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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #658 vom 18.01.2010
Rubrik Kolumne

Sal's Prog Corner #86

Wie bereits in der letzten Ausgabe der Prog Corner ausgeführt, beschäftigt sich die erste Ausgabe der Prog Corner im neuen Jahr ausschließlich mit den »liegengebliebenen« Veröffentlichungen, also Alben, die erst sehr spät im abgelaufenen Jahr 2009 erschienen sind oder erst über lange Umwege zu mir gelangten.
Die heutige Fortsetzung könnte also den heimlichen Untertitel "The Rest of 2009" tragen, doch Obacht: Gleich zweimal ziehe ich heute die Höchstnote (bei Big Big Train und bei Miriodor), auf den Plätzen befinden sich teilweise weitere exquisite Veröffentlichungen. Progressive Rock hat ja glücklicherweise kein so kurzes Verfallsdatum wie die aktuellen Klingelton-Charts, kann also auch mit Verspätung vorgestellt und besprochen werden: Besser spät, denn nie. Viel Spaß beim Lesen und keep on proggin'... [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Fragments Of An Empire "I've Left The House With Light Clothes Only, Now I'll Never Get Warm Again"

Instrumentaler Post-Rock – zweites Album der Österreicher
(CD; Pumpkin)

Schon über ein halbes Jahr alt und erst jetzt auf Umwegen zu mir gelangt ist das zweite Album mit dem griffigen Titel "I've Left The House With Light Clothes Only, Now I'll Never Get Warm Again" der österreichischen Postrocker Fragments Of An Empire. Was auf den ersten Blick provinziell wirkt (– bei allem Respekt: Welcher bornierte Städter wie ich erwartet schon Post-Rock aus der Steiermark?), ist in Wirklichkeit sehr professionell gemachter, gut anzuhörender Postrock, der sich durchaus mit den Alben von Szenegrößen (Mono, Godspeed You Black Emperor!) messen kann. Das Quartett aus Gnas wird dominiert von der für das Genre ungewöhnlich variablen Gitarrenarbeit von Daniel Gutmann, der unterstützt wird von einer guten Rhythmus-Sektion und unaufdringlichen Keyboard-, Harmonium- und Glockenspiel-Klängen. Auffällig dabei ist, dass die Stücke sich insgesamt schneller und nicht so linear (von leise nach laut) entwickeln, wie üblich. Bei Fragments Of An Empire kann ein Stück mehrere Höhepunkte haben oder einfach nur wie aus dem Nebel schemenhaft auftauchen, bevor es sich dann wieder verbirgt, ohne jemals wirklich 'greifbar' gewesen zu sein. Das macht das Album für ein Post-Rock-Album ungewöhnlich abwechslungsreich. Ebenfalls erwähnenswert: Das Album kommt mit einem schön gemachten Artwork.
Anspieltipps: "Baleful" oder "Final Phase" für die ausladenderen Stücke, "I'm Not Here" für ein kürzeres, stilleres Stück. [sal: @@@]


The Tangent "Down And Out In Paris And London"

Progressive Rock/Canterbury – The Tangent tangiert Canterbury
(CD; InsideOut)

Andy Tillison hat The Tangent wieder einmal neu erfunden, ohne prinzipiell etwas zu ändern. Wer mit den vorigen Alben der Band gut zurechtkam, der wird auch das fünfte Studioalbum "Down And Out In Paris And London" mögen. Obwohl sich das Besetzungskarussell wieder einmal gedreht hat (aus logistischen Gründen ist The Tangent nun eine rein britische Band und verzichtet auf dem neuen Album auf schwedische Musiker) und die stilistische Ausrichtung sich etwas mehr in Richtung Canterbury gedreht hat (deren Hauptvertreter in den 1970er Caravan, die frühen Soft Machine, Hatfield & The North, Gong Robert Wyatt und ähnliche waren), bleibt der Stil der Band geprägt von Tillisons Keyboards und seinem vielleicht nicht überragenden, aber prägnanten Gesang und seinen ironisch-melancholischen Texten in komplexen 'mehrsätzigen' Kompositionen. Ein Pluspunkt des Albums ist sicher der nun prominenter zu hörende Theo Travis (Saxophon, Flöte). Unterm Strich habe ich aber den Eindruck, das meiste schon auf den vorigen Alben besser gehört zu haben. Hörenswert ist allerdings der 19-minütige Opener "Where Are They Now?" und das letzte Stück "Ethanol Hat Nail", vor allem wenn man Tillisons Hang zu Enzyklopädie-langen Texten ignoriert; weniger Gesang wäre mir hier lieber gewesen.
Fazit: Ein solides Album, aber kein Highlight in der sehr gemischten Diskographie von The Tangent. Die auf diesem Album eingeleiteten Evolution könnte allerdings schon auf dem nächsten Werk der fleißigen Truppe besser klappen, wenn man wieder weniger Tillison und mehr Band zu hören bekäme. [sal: @@]


Parallel Or 90 Degrees "Jitters"

Quelle: http://www.justforkicks.de

Progressive Rock/Alternative Rock – Die andere Band von Tillison
(CD; Omega Tunez)

Auf den Tag genau zeitgleich erschien am 13.11.2009 nicht nur das fünfte Studioalbum von The Tangent "Down And Out In Paris And London", sondern auch das sechste Studioalbum "Jitters" der 'anderen', der ursprünglichen Band von Mastermind Andy Tillison, Parallel or 90 Degrees (kurz Po90). Wer glaubt, dass Po90 nur eine Art B-Variante des bekannteren Acts The Tangent sei, irrt sich. Derweil Tillison & Co. bei The Tangent gerne in Retro-Gefilden wildern, ist die Ausrichtung von Po90 deutlich moderner. Die Band definiert ihren Sound selbst als 'Alternative Prog' und so Unrecht hat sie damit nicht: Parallel or 90 Degrees klingen deutlich moderner als The Tangent, die Songs sind kompakter, rockiger und schnörkelloser. Wem also die neue Tangent-Scheibe zu altbacken klingt, wer es gerne mal gerade heraus mag, dem kann ich "Jitters" nur empfehlen. Ohne das etwas überambitionierte Retro-Outfit kommen Tillisons Songs deutlich besser zur Geltung. Zumindest diese Rund im 'Kampf der Bands' geht eindeutig an Po90.
Auf der Website der Band kann das ganze Album (!) per Stream angehört werden. In Deutschland ist das Album exklusiv beim spezialisierten Prog-Versender Just for Kicks erhältlich. [sal: @@@]


Glass Hammer "Three Cheers Of The Broken Hearted"

Quelle: http://www.justforkicks.de

(Progressive) Rock – elf lahme Hip-Hip-Hurras
(CD; Sound Resources)

Waren Glass Hammer vor gar nicht allzu langer Zeit die mit Abstand bombastischste, ja größenwahnsinnigste Retroprog-Band des Universums, die den dubiosen Ehrentitel 'die neuen Yes' zurecht trugen, weil sie sich klanglich sehr stark an die ehemaligen Helden anlehnten? Was auch immer Glass Hammer in der Vergangenheit waren, auf dem neuen Album der nun zum Trio geschrumpften Band ist nicht mehr viel übrig geblieben vom Bombast und von Progressive Rock. Stattdessen gibt es klanglich an die 1970er angelehnten Mainstream-Rock mit mehr oder minder ironischen Herzschmerz-Texten, zumeist geträllert von Susie Bogdanowicz, die auf den vorigen Alben auch deutlich überzeugender wirkte. Ich frage mich, was das soll: Für Prog ist es zu seicht, für Rock ist es zu spießig, für ein Singer-Songwriter-Album ist es zu aufgeblasen. Da bleibt einfach nicht genug hängen, um dem Album etwas abgewinnen zu können. Aber immerhin haben Glass Hammer die Luft rausgelassen und können in Zukunft hoffentlich wieder bessere oder weniger schwülstige Alben produzieren. Das hier vergessen wir lieber schnell. [sal: @]


Big Big Train "The Underfall Yard"

Quelle: http://www.bigbigtrain.com/

Progressive Rock – Großes, großes Kino
(CD; English Electric Recordings)

Schon bei ihrem letzten Album "The Difference Machine" (2007) beeindruckte mich die englische Formation Big Big Train mit schlüssigem RetroProg ohne Plattitüden. Auf ihrem kurz vor Jahresende erschienenen sechsten Studioalbum "The Underfall Yard" setzt das Trio (wieder mit teilweise prominenter Unterstützung wie Nick D'Virgilio von Spock's Beard an den Drums) noch einen drauf und legt ein atmosphärisch stimmiges, emotional dichtes Album vor, das sich zwar klanglich an die großen Prog-Bands der 1970er anlehnt (v.a. Genesis und Yes), das aber gleichzeitig modern und individuell wirkt. Melancholischer, epischer Progressive Rock der alten Schule, wie er moderner nicht gemacht werden könnte (!) und zweifelsohne eines der besten Prog-Alben des vergangenen Jahres: Toller Sound, schöne Songs, ein beindruckender Sänger und gelungene, originelle Arrangements (ungewöhnlich: mit Bläsern und Streichern) machen aus "The Underfall Yard" ein echtes Highlight.
Auf der Bandwebsite kann man das 23-minütige Titelstück "The Underfall Yard" kostenlos in exzellenter Soundqualität (320 kbps-MP3 oder FLAC) herunterladen. Dort kann man das Album zudem für schlappe 9£ (ca. 10.50€ inkl. Versand!) bestellen. [sal: @@@@@]


Moraine "Manifest Density"

Progressive Rock/Jazz/Avant – dreckiger Prog
(CD/Download; Moonjune)

Bescheiden sind sie ja nicht, die 'Retter des Progressive Rock' (so ihr selbst gewähltes Motto auf ihrer Myspace-Seite) aus Seattle, doch was das Quintett auf dem live eingespielten (und stark improvisierten) Debüt "Manifest Denisity" zu Wege gebracht hat, ist wirklich nicht das Schlechteste, was ich aus der US-amerikanischen Jazz-/Prog-/Avant-Szene gehört habe. Moraine spielen eine gut anhörbare Mischung (erstaunlich bei diesen Ingredienzien!) aus rotzig klingendem, komplexen Progressive Rock und Avantgarde und verweben darin Elemente des Jazz auf vornehmlich akustischen oder zumindest nicht verzerrten Instrumenten: Chamber-Rock? Ja, aber mit deutlicher Betonung auf Rock, denn die Attitüde hat hier nur wenig mit dem intellektuellen Chamber-Rock anderer Bands (vornehmlich belgischer Herkunft) zu tun. Wem das Genre bisher vielleicht zu kopflastig war, der sollte unbedingt einmal in dieses Album hineinhören. Die Spielfreude der Musiker ist unüberhörbar.
Das Album ist beim deutschen Versender nur als Download erhältlich, kann allerdings preisgünstig auf der Website des Labels Moonjune für $14 inkl. Versand bestellt werden. Anspieltipps: "Save The Yuppie Breeding Grounds" und "Kuru". [sal: @@@@]


Miriodor "Avanti!"

Avantgarde/RIO – Vorwärts Avantgarde!
(CD; Cuneiform)

Acht Monate musste ich auf meine Ausgabe des neuen Miriodor-Albums "Avanti!" warten, das ich doch schon so lange heiß ersehnte, nicht zuletzt aus einem ganz persönlichen Grund: Das Artwork wurde von meinem Idol Jade Leary alias Patrick La Roque gestaltet, der auf seiner Website das Album in höchsten Tönen lobte. Kaum erschien "Avanti!", schon kristallisierte sich in den ersten Besprechungen auf in- und ausländischen Websites heraus, dass das sich das kanadische Ensemble aus Montreal selbst übertroffen habe. "Avanti!" ist erst das siebte Studioalbum in 30 Jahren Bandgeschichte, das erste Lebenszeichen der Band nach fünf Jahren, doch das lange Warten hat sich gelohnt: Man kann es Kammerprog oder Kammerjazz nennen, Rock in Opposition oder sonstwie, Miriodors Musik ist komplex und verzwirbelt, humorvoll und unvorhersehbar, jazzig und lässig, strukturiert und freischwebend, vor allem aber einzigartig und gewiss nicht jedermanns Sache. Wer aber etwas für Avantgarde-Jazz, Progressive Rock und komplexe Kompositionen übrig hat, der wird an diesem Highlight des Jahres 2009 kaum vorbei können. [sal: @@@@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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