#459 vom 24.10.2005
Rubrik Kolumne
Sal's Prog Corner #49
Die 49. Ausgabe der Prog Corner wartet in der Hoch-Saison der CD-Veröffentlichungen mit einem Kessel Buntes auf. Auffallend hierbei die Anhäufung von Live-Releases. Offenbar sind Konzert-Mitschnitte nach wie vor immer wieder gern gehörte Lebenszeichen in inspirationsärmeren Zeiten: Spock's Beard, RPWL, Yes und The Soft Machine Legacy stehen hier für die gesamte Bandbreite dessen, was unter der großen Überschrift "Progressive Rock" geführt wird. Wirklich Neues gibt es allerdings bei Nil und Echolyn zu hören; fast schon weihnachtlich wird es mit dem ProgAID-Projekt.
Viel Spaß beim Lesen und keep on proggin'. [sal]
<#459: Spock's Beard "Gluttons for Punishment"> [sal:Â @@@]
<#459: RPWL "Live - Start the Fire"> [sal:Â @@@]
<#459: Yes "The Word Is Live"> [sal:Â @@]
<#459: Nil "Nil Novo Sub Sole"> [sal:Â @@@@]
<#459: The Soft Machine Legacy "Live in Zaandam"> [sal:Â @@@@]
<#459: ProgAID "All Around The World"> [sal]
Echolyn "The End Is Beautiful"
Progressive Rock – Intelligent, hintersinnig, vielschichtig: Erwachsener Prog in Bestform
(CD; Velveteen)
Die derzeit beste US-amerikanische Prog-Formation Echolyn hat mit "The End Is Beautiful" den lang erwarteten Nachfolger zu ihrem Überflieger-Album "Mei" vorgelegt. Das neue Material ist wieder songorientierter, also anders als beim Vorgänger und insofern wieder typischer für Echolyn. Die 50-minütige Suite "Mei" war ein nicht wiederholbarer Sonderfall in der Schaffensgeschichte der Band und ragt in vielerlei Hinsicht aus der Diskographie heraus. Eine Art "Mei II" wäre wohl nicht zu schaffen gewesen und schlimmer noch, es wäre stets ein Selbstplagiat geblieben; zu wenig für eine Band wie Echolyn.
Das Quintett hat sich auf die eigentliche Stärken besonnen: Superbe Songs mit komplexen Arrangements, dazu poetische, oft tieftraurige Lyrics und tolle Chorpassagen. Wie immer lebt die Musik von der ausdrucksstarken Stimme des Sängers Ray Weston und den abwechslungsreichen Musik. Der Clou bei "The End Is Beautiful" ist, dass man den neuen Songs gar nicht anmerkt, wie vielschichtig sie sind: So locker haben Echolyn noch nie geklungen. Hier wird gerockt, gejammt, mal geht es funky zu, dann wieder melancholisch. Geradezu verschwenderisch gehen sie dabei mit ihren musikalischen Ideen um: Echolyn verarbeiten in einem achtminütigem Song so viele musikalische Geistesblitze wie andere Prog-Bands auf ganzen Doppel- und Dreifach-Alben mit endlos langen Suiten nicht.
Eine bessere Prog-Scheibe habe ich in diesem Jahr nicht gehört. [sal: @@@@@]
<#444: Echolyn "Stars And Gardens"> [sal:Â @@@@]
<http://www.echolyn.com/>
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Spock's Beard "Gluttons for Punishment"
Progressive Rock – Die Bärte mit neuem Sänger live
(2CD; InsideOut)
Nach zwei Studioalben mit dem neuen Sänger/Frontmann Nick D'Virgilio wagen Spock's Beard nun auch die Veröffentlichung einer offiziellen Live-Scheibe. Das Quartett überzeugt zusammen mit ihrem Live-Drummer Jimmy Keegan auf "Gluttons For Punishment" (zu Deutsch ungefähr 'demütige Prügelknaben') über weite Strecken, auch bei den alten Tracks, die man sonst nur aus der Kehle Neal Morse' vernommen hatte (stark: "At The End Of The Day"). Das neue Material der Alben "Feel Euphoria" und "Octane" kommt live knackiger und rockiger daher. Lediglich das völlige überflüssige Solo des Keyboarders Ryo Okumoto und der seltsam unechte Live-Klang trüben diese durchaus ordentliche Leistung, auch wenn man klar erkennen muss, dass die Band deutlich kleinere Brötchen bäckt, als in den Morse-Zeiten.
Der Abstieg vom Prog-Olymp und die Konsolidierung als "nur-eine-weitere-Mainstream-Prog-Band" ist geglückt, ein wenig wehmütig wird man in der Erinnerung an frühere Live-Heldentaten der Bärte aber immer noch. [sal: @@@]
<#352: Spock's Beard "Feel Euphoria"> [sal:Â @@]
<http://www.spocksbeard.com/>
Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:
RPWL "Live - Start the Fire"
Symphonic Rock – Die deutschen Pink Floyd live
(2CD; InsideOut)
Nach drei Studioalben und einer Raritätensammlung ("Stock", 2003) war ein amtliches Live-Album der Münchener Formation RPWL überfällig; zumal sie sich seit ihrer Gründung auf zahllosen Gigs und Festivals unermüdlich eine treue Zuhörerschaft erspielt haben.
Das Album "Start The Fire" bietet folgerichtig ein Resümee der bisherigen Alben, die sich im Spektrum von symphonisch-ausladendem Artrock bis hin zu Postrock bewegen. Außerdem gastiert der Sänger Ray Wilson auf zwei Stücken, wie schon beim 2005-er Studioalbum "World Through My Eyes".
Besonders die zweite CD mit den epischen Longtracks ist gelungen. Mit den zwei Pink-Floyd-Nummern "Welcome To The Machine" und "Cymbaline" sowie "Opel" von Syd Barrett bewegen sich RPWL auf sicherem Boden. In psychedelischen Gefilden bleiben sie am überzeugendsten. Schön, dass RPWL beim neuen (Studio-) Track "New Stars Are Born", der quasi als Bonus das Album beschließt, wieder zu diesen psychedelischen Wurzeln zurückkehren. So atmosphärisch, so episch, so überzeugend habe ich RPWL seit ihrem Debüt "God Has Failed" (2000) nicht mehr gehört. [sal: @@@]
<#287: RPWL "Trying To Kiss The Sun"> [sal:Â @@@@]
<#332: RPWL "Stock"> [sal:Â @@@]
<#420: RPWL "World Through My Eyes"> [sal:Â @@@]
<#397: Ray Wilson "The Next Best Thing"> [sal:Â @@@]
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Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:
Yes "The Word Is Live"
Klassischer Prog – Ãœppig ausgestattete Live-Box
(3CD; Rhino)
In Zeiten mäßig erfolg- und inhaltsreicher Neuveröffentlichungen neigen überlebende Rock-Dinosaurier immer wieder gerne zum Blick in die Archive, wo zumeist zahllose unveröffentlichte Live-Mitschnitte aus glorreicheren Zeiten auf Sichtung und Veröffentlichung warten. So haben auch Yes zum 35. Bandjubiläum den Keller geplündert und Live-Aufnahmen aus zwei Jahrezehnten von 1970-1988 chronologisch geordnet in dieser liebvoll gestalteten, reich bebilderten Box im Buchformat veröffentlicht.
An Favoriten und Raritäten aus der Diskographie der Band mangelt es nicht und dennoch wirkt die Box musikalisch nur zweitklassig. Die meisten Tracks wurden auf früheren Live-Releases in besseren und oft genug auch besser klingenden Versionen veröffentlicht. Manche Aufnahmen scheinen offenbar nur ob ihrer Historizität in der Tracklist gelandet zu sein, was sich mehr als einmal als Bärendienst an einer seinerzeit brillanten Band erweist. Musikalisch bietet "The Word Is Live" nichts Neues, nichts Interessantes und schon gar nichts Untbehrliches. Lediglich die schön gestaltete Box und einige mäßig klingende Live-Aufnahmen der "Drama"-Tour ohne Jon Anderson an den Vocals machen diese Box zum teuren Collector's Item für nimmersatte Fans. [sal: @@]
Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:
Nil "Nil Novo Sub Sole"
Progressive Rock – Symphonische Sounds aus Frankreich
(CD; Unicorn)
"Nil Novo Sub Sole" (offenbar ein Wortspiel mit "Nihil novo sub sole", zu Deutsch: Nichts Neues unter der Sonne) ist schon das vierte Album der französischen Formation Nil, die dennoch hierzulande quasi unbekannt sein dürfte. Mit der nun als festes Bandmitglied hinzugekommenen Sängerin Roselyne Berthet könnte sich das allerdings schnell ändern. Die charismatische und ausdrucksstarke Frontfrau verhilft den komplexen, verschachtelten Kompositionen mit ihrem Gesang zu mehr Eigenständigkeit und ist ein fast sinnlicher Gegenpart zur dezidiert intellektuellen Musik der vier Instrumentalisten.
Auf "Nil Novo Sub Sole" wechseln sich verspielte Passagen mit verträumten Momenten ab, changiert der Sound der Band virtuos zwischen vielschichtiger Komplexität und betörender Einfachheit. Musikalisch lehnt sich das Quintett an Bands wie King Crimson, Discipline oder Taal an, fügt aber eine fast folkige, lyrische Note hinzu. So bleibt das Album auch nach mehreren Hördurchläufen interessant und abwechslungsreich und gehört damit definitiv zu den aufregendsten Entdeckungen des Jahres. [sal: @@@@]
<#454: Discipline "Live 1995"> [sal:Â @@@@]
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The Soft Machine Legacy "Live in Zaandam"
Canterbury – Die Rückkehr einer Legende
(CD; Moonjune)
Die britische Formation Soft Machine ist eine der ganz großen Institutionen der britischen Rockmusik. Kaum eine andere Band hatte so viele Talente in ihren Reihen, wie die Formation aus dem beschaulichen Canterbury: Robert Wyatt, Andy Summers (später The Police), Hugh Hopper, Elton Dean, Karl Jenkins, Allan Holdsworth, und Jack Bruce, sowie zahlreiche andere namhafte Musiker. Zwischen 1966 und 1978 spielten Soft Machine zahlreiche Alben im typischen 'Canterbury-Sound' ein, also hypnotisch-epischer Fusion mit ausufernden Improvisationen an Gitarre und vor allem am Saxophon.
In verschiedenen Besetzungen und Namensvarianten (Soft Ware, Soft Works) ist der Nukleus der Band nun wieder auf Tour. Die jüngste Inkarnation nennt sich The Soft Machine Legacy (Elton Dean, Sax & Piano; John Etheridge, Gitarre; Hugh Hopper, Bass und John Marshall, Drums) und knüpft musikalisch an die wahrscheinlich stärkste Phase der Band Anfang der 1970er Jahre mit den Alben von Third (1970) bis Fifth (1972) an.
Wem wie mir die zahllosen dubiosen Archiv-Veröffentlichungen aus dem Soft-Machine-Umfeld mittlerweile nur noch auf die Nerven gehen, der erhält mit diesem exquisiten Live-Mitschnitt vom Mai 2005 nun endlich neues Material einer alten, aber alles andere als altbackenen Band.
Live ist das Quartett übrigens auf den diesjährigen Leverkusener Jazztagen, genauer gesagt am 12.11.2005 zu hören. [sal: @@@@]
<#323: Soft Machine "Backwards"> [sal:Â @@@]
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Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:
<#555: Soft Machine Legacy "Steam"> [sal:Â @@]
<#473: Sal's Prog Corner #52> [sal]
<#473: Soft Machine "Out-Bloody-Rageous"> [sal:Â @@@@@]
ProgAID "All Around The World"
CharityProg – Benefiz-Scheibe für die Tsunami-Katastrophenopfer
(EP; F2)
Wenn sich die Honorationen der Progwelt zusammenfinden, um den Überlebenden der Tsunami-Katastrophe vom 26. Dezember 2004 finanziell unter die Arme zu greifen, mag das nicht den selben Widerhall finden, wie ein Riesenkonzert von Sir Bob Geldof. Für die Überlebenden zählt jeder Euro, ganz gleich, ob dieser von einem Massen-Event stammt, oder von einer kleinen persönlichen Initiative.
Die durchaus gefällige Hymne "All Around The World" führt die arriviertesten Progmusiker aus (fast) aller Herren Länder zusammen, ein Who's Who ist auf der Website nachzulesen. Dort wird auch genau nachgehalten, wie viele Scheiben bis dato verkauft wurden und wie viel Geld damit bisher gesammelt wurde.
Wer sich der Szene verbunden fühlt, sollte hier bedenkenlos zugreifen: Der Song ist gar nicht übel und kommt obendrein in fünf verschiedenen Versionen daher, zusätzlich befindet sich auf der EP ein Video und außerdem – und dies ist das wichtigste – hilft er bedürftigen Menschen und honoriert eine nachahmenswerte Initiative. [sal]