgardistischen Spielart des Progressive Rock sein. [sal: @@@@]


Phideaux "The Great Leap"

Quelle: http://www.justforkicks.de

Rock/Progressive Rock – Look on the horizon, tomorrow has come
(CD; Bloodfish)

Der US-amerikanische Songwriter, Sänger und Multiinstrumentalist Phideaux Xavier sorgt seit einigen Monaten für Unruhe in der Szene. In hoher Frequenz veröffentlichten er und seine virtuelle Studiotruppe Phideaux eine Reihe exzellenter Alben und mausern sich immer mehr vom Geheimtipp zur festen Größe. Phideaux sind dabei Trendsetter und Vorbild: Songorientierter, unverkrampfter und unaufgeplusterter Progressive Rock findet immer mehr Freunde. Was früher verpönt war, nämlich der Song unterhalb der 6-Minuten-Grenze, wird von Künstlern wie Xavier, aber auch Rain, Fritz Doddy und Steve Thorne als Chance erkannt, intelligente Texte in intelligente, aber eben nicht zu langatmige Musik zu packen.
Das neue Album "The Great Leap" beginnt genau dort, wo Phideaux uns mit dem Vorgänger "313" zurückließen: Irgendwo zwischen den Psychedelica der frühen Pink Floyd und Jefferson Airplane, zwischen dem Glamrock von David Bowie und Roxy Music mit einer Prise düsterem Alice Cooper, vor allem aber mit seinem schon unheimlichen Talent für ohrwurmhafte Melodien. Ausgefeilter denn je: Die Arrangements mit mehr als einem Hauch von Magical-Mystery-Beatles und seiner bisher variabelsten Gesangsleistung und, schon wieder, hinreißenden Songs. [sal: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Grobschnitt "Rockpommel's Land And Elsewhere..."

Krautrock/Progressive Rock – Der Abschluss einer beeindruckenden Reihe
(2CD; Wolkenreise)

Die Archive der legendären westdeutschen Truppe Grobschnitt scheinen schier unerschöpflich: Mit einer bewundernswerten Akribie und in zumeist erstaunlicher Qualität werden vom Drummer und Soundmagier der Truppe Eroc posthum Perlen aus der Bandgeschichte hervorgezaubert, die zu deren Lebzeiten in dieser Qualität bestenfalls nur live zu hören waren. Längst haben die Archiv-Releases den offiziellen Output der Band überflügelt, quantitativ und qualitativ.
Vol.6 der "Grobschnitt Story" widmet sich zum einen der unbekannten Entstehungs- und Frühphase der Band (1971-1974), zum anderen spinnt es mit drei behutsamen Remixen von Songs ihres wohl progressivsten Albums "Rockpommel's Land" den Faden über die Hoch-Zeit Mitte der 1970er bis zu einigen Demos aus der Spätphase Anfang der 1980er weiter. Einmal mehr gelingt die Zeitreise, einmal mehr entdeckt man Facetten dieser Band, die man so nicht kannte.
Die Grobschnitt Story kommt hiermit, dem laut Label vorerst letzten Teil der Reihe, zu einem würdigen Abschluss. Mir fällt eigentlich nur die legendäre "You Can't Do That On Stage Anymore"-Reihe von Frank Zappa ein, die auf ähnlich hohem Niveau Bandgeschichte anhand von Archivaufnahmen aufarbeitet. [sal: @@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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