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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #615 vom 02.02.2009
Rubrik Kolumne

Sal's Prog Corner #77

Reste, Reste, Reste. Die heutige Prog Corner kocht hauptsächlich olle Kamellen vom letzten Jahr auf. Das neue Jahr ist nun gar nicht mehr so neu, aber die Neuerscheinungen tröpfeln nur in homöopathischen Dosen auf den Prog-Markt. Das wäre eigentlich auch nicht weiter schlimm, wenn sich das positiv auf die durchschnittliche Qualität der Neuveröffentlichungen auswirken würde: Es gibt nun wahrlich genug überflüssige Scheiben im Progressive Rock (und anderswo). Aber meine naive Hoffnung auf die große Qualitätsoffensive bleibt bisher unerfüllt. Immerhin: Ein paar Scheiben, hauptsächlich aus dem Mainstream-Bereich, bleiben dann doch übrig, die besprechenswert erscheinen – im Guten wie im weniger Guten (Rezensionen können ja auch Warnungen sein). Keep the faith and keep on proggin... [sal]


Keith Emerson · Marc Bonilla · Glenn Hughes "Boys Club - Live from California"

Classic Rock – Alte Männer rocken (Live 1998)
(CD; Edel)

Vielleicht wäre diese CD nie veröffentlicht worden, hätte die im letzten Jahr erschienene Scheibe der Keith Emerson Band nicht einen Gewissen Erfolg bei den Fans gehabt und ein bisschen Wohlwollen bei den Kritikern erhalten. So wurde in den Archiven gekramt und zu Tage förderte man diese Live-Aufnahmen aus dem Jahre 1998 mit einer All-Star-Band: Keith Emerson (keyb), Glenn Hughes (ex-Deep Purple/Black Sabbath, voc) und Marc Bonilla (g) mit illustren Sidemen. Das klingt gar nicht übel, aber wie so oft, wenn sich große Musiker zusammentun, versagen sie auf der ganzen Linie. Shit happens...
Die Band spielt eine schwülstige, unausgegorene Mischung aus Classic Rock, Rock'n'Roll, Hardrock-Passagen und Progressive Rock à la Emerson. Die Vocals von Glenn Hughes jodeln sich durch eine Setlist, die einfach nicht seinem Naturell entsprechen; Keith Emerson nervt wie eh und je mit nahezu unerträglich penetranten Keyboard-Parts und – noch schlimmer – mit uncoolem Honky-Tonk-Piano; Marc Bonilla, Schüler von Joe Satriani, nudelt sich durch alle ausgelutschten Gitarrensolo-Klischees dieser Welt (und ist dennoch der harmloseste der drei Haupttäter). Die Neukompositionen sind belanglos und kaum gehört, schon vergessen; die Cover-Versionen ("Long Journey Home", "Hoedown", "Nutrocker", "Tarkus", "A Whiter Shade of Pale" und "Dreams") sind teilweise eine echte Zumutung: Ich habe noch nie eine schlechtere, unangebrachtere Version von "A Whiter Shade Of Pale" gehört und die aufgeblasene "Tarkus"-Fassung (eine ELP-Nummer und dann auch noch aufgeblasener! Sic!) sind schlichtweg grauenvoll.
Wollte man hiermit wirklich die "kleine Emerson-Flamme" des letzten Jahres noch ein wenig schüren? Nun, mit dieser Veröffentlichung hat man dem ohnehin angeknacksten Ruf Emersons keinen Gefallen erwiesen. [sal: @]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Presto Ballet "The Lost Art Of Time Travel"

RetroProg – Mainstream-Prog, gut gemacht
(CD; Progrock)

Wer sich ab und zu nicht nur die Speerspitze der Avantgarde antun möchte, sondern auch gerne Mainstream-Prog mit starken Retro-Einflüssen hören mag, der sollte unbedingt einmal in die neue Presto Ballet-Scheibe reinhören. War das Debütalbum "Peace Among The Ruins" (2005) noch unausgewogen und eher hardrockig als episch angelegt, so überrascht Bandkopf Kurdt Vanderhoof (g) mit seinen Mitstreitern auf "The Lost Art Of Time Travel" mit einem schön produzierten, gut gemachten und recht unterhaltsamen Konzeptalbum.
Analoge Keyboards, einige locker-flockige Zitate (v.a. Yes und Kansas in Wort und Klang), mit Scott Albright ein guter Sänger, keine penetranten Solo-Parts (»Guck mal, wie toll ich mein Instrument beherrsche!«) und ordentliche, schlüssige Kompositionen: Doch, ich muss sagen, dass mich dieses Album wirklich angenehm überrascht hat. Der von mir viel geschmähte RetroProg-Sektor mit seiner etwas zweidimensionalen, rückwärtsgewandten Einstellung steht üblicherweise für Masse und nicht so sehr für Klasse, dieses Album ist allerdings überraschend frisch, unverkrampft rockig und durchaus unterhaltsam. [sal: @@@]


Nemo "Barbares"

Quelle: http://justforkicks.de/

Progressive Rock – Das sechste Studio-Album der französischen Progressive Hardrocker
(CD; Quadrifonic)

Nemo gehören zu den erfolgreichsten französischen Bands in der aktuellen Prog-Szene. Ihr alles in allem sehr eigener Sound hat sich eine ordentliche Fangemeinde auch außerhalb der frankophonen Länder aufgebaut, obwohl das Quartett um Bandleader JP Louveton (g, voc) konsequent auf seine Muttersprache setzt.
Auf ihrem mittlerweile sechsten Studio-Album seit 2002 (plus dem Live-Album "Immersion Publique", 2005) lassen es Nemo etwas songorientierter angehen, als auf ihrer zuvor veröffentlichten hochgelobten Dilogie "Si" ("Partie I", 2006 und "Partie II - L'Homme Idéal", 2007), die Zutaten sind allerdings en gros dieselben geblieben: Epische Kompositionen und eine geschmackvolle Mischung aus RetroProg, NeoProg, Hardrock und einigen punktuell eingesetzten modernen elektronischen Spielereien machen aus "Barbares" ein rundum gelungenes Album mit eigenem Charakter und eine Bestätigung des hohen Niveaus ihrer Alben, ohne wirklich Neues zu bringen (muss ja auch nicht immer sein). Wer die Band noch nicht kennt, kann durchaus mit diesem Album anfangen.
Nemo-CDs sind nicht überall, wohl aber bei ausgesuchten Händlern erhältlich. [sal: @@@@]


Asturias "In Search Of The Soul Trees"

Quelle: http://musearecords.com

Progressive Rock/Instrumental – Nah an Mike Oldfield und doch irgendwie nicht
(CD; Musea)

Als ich zum ersten Mal "In Search Of The Soul Trees" hörte, glaubte ich fast, dass ich einem alten, bisher unveröffentlichtem Album von Mike Oldfield aus den späten 1970ern lauschen würde. Leider nutzte sich dieser überraschend positive Höreindruck schnell ab – zumindest bei mir: Was war geschehen?
Yoh Ohyama, der japanische Multiinstrumentalist hinter dem Projekt (unterstützt von einigen exzellenten Gastmusikern) ist technisch bestimmt nicht schlechter als Mike Oldfield. Und auf den ersten Hinhörer weist die rund 50-minütige, zweiteilige Suite auch gewisse Ähnlichkeiten mit Alben des Meisters à la "Incantations" (1978) auf, doch die Patina ist dünn und darunter verbirgt sich ein substantieller Klassenunterschied. Asturias sind nicht nur Epigonen, denen es notgedrungen an der Originalität des Vorbilds mangelt, ihnen fehlt auch die geschmackvolle Umsetzung der Instrumentierung, die den jungen Oldfield auszeichnete. Yoh Ohyama mag ein guter Gitarrist sein, den sichersten Geschmack in Sachen Sounds hat er als Keyboarder gewiss nicht. Manche Passagen sind geradezu zugekleistert mit unangenehmen und unechten Klängen. Die Kompositionen sind angenehm und freundlich, aber vom wirklich gelungenen Finale einmal abgesehen so zuckersüß, dass man sich schnell daran den Magen verdirbt. Will sagen: Irgendwann hat man die Nase voll von so viel verspielter Lieblichkeit in der Musik. Dem Album fehlt es insgesamt an (mehr) druckvollen Passagen. Wenn man sich alle Energie für das Finale aufspart, so ist das Album sehr linear aufgebaut und berechenbar: Leiser Beginn, stete Steigerung, großes Finale mit allem Pi-Pa-Po, Ausklang.
Anderseits möchte ich das Album auch nicht übermäßig schlecht reden: Wer Oldfield (oder die orchestraleren Sachen von Sky) liebt, der wird dieses Album auch sehr mögen. Für mich reicht es auf Dauer eben nicht.
"In Search Of The Soul Trees" ist nicht überall, wohl aber im spezialisierten (Versand-)Fachhandel erhältlich. [sal: @@]


Parallel Or 90 Degrees "A Can Of Worms"

NeoProg/RetroProg – Retrospektive der Tangent-Vorläufer-Band
(2CD; Progrock)

Bevor Andy Tillison sich mit The Tangent beharrlich zu einer wichtigen Figuren der RetroProg-Szene entwickelte, stand er der Band mit dem ulkigen Namen "Parallel Or 90 Degrees" vor, der unter anderem auch Sam Baine (bis vor kurzem auch noch bei The Tangent) angehörte. Die leidlich erfolgreiche Band veröffentlichte sechs leidlich erfolgreiche Alben, die dann letzten Endes doch zur Initialzündung von The Tangent führten. Mittlerweile sind die regulären Alben längst gestrichen. Da kommt dem interessierten Tangent-Fan die nun veröffentlichte (Quasi-) Best-Of-Compilation "A Can Of Worms" gewiss nicht ungelegen, die die besten Tracks der Band und einige unveröffentlichte Raritäten zusammenfasst, unter anderem dem coolen "Blues For Lear" mit dem späteren Tangent-Mitbegründer (und The Flower Kings-Boss) Roine Stolt an der Gitarre und den Lead Vocals.
Ich wage mal zu behaupten, dass man mehr Parallel Or 90 Degrees nicht braucht, so gesehen ist "A Can Of Worms" eine durchaus sinnvolle Veröffentlichung für den geneigten RetroProg-Fan. [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Lars Hollmer "Viandra"

Avantgarde/Folk/Instrumental – Epitaph eines stillen Meisters
(CD; Cuneiform)

Am 27.12.2008 starb Lars Hollmer, eine der einflussreichsten (und hierzulande fast völlig unbekannten) Figuren in der schwedischen Avantgarde- und Progressive-Rock-Szene mit nur 60 Jahren. Mit seiner Band Samla Mammas Manna legt er bereits in den frühen 1970ern den Grundstein für die heute so beliebte schwedische Prog-Szene und vermischte in seinen Projekten immer wieder diverse Avantgarde-Einflüsse, jazzige Improvisationen, nordische Folk-Melodien, Polyrhythmik und klassischen Progressive Rock miteinander.
Kurz vor seinem Tod erschien sein zwölftes Solo-Album, auf dem er (allerdings auf fast ungewohnt ruhige Weise) noch einmal alle Register seines Könnens zog und zu seinem poetischen Stil verdichtete, bei dem er melodische Leichtigkeit mit rhythmischer Komplexität spielerisch und unvorhersehbar verband.
Rückblickend klingt "Viandra" nun wie ein ruhiger, melancholischer Nachruf auf sich selbst, bei dem Hollmer noch einmal auf das etwas wehmütig zurückblickt, was ihm musikalisch wichtig war. Ein schöner, trauriger Abschluss einer integren Musikerkarriere. [sal: @@@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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