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[ << | Inhalt ]Ausgabe #671 vom 26.04.2010
Rubrik Feature

Interview mit Al Jarreau: »Musik kann heilen«

Peter Gruner: Ihr Gesangsstil wirkte schon immer sehr leicht und verspielt. Wieviel Arbeit steckt dahinter?

Al Jarreau: Nun, das kommt von den vielen Jahren, in denen ich einfach alleine mit mir selber Spaß hatte.

Klingt einfach.

Al Jarreau: Es fing an, als ich als Siebenjähriger im Wohnzimmer meinen älteren Brüdern zugehört habe, als sie die Art von Musik sangen, die ich später in meine eigene Musik integriert habe. Und diese Musik hatte so einen verspielten Spirit und so eine Palette an Gefühlen in sich... Später habe ich das dann selber gesungen und geübt und hatte meinen Spaß damit. In der Schule, so mit 12 oder 13, habe ich dann mit Schulfreunden und Nachbarsjungen im Quartett auf der Straße gesungen. Wir trafen uns und sangen diese Harmonien, diese Musik, die später R&B wurde. Was für ein Spaß! Und wenn du diesen Spirit in der Musik früh findest und dann weiter nach diesem Geist suchst, dann wird das vielleicht Teil dessen, was du selber tust und du lässt es so oft wie möglich passieren. Und dann probierst du einfach Dinge aus mit deinem stimmlichen Instrument, die dir und womöglich auch dem Publikum Spaß machen. Man muss einfach offen für das sein, was sich gut anfühlt, und es sich einfach entwickeln lassen.

Sie machen in der Musik also immer noch neue Erfahrungen?

Al Jarreau: Ja, sicher! Natürlich nicht mehr so viele wie früher. Ich denke das Meiste von meinem Werkzeug habe ich mittlerweile beisammen. Aber in unterschiedlichen Kombinationen passieren unterschiedliche Dinge.

Aber läuft man nach all den Jahren, die sie das nun schon machen, nicht doch manchmal Gefahr in Routine abzudriften, sich zu wiederholen?

Al Jarreau: Oh, das ist okay sich zu wiederholen! Davor muss man keine Angst haben. Das ist völlig okay, solange man sich der jeweiligen Umstände bewusst ist. Damit meine ich speziell das Publikum und was sie zu geben haben. Und dieser Typ mit dem rosa Hemd und dem Strohhut in der zweiten Reihe – der mit dem großen Schnurrbart – wenn du den anschaust, dann singst du etwas anders. Vielleicht sagst du auch etwas zu ihm: "Ich würde bis zum Nordpol und zurück fahren, für das Hemd das du an hast!" (lacht)
Und so etwas ändert die Dinge, verändert die nächste Phrase die du singst...

Übertragen sie diese Improvisatonsgabe auch in ihren Alltag? Oder sind sie abseits der Bühne eher ein Kontroll-Freak?

Al Jarreau: (lacht) Nun, die Bühne ist wahrscheinlich der Ort, wo ich am meisten experimentiere. Ich bin sonst mehr so der Routine-Typ.

Wirklich?

Al Jarreau: Ja, doch, ich mache Dinge gerne so, wie ich sie schon immer gemacht habe.

Sie stehen also immer zur gleichen Zeit auf, kochen ihr Frühstücksein immer gleich lang...

Al Jarreau: Ach, ich bin schon offen für neue Dinge, aber ich suche sie nicht so aktiv wie auf der Bühne. Aber jetzt wo ich das sage, sehe ich hier im Zimmer eine DVD-Box, die ich noch nicht aufgemacht habe. Sie heißt "Das Universum".
Ich interessiere mich sehr für das All, für Sterne und Galaxien und schwarze Löcher und was wohl passiert wenn Dinge in ein schwarzes Loch fallen. Ich studiere das nicht wie Stephen Hawking, aber der macht das sehr gut verständlich. Er erklärt auf eine Art, die selbst ein Dummy wie ich versteht. Ich weiß was der 'Event Horizon' ist, ich weiß, was man unter Singularität versteht! (lacht) Diese Leute nehmen sich Zeit Dinge zu erklären, die die Menschen womöglich sehr wichtig finden. Und ich finde diese Sachen sehr wichtig! Wo kommen wir her, wo fing alles an?

Klar, damit kann man sich das Hirn brechen...

Al Jarreau: (lacht) Ja, schön gesagt!

Sie haben ihre professionelle Karriere ja relativ spät gestartet, da waren sie so um die Dreissig, stimmt's?

Al Jarreau: Ich war 28, als ich mich entschloss, Vollzeit-Musiker zu werden. Aber es war nicht so, dass ich einfach den Beruf gewechselt hätte. An diesem Punkt machte ich schon sehr lange Musik und sang jeden Tag, trat jeden Tag auf, im College, in der Highschool. Es gibt ein Album aus dieser Zeit, es heißt "Al Jarreau '65", und eine Zusammenstellung "The Masquerade". Ich war damals 25, aber man kann sich das immer noch gut anhören. Mit 28 entschloss ich mich dann das professionell zu machen. Bis dahin war ich ein Student und vier Jahre lang ein Rehabilitationshelfer in San Francisco. Damals habe ich viel mit dem George-Duke-Trio gesungen in einem Club namens The Half Note. George hat einen ganzen Schrank voll Bänder aus dieser Zeit. Mithilfe der modernen Technologie wird man diese Sachen klanglich bereinigen können und vielleicht ist es sogar genug für zwei CDs...
Jedenfalls habe ich das Singen schon immer sehr ernst genommen und irgendwann war es dann Zeit zu sagen: Ich bin eigentlich kein besonders guter Rehabilitationshelfer – ich denke ich sollte lieber Vollzeit Musik machen.

Es ist ihnen also nicht schwer gefallen diesen Job aufzugeben?

Al Jarreau: Nein. Aber es war natürlich ein Risiko. Die Kunst ist nun mal kein sicheres Geschäft, selbst zu der Zeit, als die Musik unglaublich erfolgreich war und eine ihrer kreativsten Perioden hatte mit dieser Counter-Culture-Hippie-Generation, die auf alles abfuhr von Janis Joplin bis Sly Stone. Und vieles davon kam direkt aus der Bay-Area, wo ich lebte. Und ich fühlte diese Explosion von Musik – aber ich machte keinen Rock'n'Roll, ich machte Jazz. George und ich packten sie ins Half Note – und sie kamen!

Gibt es eigentlich noch eine Verbindung zwischen dem Sozialarbeiter und dem Musiker Al Jarreau?

Al Jarreau: Ja, doch. (überlegt eine Weile) Sie kommen aus dem gleichen Teil meines Herzen. Ich glaube was immer ich tat, ich hatte immer ein starkes Interesse daran zu helfen. Ich glaube Musik ist eine sehr erhebende Kraft. Musik kann heilen.

Das Magazin "Der Spiegel" hat kürzlich behauptet, sie würden eher Musik für Frauen als für Männer machen. Stimmen Sie zu?

Al Jarreau: (lacht) Interessant, dass sie das sagen! Während meiner Ausbildung zum Rehabilitationshelfer kamen wir zu einem Kapitel, das hieß "Der Berater ist eine Frau". Damit war gemeint, dass wir uns für die Art von Sensibilität öffnen müssen, die typisch ist für die Frauen, nicht für die Krieger. Und vielleicht gibt es hier eine Gemeinsamkeit: Da ist eine Sensibilität in der Musik, die sehr tief geht – und manchmal ist es für Männer schwer, da ran zu kommen. Aber ich glaube, wir Männer werden besser darin.

Oft wird ihnen ja vorgeworfen, besonders von Jazz-Liebhabern, dass sie zu sehr in Richtung Easy-Listening-Pop abdriften. Unterscheiden sie persönlich zwischen Jazz- und Pop-Produktionen?

Al Jarreau: Ich kann schon verstehen, dass die Leute Kategorien brauchen. Aber Musikhören kann im besten Fall eine ganz beachtliche Erfahrung sein. Warum kann jemand auf einem Bon-Jovi-Konzert auch an den Berliner Philharmonikern Gefallen finden? Ich glaube sowas gibt es immer öfter. Und ich bin schon auch so. Da ist eine Menge verschiedener Musik in mir drin. Ich kenne mehr Polkas, als irgendwer, den sie kennen! Wirklich, ich kenne mich da aus! Ich bin in Milwaukee aufgewachsen, wo es einen großen deutschen Bevölkerungsanteil gibt. Gleich hinter der nächsten Tür, nur 50 Meter entfernt, spielten sie während ich schlief Polkas, tanzten und tranken Bier und lachten die ganze Nacht. Es ist so wichtig, verschiedene, weitreichende Einflüsse aus der Musik und der Kunst zu haben. Ich glaube es ist sehr gefährlich, wenn man so eine begrenzte Sicht hat, dass man denkt Bebop sei das einzig Wahre – und vergisst, dass es Polkas gibt! Es lebt sich besser, wenn man ein paar Polkas kennt!

Gibt es denn Polka-Einflüsse in ihrer Musik?

Al Jarreau: Ja!

Ernsthaft?

Al Jarreau: Fragen sie meinen musikalischen Direktor! Er wird sich an einen speziellen Moment erinnern als wir "Take Five" spielten – und ich habe eine Polka-Linie gesungen (singt sie vor). In der Mitte von "Take Five"! Und er hat's erkannt, denn er ist aus Milwaukee. Das ist eine sehr berühmte Polka.

Da muss ich mir die Aufnahme wohl nochmal genauer anhören...

Al Jarreau: Oh, dieses Konzert wurde leider nicht aufgenommen. Wenn er uns jetzt hören könnte, würde er lachend vom Stuhl fallen! Sowas passiert nicht allzu oft. Aber in der Freiheit der Improvisation kann's schon passieren, dass ich auch mal eine Stevie-Wonder-Phrasierung in dieses Jazz-Zeugs rein packe...

Werden Sie "Take Five" auf der kommenden Tour singen?

Al Jarreau: Klar. Wenn nicht, kommen die Jungs bei mir im Hotel vorbei... (lacht)

Tun sie mir einen Gefallen und singen sie die Polka-Phrase in Nürnberg!

Al Jarreau: (Lacht) Okay, ich notiere es mir!

(Stark gekürzte Erstveröffentlichung: Nürnberger Nachrichten) [pg]


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