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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #627 vom 04.05.2009
Rubrik Texte - lesen oder hören

Richard David Precht "Liebe - Ein unordentliches Gefühl"

H̦rbuch РNiemand scheint besonders, weil allen alles offensteht
(4CD; Random House)

Richard Precht ist telegen. Er ist intelligent. Er schreibt erfolgreiche Bücher. Ein Scheißkerl ist er! Denn er schreibt auch noch gut. Zusammen mit den populären Wissenschaftsautoren Bill Bryson und Simon Winchester gehört Precht zur Kategorie »A«. Er ist ein penibler Studierer der Soziologie, Psychologie, Biologie und vieler Fachrichtungen mehr. Er stellt Zusammenhänge her, »was Philosophie heute nur noch leisten kann«, konstatiert er. Und so weist Precht hier und da verblüffend nach, dass wir offensichtlichen Quatsch für plausibel halten. Ich sag's ja, ein Scheißkerl.
Diesmal ist Prechts Thema die Liebe. Etwas gespreizt nennt er sie das »unordentliche Gefühl«. Warum? Weil dies Gefühl – das manche in den siebten Himmel, andere in den Selbstmord treibt, die meisten unglücklich hält – evolutionsbiologisch keinen Sinn macht. Und trotzdem ist sie da. Die Popmusik hat nur dies Thema.
Nebenbei weist Precht mit leichter Hand nach, dass die so populäre These Richard Dawkins', die besagt, in der Liebe seien wir von unseren Genen gesteuert und wir strebten nur danach, uns mit besten Genen fortzupflanzen, Unsinn ist. »Schauen Sie doch mal in die Welt, Paare, die Sie persönlich kennen.« Das hat mich schockiert. Denn die Jagd auf das perfekte Stück DNA kann ich bei meinen Eltern nicht erkennen, bei mir nicht und keinem meiner Freunde. Da sind Dicke, Dünne, Krumme, Schiefe – kein einziger ist mit Gengold zusammengezogen.
Noch mehr hochgezogene Augenbrauen warten: So entstieg die Vorstellung der romantischen Liebe, stellt Precht dar, englischen Romanen des 18. Jahrhunderts (als Aufschrei der Liebe gegen die damaligen Konventionen eines beschränkten Heiratsmarktes) und ist bis heute eine Idealvorstellung geblieben, die wir unbewusst nachleben. Vorher? Gab es diese Vorstellung so nicht.
Und weiter: Dass wir in einer Beziehung sogar Filmskripte nachleben und plötzlich Schluss machen, wenn der andere gegen das Skript dieses unbewussten Films verstößt, hat mir das Verständnis manch früherer Beziehung eröffnet.
Leider stellt Precht den heutigen, von Konventionen losgelösten Liebesmarkt als ernüchternd dar. Weil wir die Illusion brauchen, unser Partner sei etwas Besonderes. Und wie kann das heute der Einrichtungsgeschmack sein? Der steht in hunderttausenden Wohungen rum. Wie der Musikgeschmack? Sogar Leute, die wir verabscheuen, können dieselbe Musik lieben wie wir. Haben wir einzigartige Hobbies? Jeder kitet, skatet, twittert und legt auf. Der Markt ist offen, und der Markt ist erbarmungslos: Niemand scheint besonders, weil allen alles offensteht, wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte.
Wer das geschluckt hat, ist für eine andere Botschaft bereit: Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass wir mit zunehmendem Alter die Muster unserer Eltern kopieren. Wir mögen uns noch so sehr einbilden, intelligenter, liebevoller, abenteuerlicher zu leben – keine Chance! Zumal wir auch schon frühzeitg einen Partner gewählt haben, der dem gelernten Muster aus dem Elternhaus entsprechen wird. Verdammt!
So macht uns Liebe einfach unglücklich. Precht hakt nach. Glück? War evolutionstechnisch offenbar kein Zustand, der zum Überleben unserer Gattung notwendig war. Daher muss es langfristig auch unglücklich weitergehen. Also noch mehr traurige Lovesongs.
Richard David Precht ist nebenbei auch noch ein vortrefflicher Vorleser. Gemeinsam mit seiner Frau Caroline Mart präsentiert er dialogisch den spannenden Text. Die Musik hätte nicht sein müssen, ist aber überraschend zärtlich gelungen. [vw: @@@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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