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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #606 vom 10.11.2008
Rubrik Kolumne

Sal's Prog Corner #75

Gestern war Weihnachten und Ostern gleichzeitig, zumindest für die Progressive-Rock-Welt, doch wirklich! Gestern erschien nämlich die dritte und letzte Genesis-Box "Box Set 1970-1975", die ergo die 'klassischen Alben' der Gabriel-Ära umfasst: "Tresspass" (1970), "Nursery Cryme" (1971), "Foxtrot" (1972), "Selling England By The Pound" (1973) und "The Lamb Lies Down On Broadway" (1974). Neu gemastert, mit Bonus-Tracks bestückt, fein verpackt – ist 'ne tolle Sache. Und was macht die Prog Corner? Sie lässt die wichtigste Archiv-Veröffentlichung der letzten Jahre (erst einmal?) aus und konzentriert sich auf einen Batzen Neuerscheinungen mit neuer Musik (sic!), obwohl... Ganz am Thema Genesis kam ich dann doch nicht vorbei. Wen es nach mehr Genesis dürstet, der kann in die neue Box unter dem unten angegebenen Link ausführlich reinhören (neun volle Tracks, dazu Videos usw.).
So oder so: Keep on proggin... [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Deus Ex Machina "Imparis"

Avant/Fusion/Progressive Rock – Das Comeback der Italiener
(CD+DVD; Cuneiform)

Es war ein wenig still geworden um die Avantgarde-Truppe aus Bologna, aber glücklicherweise, nach einer längeren Auszeit, präsentiert sich das Sextett um Ausnahmesänger Alberto Piras in gewohnter Hochform und legt mit "Imparis" ein weiteres exzellentes Album vor. Die Mischung aus Progressive Rock alter Prägung, Fusion mit Referenzen an das Mahavishnu Orchestra und vor allem an die italienische Fusion-Legende Area sowie nicht mehr ganz so furioser Avantgarde wie auf ihrem Meisterwerk "Equilibrismo Da Insofferenza" (1998) machen aus "Imparis", dem erst sechsten Album der Band, ein Fusion-Highlight des Jahres. Piras' extravagante Stimme und die treibenden Keyboards (hauptsächlich Hammond-Orgel und E-Piano) von Fabrizio Puglisi werden unterstützt von der variablen Gitarre Maurino Collinas und der Violine (!) von Buonez Bonetti. Das alles basiert auf dem Fundament der jazzigen Rhythmus-Sektion Porre Porreca (Bass) und Claudio Trotta (Drums): Sechs Ausnahmemusiker, die musikalisch so homogen auftreten, wie kaum eine andere Truppe aus dem Prog/Fusion-Bereich.
Mehr als nur ein netter Bonus ist die beiliegende DVD mit einem kompletten Live-Auftritt sowie ausführlichen Interviews mit der Band sowie einigen raren TV-Mitschnitten aus deren Frühphase. Da die Band nur selten tourt, ist dies vermutlich für viele die einzige Gelegenheit die Band live zu erleben. [sal: @@@@]


Karmakanic "Who's The Boss In The Factory"

RetroProg/Mainstream – Das Soloprojekt des Flower Kings-Bassisten Jonas Reingold zum dritten
(CD; InsideOut)

Huch?! Ein Jahr ist vorüber und es gibt kein offizielles neues Album von den schwedischen RetroProg-Platzhirschen The Flower Kings? Nur ein schnödes official Bootleg mit einer Live-Aufnahme von 2006 und, ach ja, das dritte Album des Flower-Kings-Ablegers Karmakanic (die man mehr als einmal boshaft 'Flower Kings light' nannte, nachdem ihr zweites Album "Wheel Of Life" (2004) so enttäuschte).
Und richtig: Das Album beginnt mit dem Longtrack "Send A Message From The Heart", der wirklich täuschend echt nach der Stammformation des Bandleaders Jonas Reingold klingt. Und so quält man sich durch den 20-minütigen, x-ten Flower-Kings-Aufguss um dann eine echte Überraschung zu erleben. Der Rest des Albums weist eine deutliche Entfernung zu den Blumenkönigen auf und macht Spaß. Statt drögem RetroProg gibt es groovenden Pop und Rock, deutlich cooler und moderner ausgerichtet, dominiert vom fantastischen Rhythmus-Duo Reingold/Csörsz und mit schönen Songideen durchsetzt: Balladen, Uptempo-Nummern, Beatles-Zitate und das alles vom feinsten. Na also, geht ja doch noch! Das ganze ist dann so proggy wie ein Pink-Floyd-Album (ergo, nicht so dolle), aber wen kümmert's?
Es bleibt also doch dabei: Es gibt kein Flower-Kings-Album in diesem Jahr. [sal: @@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Nichelodeon "Cinemanemico"

Quelle: http://www.claudiomilano.it

Anti-Pop/Avantgarde – Elektro-akustische "anti/pop experience"
(CD; Selbstverlag)

Aus Italien erreicht mich eine der radikalsten und interessantesten Avantgarde-Veröffentlichungen der letzten Monate: Nichelodeon [sprich 'Nickelodeon', das 'ch' klingt im Italienischen wie 'k'] ist die Formation um den Sänger extraordinaire Claudio Milano mit alten Bekannten der italienischen Szene: Riccardo Di Paola, einem Avant/Jazz-Musiker (synth) und allen voran Francesco Zago (g) und Maurizio Fasoli (p) von Yugen, einer Band, die 2007 mit ihrem Debüt "Labirinto d'acqua" für Aufsehen sorgte.
Im Mittelpunkt des live eingespielten Debüts "Cinemanemico" (zu Deutsch etwa 'Feindliches Kino') steht natürlich Milanos beeindruckende Stimme, die neben einem außergewöhnlichen Stimmumfang mindestens ebenso variantenreich im Ausdruck ist. Milano fleht, flüstert, wispert, schreit, singt, bedroht, verführt, beweint und das elektro-akustische Ensemble unterstreicht mit wenigen Pinselstrichen die Kompositionen, die zum Großteil aus der Feder Milanos stammen, mit Ausnahme der wundervollen Händel-Arie "Lascia ch'io pianga" und zweier kleiner Intermezzi aus Francesco Zagos Feder. Trotz der zum Teil intensiven Lyrics, die Milano vorträgt, wirkt das Album wegen des expressiven Gesangs gewiss auch bei Nicht-Italophilen; Nichelodeon ist schließlich alles andere als eine Singer/Songwriter-Truppe, sondern eine Band – eine Band, für die man nur schwer Kategorien finden kann. Es ist, als ob man den experimentellen Gesang eines Tim Buckley mit den psychedelischen Soundscapes von Robert Fripp und den Klanglandschaften Brian Enos gepaart hätte. Das Ergebnis ist hypnotisch, absolut einzigartig und wirklich entdeckenswert, wenn man Musik jenseits der üblichen Schemata zu schätzen weiß.
"Cinemanemico" ist derzeit exklusiv auf der Website des Sängers erhältlich. [sal: @@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Rewiring Genesis "A Tribute To The Lamb Lies Down On Broadway"

Progressive Rock/Country/Bluesgrass – Cool: The Lamb Lies Down In Nashville
(2CD; Progrock)

Dem regelmäßigen Leser dieser Kolumne mag aufgefallen sein, dass ich kein Freund von Cover-Alben bin. Denke ich an ein so grausiges Machwerk wie "The Ultimate Tribute To Led Zeppelin", dann gerate ich in Rage. Und was flattert mir da ins Haus? Schon wieder ein Cover-Album, und dann auch noch eine vollständig gecoverte Version des Genesis-Klassikers "The Lamb Lies Down On Broadway" (1974). Darf man, sollte man so etwas tun? Macht es Sinn ein Album komplett neu einzuspielen, zumal eines, das sich so tief ins kollektive Bewusstsein der Prog-Welt (und weit darüber hinaus) festgesetzt hat? Nun, meine übliche Antwort lautet gewiss immer 'Nein'.
Aber im Falle von "A Tribute To The Lamb Lies Down On Broadway" vom Projekt Rewired Genesis, hinter dem niemand anderes als Nick D'Virgilio (Spock's Beard) steckt, bin ich mehr als bereit eine Ausnahme zu machen. Was D'Virgilio und sein kongenialer Partner, der Toningenieur und Produzent Mark Hornsby, mit ihrer Neuinterpretation des Doppel-Album-Klassikers gelang, ist wirklich hörenswert, besser: sensationell! Was sagen da die Prog-Gralshüter? Ein Sakrileg? Ach was, das ganze Album drückt D'Virgilios tiefen Respekt vor dem Original aus.
Das Album wurde komplett neu arrangiert, mit Bläsern, Streichern und sogar ein Akkordeon ist hie und da zu hören. D'Virgilio drummt (exzellent!) und singt (exzellent!) auf dem Album, den Rest besorgt die Crème de la crème der Nashvilleschen Studiomusiker. Das Ergebnis ist eine wahnsinnig coole, groovende und spielfreudige Neufassung der wirren Geschichte von Rael, die – lassen wir doch einfach mal jeden Mythos beiseite – dem Original in nichts nachsteht. Wo das 1974er Album heilig und unantastbar, aber dann irgendwie auch kopflastig, verkrampft und undurchsichtig wirkt, ist die Rewired-Fassung lockerer, eindeutiger, kurzweiliger; was wirklich faszinierend ist, weil sich die Neufassung eng an die Zeitvorgaben des Original hält.
Lange Rede, kurzer Sinn: Wer nicht völlig verbohrt ist und Genesis' "The Lamb Lies Down On Broadway" (trotz aller Einschränkungen) liebt, wird "A Tribute To The Lamb Lies Down On Broadway" mindestens mögen; wer immer schon ahnte, dass hinter dem Album mehr steckte, als die Studiofassung von 1974 hergibt, der wird diese Fassung als Bestätigung empfinden und insgeheim öfter hören als das Original. Lediglich rückwärtsgewandte Fans werden D'Virgilio das doppelte Sakrileg (Coverversion und coole Mitwipp-Musik) nicht verzeihen können.
Nick D'Virgilio liefert hier seine stärkste Leistung als Musiker und Sänger. [sal: @@@@@]


Neal Morse "Lifeline"

(Christian) Progressive Rock – Out of depths of his religion comes Neal Morse
(CD, 2CD; Radiant)

Alle Jahre wieder erscheint ein neues Neal-Morse-Progrock-Album (zwischendurch erscheinen zahllose Live-CDs, Live-DVDs und sogenannte Worship-Alben mit dezidiert religiöser Musik) und alle Jahre wieder dreschen böse Kritiker wie ich auf seine Solo-Scheiben ein. Warum? Es gibt viele gute Gründe dafür, angefangen bei dem stets grässlichen Artwork, über die unerträglichen Texte, die sich bei Morse nur noch um Gott, das Böse und den Weg zum Guten (also ins 'wahre Christentum') drehen, bis hin zu den einfallslosen, standardisierten Produktionen mit den ewig gleichen Musikern: Mike Portnoy von Dream Theater (dr) und Randy George von Ajalon (b).
Hauptkritikpunkt des neuen Albums "Lifeline" (immerhin kein schwülstiges Konzeptwerk, wie die vorangegangenen Alben) sind wieder einmal die einfallslosen Kompositionen, die weiterhin aus dem abgegriffenen 'Morse'schen Bastel-Set für Progrock' zusammengestückwerkt werden, ohne echten Zusammenhang und ohne wirklich etwas Neues zu bieten. Selbst "Leviathan", das Highlight des Albums, ist nach zweimaligen Durchhören abgegriffen und fade. Und so bleibt die Quintessenz dieses Albums dieselbe wie die beim Vorgänger "Sola Scriptura": Musik und Texte zum Abgewöhnen. [sal: @]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Ayreon "Timeline"

ProgRock/ProgMetal/Melodic Rock – Einmal um die ganze Ayreon-Welt...
(3CD+DVD; InsideOut)

Der niederländische Multiinstrumentalist Arjen Lucassen ist der bekennende Megalomane des Progressive Rock. Nur eines der sechs seit 1995 erschienenen regulären Alben von Ayreon war ein Einzel-Album, nämlich "Actual Fantasy" (1996), der Rest kam doppelt und zuletzt sogar dreifach daher. Nun erstellt Lucassen auf "Timeline" eine Zwischensumme, bevor er sich auf weitere Nebenprojekte und irgendwann einmal auf das nächste Ayreon-Album stürzt. "Timeline" ist also da, um die Wartezeit zu versüßen und wartet neben einem drollig, aber irgendwie auch gelungen zusammengewürfeltem Querschnitt der bisher erschienenen Alben mit einem neuen Song (irgendwie obligatorisch heutzutage) und einer vollgepackten Bonus-DVD mit veröffentlichtem und unveröffentlichtem aus dem Lucassen-Kosmos auf.
Braucht der Fan das? Ich sag jetzt mal 'Nein', obwohl es die Fans dennoch kaufen werden; braucht man das als interessierter Progrock-Fan? Vielleicht ist "Timeline" ein hübsch essentieller Querschnitt aus dem Lucassen-Universum, wenn man auf Prog-Oper(etten) steht. Ob es allerdings Sinn macht, Konzeptalben zu zerschneiden und hintereinander zu setzen, muss jeder selbst entscheiden. [sal]


Moonbound "Confession And Release"

Mainstream/ArtPop – Sauber produzierter Pop mit leichten Prog-Allüren
(CD; Unsung)

So kann es gehen: Lobte ich noch in der letzten Ausgabe der Prog Corner das avantgardistische Album des deutsch-amerikanischen Projekts Tuner, so bin ich fast ein wenig ratlos beim vorliegenden Moonbound-Debüt "Confession And Release". Warum? Der Mann hinter Moonbound, Fabio Trentini, war Bassist und Produzent von so unterschiedlichen Acts wie den Guano Apes, Subway To Sally, den H-Blockx und eben dem Avantgarde-Duo Tuner.
Hatte ich erwartet, dass sein neuestes Projekt (in dem er neben Produktion und Bass auch das Gros der anderen Instrumente und den Gesang übernahm) wie das hervorragende "Pole" von Tuner klingt (der er als Produzent und dritter Mann seinen Stempel aufdrückte), so wurde ich sehr schnell eines besseren belehrt. Der Italiener mit deutschem Wohnsitz hat ein sehr gutes Pop-Album vorgelegt, das trotz der Beteiligung der Tuner-Köpfe Mastelotto und Reuter (sowie vieler anderer Gäste) nichts mit "Pole" gemein hat – nur die perfekte Produktion und einen überdurchschnittlich guten Sound. Wenn man dies einmal begriffen hat, kann man die guten Pop-Songs Trentinis genießen und leicht lächeln, wenn hie und da ein Sprenkel Progressive Rock hervorlugt. Trentini ist ein versierter, vielseitig interessierter Vollblutmusiker, der offenbar für Qualität, nicht aber so sehr für ein bestimmtes Genre steht. Wer poppige Nummern mag, wird hier gewiss nicht enttäuscht werden. Man sollte aber nicht meinen Fehler wiederholen und Tuner II erwarten.
Hierzulande ist das Album schneller und günstiger beim spezialisierten Prog-Dealer erhältlich, als beim 'großen Versender'. [sal: @@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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