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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #568 vom 28.01.2008
Rubrik Texte - lesen oder hören

Daniel Kehlmann "Die Vermessung der Welt"

Hörbuch – Ãœber die Geistesgrößen Gauß und Humboldt, in ihrer Größe und Lächerlichkeit.
(5CD; Deutsche Grammophon)

Die Struktur ist ein und dieselbe: Zwei Erzählstränge mäandern durch zwei Forscherleben, um sich nach zwei Dritteln des Romans zu kreuzen. So hat es 1982 T.C. Boyle mit seinem spektakulären Roman "Wassermusik" um den Afrika-Forscher Mungo Park und dessen späteren Assistenten Ned Rise vorgemacht. Und so hat es Daniel Kehlmann 2005 gemacht: "Die Vermessung der Welt" kam heraus. Seine Forschergestalten sind der Mathematiker Carl Friedrich Gauß (1777-1855) und der Naturforscher Alexander von Humboldt (1769-1859).
Während T.C. Boyle durch groteske Szenen, Dialoge und hunderte verblüffender Metaphern ein Millionenpublikum begeisterte, steht Daniel Kehlmanns Roman nicht zurück: Auch er bietet groteske Szenen, skurrile Dialoge, großen Witz und erzählt dazu in packend anschaulicher Sprache.
Eine unterhaltsamere Erzählweise kann es wohl auch gar nicht geben:
In kurzen Szenen wechselt Kehlmann zwischen den Lebensstationen der beiden Forscher hin und her und macht uns die 'deutschen Geistesgrößen' durch ihre Marotten und Verklemmtheiten intim vertraut: Einerseits ist da der einzelgängerische, messbesessene Alexander von Humboldt als kleiner Bub, als penibler Jung-Forscher, dann in Spanien auf Exkursion, später auf kräftezehrender Südamerika-Reise, dann in den USA, schließlich auf 'Russland-Tournee' samt begeisterter Fangemeinde im Schlepptau. Andererseits ist da Gauß, das frühe Genie, das Muttersöhnchen, konservativ, verstockt, reiseunwillig, die eigenen Kinder verachtend, eingeigelt in Göttingen.
Das fiktive Treffen der beiden Forscher 1828 in Berlin, im Rahmen eines Kongresses, birst vor Komik: Gauß will nicht aus der Kutsche austeigen, weil er keinen Bock auf den Trubel hat, Humboldt ist ein gelackter Affe, stolz auf seinen geleckten, kleinschrittigen Bruder. Zum Schreien komisch!
So wie Milos Forman mit seiner satten Verfilmung von Peter Shaffers Theaterstück "Amadeus" das Interesse an Mozart und seiner Musik neu geweckt hat, so erweist Kehlmann nun Gauß und Humboldt diesen Dienst. Interessant auch, dass die international erfolgreichsten deutschen Romane der letzten Jahrzehnte allesamt historisierende Romane waren: Patrick Süßkinds "Das Parfüm", Robert Schneiders "Schlafes Bruder" und nun Daniel Kehlmanns "Die Vermessung der Welt".
Dass die vom Autor leicht gekürzte Hörbuchversion dann noch von Ulrich Matthes, dem großen Schauspieler und Synchronsprecher von Kenneth Branagh, in fünf Stunden und 45 Minuten gelesen wird, erhöht den Spaß. Denn Matthes, neben Rufus Beck und Christian Brückner eine der besten Stimmen deutscher Sprache, kann hier sein Stimm-Spektrum entfalten: Verblüfft, verstockt, verbohrt. Weise, wissend, versiert. [vw: @@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


Permalink: http://schallplattenmann.de/a116629


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