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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #715 vom 25.07.2011
Rubrik Kolumne

Sal's Prog Corner #95

Da sind wir schon wieder: Wie in der letzten Ausgabe mit Wiederveröffentlichungen versprochen, dreht es sich in der heutigen Ausgabe ausschließlich um (zum Großteil sehr empfehlenswerte) Neuerscheinungen der letzten Wochen. Gute Unterhaltung beim Lesen und Entdecken und, wie immer, keep on proggin'... [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Cheer-Accident "No Ifs, Ands Or Dogs"

Avantgarde – Das siebzehnte Album der sich stets wandelnden US-Amerikaner
(CD; Cuneiform)

Ein sich stetig wandelndes Musiker-Kollektiv, das Musik zwischen Avantgarde-Punk, Pop (!) und Progressive Rock fabriziert, ist wohl nicht dazu geschaffen, wirklich zum best selling artist zu avancieren, aber Respekt und Bewunderung muss man einer Formation schon zollen, die seit 30 Jahren kompromisslos ihren Weg geht, auch wenn es ein Zickzack-Kurs durch alle Genres ist. Und so ist auch das neue Album "No Ifs Ands Or Dogs" ein atemloser par-force-Ritt durch die Musik und klingt stellenweise so, als ob sich die Bläsersektion von Chicago mit den Beach Boys und der 1973/1974er-Inkarnation von King Crimson zu einem gemeinsamen Album entschlossen hätten. Oder Frank Zappa mit Yes und Burt Bacharach. Und dann auch wieder ganz anders. Jeder Versuch diese Band anhand anderer Bands zu charakterisieren, führt zwar zu originellen, letzten Endes aber nur teilweise korrekten Vergleichen.
Cheer-Accident sind und bleiben keine Kinder von Traurigkeit, wenn es darum geht, Stile zu vermengen, überraschende Wendungen in den Songs zu vollführen oder den Hörer immer wieder an der Nase herumzuführen. Bewundernswert, mit welcher Lockerheit sie scheinbar unpassende Elemente zusammenfügen. Das Ergebnis ist spannend, unterhaltsam, ironisch, erstaunlich kohärent und großartig, kurzum: "No Ifs Ands Or Dogs" ist ein Meisterwerk. Anspieltipps? Vergesst es, hier müsste man jeden der 15 Songs nennen. [sal: @@@@@]


Sun Domingo "Songs For End Times"

(Progressive) Rock РViele Gast-K̦che...
(CD; Glassville)

Steve Hogarth (Marillion), Adrian Belew (King Crimson), John Wesley (Live-Gitarrist für Porcupine Tree), Bruce Soord (The Pineapple Thief): Die Liste der illustren Gäste auf dem zweiten Studioalbum "Songs For End Times" der US-amerikanischen Band Sun Domingo (klingt wie eine Steelband, ist es aber nicht) ist lang und beeindruckend, doch nehmen wir es vorweg: Es sind nicht die vielen Spitzenköche, die dieses Album wirklich ausmachen, trotz durchaus gewinnbringender Beiträge. Auf mich wirken die illustren Namen vor allem wie ein Marketing-Manöver für einen möglichen Kandidaten für 'the next big thing' im Mainstream-Prog.
Auch ohne Gäste spielen die Jungs aus Atlanta im Spannungsbereich zwischen Porcupine Tree und Marillion, also da, wo Prog sich mit einigermaßen elaboriertem Rock überschneidet. Das klingt schon fast etwas despektierlich und so wäre es von mir auch schon gemeint, wenn es die Band nicht irgendwie doch schaffen würde, ihren gefälligen Stilmix ungewöhnlich cool und unverkrampft rüberzubringen und letzten Endes erstaunlich wenig bei den großen Vorbildern zu klauen und erstaunlich viel Selbstständigkeit einzubringen. Auf jeden Fall deutlich mehr, als viele, viele andere Bands, die sich in dieser Ecke tummeln. Einen nicht geringen Anteil daran hat gewiss der Sänger Kyle Corbett, dessen Stimme sich gut und angenehm unaufdringlich in den gut produzierten Soundteppich der Band einfügt. Wer also gerne Musik hört, die gewisse Prog-Gazetten gerne als 'New Artrock' klassifizieren, wird in Sun Domingo eine sinnvolle Neuentdeckung im Wust der Porcupine-Tree- und Marillion-Epigonen entdecken.
Anspieltipps: "For Only You", "It's Happening Now", "Love Is All Around You". [sal: @@@]


Mars Hollow "World In Front Of Me"

Retroprog – More of the same, but in a good way
(CD; 10t)

Yes, Emerson Lake & Palmer, Kansas, Rush: Große Namen fallen mir ein, wenn ich den Sound des US-amerikanischen Prog-Quartetts Mars Hollow beschreiben soll. In der Tat klingt auch ihr Zweitling "World In Front Of Me" so erstaunlich echt nach den 1970ern, dass man zwischenzeitlich ganz irritiert auf dem Cover nachschauen möchte, ob es sich nicht doch um eine vergessene Wiederveröffentlichung jener 'goldenen Ära' handelt. Andererseits: Die vier Jungs aus L.A. sind alles andere als Greenhorns, sondern spielten teilweise schon seit Jahrzehnten in diversen Progbands der Westküste. Nur so richtig geschnackelt hat es erst, als sie sich zu Mars Hollow zusammentaten.
Ansonsten klingt das Album im Großen und Ganzen so (gut) wie das erfreuliche Debüt "Mars Hollow" (2010), vielleicht etwas weniger überraschend, etwas weniger unverkrampft, vielleicht mit einem kleinen Stückchen Berechnung, aber immer noch unterhaltsam genug, um als veritable Retroprog-Empfehlung von einem Retroprog-Skeptiker durchzugehen.
Die CD gibt es entweder teuer bei Amazon oder deutlich günstiger beim spezialisierten Händler. Anhören kann man sich das Album in voller Länge auf ihrer Bandcamp-Seite. Anspieltipps: "Walk On Alone", "What Have I Done". [sal: @@@]


Trigon "2011"

Quelle: http://www.trigon.in/

Krautrock/Jamrock/Psychedelic – Auferstanden 2011
(CD; Eigenvertrieb)

Schnörkellos der Titel "2011", schnörkellos das schwarze Albumcover mit der roten Triskele, schnörkellos auch die Musik des Karlsruher Trios Trigon. Es war verdächtig still um sie geworden. Nach ihrem letzten (hervorragenden) Studioalbum "Emergent" (2006) und der leider völlig untergegangenen (aber ebenso hervorragenden) DVD "Live 2007", kam es zur bisher längsten Zäsur in der Bandgeschichte. Drummer Tihomir Lozanovski verließ die Band gen Heimat Mazedonien und gemeinsam mit dem neuen Schlagzeuger, Rudi Metzler (Ex-Drummer der badischen Krautrock-Legende Poseidon), wollte man sich neu ausrichten, Stil und Songmaterial grundlegend strukturieren und überarbeiten.
Die Runderneuerung ist gelungen: Rudi Metzler hat der Band unüberhörbar viele neue Impulse gegeben und die 'alten' Mitglieder, das Brüderpaar Rainer und Stefan Lange, haben diesen Input genutzt, um an ihrem Sound zu feilen. Das Ergebnis kann man nun auf "2011" anhören, einem Querschnitt aus alten Kompositionen mit einigen neuen Nummern. Doch man wundert sich schon ein wenig, wenn man die alten Trigon-Klassiker wie "Tanzen", "Tückischer Tonterror" oder "Raff an Dörte" hört: Sauberer, klarer, schnörkelloser und direkter haben Trigon niemals geklungen, gleichzeitig hat man noch nie so viele kleine Details gehört: Das Ergebnis ist phantasievoller, kristalliner Krautrock (im besten Sinne). Da ist es dann vielleicht auch kein Zufall, dass für das Mixing und Mastering der Tonmagier Eroc (Krautrock-Ikone und Grobschnitt-Drummer) verantwortlich zeigt.
Trigon 2011 sind auf einem Niveau angelangt, das endlich das gesamte Potential ihrer Musik ausschöpft: Instrumentale Rockmusik, mit dominierender, aber nicht zu ausufernder Gitarrenarbeit im Vordergrund, verziert mit einigen unaufdringlichen Effekten, unterstützt von einer der groovigsten Rhythmussektionen Deutschlands. [sal: @@@@]


Gösta Berlings Saga "Glue Works"

Retroprog/RIO/Chamber-Rock – Album of the year (?)
(CD; Cuneiform)

Manchmal habe ich nicht übel Lust meine Rezensionen extrem kurz, sagen wir einen Satz lang, zu machen, weil ich glaube, dass man über bestimmte Alben nicht zu viel reden und sie dafür viel öfter hören sollte: Das Album "Glue Works", das dritte Album der schwedischen Retroprog-Formation Gösta Berlings Saga, ist so eines. Es ist nicht nur das beste in einer kleinen, feinen Diskografie, sondern das bisher beste Prog-Album, das mir dieses Jahr untergekommen ist. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch am Ende des Jahres auf meiner und auf vielen anderen Bestenlisten weit oben stehen wird.
Das Quartett aus Stockholm verbindet (verklebt, siehe Albumtitel) seinen exzellenten, aggressiven Retroprog (nach wie vor mit Anleihen an King Crimson und Van Der Graaf Generator) hier zum ersten Mal mit avantgardistischen RIO- und Chamber-Rock-Elementen. Das Ergebnis erinnert mich in seiner düsteren Eindringlichkeit und Intensität an ein ebenfalls bei Cuneiform erschienenes Meisterwerk, nämlich Guapos "Five Suns" (2004), ist aber insgesamt nicht so starr linear aufgebaut, wie das Album der Briten, im Gegenteil: "Glue Works" lotet (auch) freundliche, ruhige, melancholische Momente aus, nimmt Umwege, birgt Überraschungen, nimmt plötzliche Wendungen, ist spannungsreich und energiegeladen von der ersten bis zur letzten Sekunde. Oder um es in einem Satz zu sagen: "Glue Works" von Gösta Berlings Saga ist ein Meilenstein.
Anspieltipps: "354", "Island", "Sorterargatan 1". [sal: @@@@@]


From.uz "Quartus Artifactus"

Jazzrock/Fusion/Progressive Rock – Music from Uzbekistan, live
(2CD+DVD; 10t)

Usbekistan ist nicht gerade als musikalischer Nabel der Welt bekannt, aber es gibt auch im zentral-asiatischen Staat, wie in vielen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, eine äußerst heterogene Szene. Aus Usbekistian kommt auch das Quintett From.uz (.uz ist die die Internet-Top-Level-Domain Usbekistans), das seit einigen Jahren durch technisch exzellenten Jazzrock auf sich aufmerksam macht (auch dank des US-amerikanischen Labels 10t).
Mit "Quartus Artifactus" erscheint nun bereits das fünfte Album der Band. Es ist eine Art semiakustisches Best-of-Album geworden, denn anders als auf den zuvor veröffentlichten CDs und DVDs, agieren die fünf Musiker hier mit deutlich zurückgenommenen Instrumentarium, was der Transparenz ihrer komplexen Kompositionen zugute kommt. Das Album kommt als 2CD/DVD-Combo, wobei die CDs die Audiospuren des auf der DVD befindlichen semiakustischen Konzerts vom 23.6.2009 beinhalten. Die Bildqualität und die Kameraführung der DVD sind allerdings nicht wirklich berauschend, akustisch bietet das Album allerdings einen virtuos gespielten, geschmackvoll arrangierten Querschnitt aus rund fünf Jahren From.uz. Freunde instrumentalen, hochvirtuosen Fusion sollten unbedingt mal ein Ohr riskieren.
Anspieltipps: "Stone Salad", "Influence Of Time" und "Crashmind" – am besten auf der Website progstreaming.com, wo man das komplette Album (und viele andere interessante Neuerscheinungen) kostenlos im Streaming anhören kann. [sal: @@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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