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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #491 vom 03.07.2006
Rubrik Kolumne

Sal's Prog Corner #56: Krautrock-Special

In diesen Tagen der Fußballweltmeisterschaft wird ja gerne alles mit dem Phänomen des runden Leders verglichen. Nicht selten zitieren Statistiker und Historiker interessante (oder völlig irrelevante) Parallelen zu früheren Turnieren; sicher ist dabei der Vergleich mit der WM 1974 in Deutschland der naheliegendste: Eine weithin unterschätzte Mannschaft steigert sich während des Turniers und liefert eine überzeugende und mitunter begeisternde Leistung ab. Ob es heuer zum selben Happy End für die Deutsche Fußballnationalmannschaft reicht, wissen wir in einer Woche.
Auffallend bei den Fernsehaufnahmen jener WM '74 ist der Look der Fußballer und der (jungen) Fans: Lange Haare und betont lässiges Auftreten waren damals schwer angesagt, ein Hauch von Rock'n'Roll schwebte sogar über den biederen Fußballburschen unter Trainer Helmut Schön. Die Nationalmannschaft trällerte "Fußball ist unser Leben" und landete einen peinlichen Hit, doch in Wirklichkeit war die Bundesrepublik Mitte der 1970er Jahre musikalisch emanzipiert. Längst war aus der Underground-Nische 'Krautrock' eine Konstante in der deutschen Rockszene geworden, die auch jenseits der Grenzen Beachtung fand.
Passend zur Erinnerung an diese gloriosen musikalischen Zeiten wurden jetzt eine Reihe klassischer Krautrock-Alben wiederveröffentlicht, die im Fokus dieser Sonderausgabe der Prog Corner stehen. Für heute gilt also: Viel Spaß beim Entdecken oder Wiederhören und keep on krautin'... [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Amon Düül II "Yeti"

Krautrock – Das beste Album der Münchener Kultband (1970)
(CD; Revisited)

Am Anfang war die Kommune. Und am Anfang waren Amon Düül, sowohl als stilprägende Band, als auch als Namensgeber. Vom Amon-Düül-Debüt "Psychedelic Underground" (1969) stammt der Begriff 'Krautrock', abgeleitet aus dem Songtitel "Mama Düül und ihre Sauerkrautband spielt auf". Die Münchener Künstlerkommune Amon Düül, die sich bald in zwei Bands spaltete, war die erste Keimzelle für die psychedelische, typische deutsche Musik, die in der ersten Hälfte der 1970er Jahre populär werden sollte.
Amon Düül II debütierten 1968 mit dem bahnbrechenden Album "Phallus Dei", das, zum ersten Mal in der deutschen Popkultur, auch in Großbritannien Beachtung fand. Der legendäre John Peel und der meinungsmachende Melody Maker waren beeindruckt von so viel Eigenständigkeit aus dem musikalischen Entwicklungsland Deutschland. Dabei war "Phallus Dei" alles andere als ein sauber eingespieltes Album, im Gegenteil: Musikalischer Dilettantismus ("Wer üben muss, hat's wohl nötig") und Genialität lagen hier eng beieinander. Überzeugend war wohl eher das radikal künstlerische (und gänzlich unkommerzielle) Konzept: Surrealismus in Rockmusik. Erst auf dem zweiten Album "Yeti" sollte die Band beginnen, wie eine Gruppe von Musikern vorzugehen. Sie behielten ihre kompromisslose Melange bei, die psychedelische Einflüsse mit langen Solo-Läufen, Folk und 'teutonischem' Gesang mixte, doch das frenetische "Yeti" wirkt rückblickend musikalisch deutlich ausgereifter: Plumperquatschender Dilettantismus als Stilmittel hätte wohl auch kein zweites Mal gewirkt.
Die nun erschienene Wiederveröffentlichung dieses musikalischen Meilensteins von Amon Düül II kommt in einer edlen Aufmachung: Ein Digipak mit aufwendiger Drucktechnik, über 30 Minuten essentiellem Bonusmaterial und ausführlichen Liner Notes. Fast der gesamte Back-Katalog der Band mit Klassikern wie "Phallus Dei" (1969) und "Tanz der Lemminge" (1971) wurde und wird in gleicher Aufmachung wiederveröffentlicht. [sal: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Grobschnitt "The International Story"

Krautrock – Anthologie der westfälischen Kulttruppe (1972-1981)
(2CD; Revisited)

Keine Krautrock-Band hatte eine treuere Fangemeinde, keine Truppe war live unterhaltsamer, kreativer und spontaner als die bisweilen geradezu orgiastisch aufspielende Truppe aus Hagen. Und doch blieben Grobschnitt ein zutiefst deutsches Phänomen obwohl sie Englisch sangen, mal abgesehen von einigen Alben ihrer Spätphase. Die Mischung aus ausufernden Rockkompositionen, Nonsens-Texten, psychedelischem Blues, Artrock und (nicht zuletzt) humoristischen Einlagen, unterlegt mit der singenden Gitarre Lupos und dem treibenden Schlagzeug des Masterminds (und Meister-Toningenieurs) Eroc waren hierzulande Kult. Kaum eine Halle im Westen der Republik war vor der Band sicher und kaum ein Publikum, das nicht völlig euphorisiert nach einer nicht selten drei- bis vierstündigen Performance den Saal verließ. Klassiker des Grobschnitt-Repertoires wie "Solar Music" oder "Rockpommel's Land" wurden über Jahre immer weiter entwickelt und neu erfunden. Grobschnitt kannten live einfach keine Grenzen und waren ein perfekt aufeinander abgestimmtes Bandkollektiv mit überdurchschnittlichen musikalischen Fähigkeiten.
Gerade weil "The International Story" vornehmlich exquisites (und exquisit klingendes) Live-Material zusammenfasst, ist die Doppel-CD der perfekte Einstieg, um sich einen ersten Überblick über die musikalische Welt der westfälischen Truppe zu verschaffen. Doch Obacht: Diese Musik ist so gut, dass man unweigerlich weiter in die Materie einsteigen möchte. Glücklicherweise liegen eine Reihe posthum veröffentlichter, vorbildlich gemasterter Live-Releases vor, die die Qualität der Studioalben (und deren CD-Ausgaben) bei weitem übertreffen. [sal: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Guru Guru "Dance Of The Flames"

Krautrock – Jazzrock à la Mahavishnu aus deutschen Landen (1974)
(CD; Revisited)

Im Selbstverständnis von Schlagzeuger und Bandkopf Mani Neumeier waren Guru Guru nie eine Krautrock-Truppe, sondern eine sich stilistisch stetig verändernde Band ("Unser Stil ist ständiger Stilbruch") und doch sind sie als Fixpunkt der Krautrock-Geschichte unverzichtbar. Keine andere Band brachte so viel Improvisation und Jazz in den Krautrock, wie Guru Guru; kaum eine andere Band verdiente sich musikalisch so viele Meriten, wie die Münchener Band, die es in über 35 Jahren Bandhistorie auf über 25 Umbesetzungen und fast ebenso viele Longplayer brachte. Als Guru Guru Ende der 1970er Jahre in den USA spielten, zollten selbst die US-amerikanischen Musikmedien Neumeier und seiner Truppe großen Respekt.
Auf ihrem sechsten Album "Dance Of The Flames" aus dem Jahre 1974 spielen Guru Guru in einer Triobesetzung mit dem Gitarristen Houschäng Nejadepour [sic!], dessen musikalische Nähe zu John McLaughlin und seinem Mahavishnu Orchestra stilprägend für das Album werden sollte. Selbst der Albumtitel scheint wie ein Konglomerat verschiedener Titel der legendären Jazzrock-Speerspitze, doch anders als die zweifelhaften Ergebnisse so vieler anderer Mahavishnu-Epigonen ist "Dance Of The Flames" musikalisch ebenso überzeugend wie die Alben der Vorbilder. Technische Fertigkeit, Kreativität und Musikalität treffen auf diesem Album kongenial zusammen. Es sollte der letzte ganz große musikalische Wurf von Neumeier in Albumform werden: So überzeugend sollte man die Band für lange Zeit nur noch live zu hören bekommen, die folgenden Alben wirkten alle etwas halbgar.
Weitere Wiederveröffentlichungen der ansprechend aufgemachten Reihe sind "Mani und seine Freunde" (1975), die etwas halbgaren "Hey Du" (1979) und "Moshi Moshi" (1997); als Live-Band sind Guru Guru im Spätsommer wieder zu sehen. [sal: @@@@@]


Kraan "Live 88"

Krautrock – Keine grooven mehr als Kraan (1988)
(CD; Revisited)

Schon in ihrem ersten Leben, zwischen 1972-1982, waren Kraan die mit Abstand groovigste Band im Krautrock-Sektor. Großen Anteil hatte daran der Bandkopf und Ausnahme-Bassist Helmut Hattler, der weit über die deutschen Grenzen als einer der besten seiner Zunft galt und immer noch gilt. Als sich das Trio 1987 neuformierte, holte man den Keyboarder und Trompeter Joo Kraus in die Band, was sich, zumindest für die vorliegende Live-Reunion-Scheibe als wahrer Glücksfall erweisen sollte. Mit Kraus in der Doppelfunktion konnte man die Klassiker aus dem 1970er-Repertoire der Band aus Kultalben wie "Wintrup" (1973), "Andy Nogger" (1974) und "Live" (1975) neu beleben, ihnen bis dato unerhörte Facetten abgewinnen. Das Ergebnis ist ein vitales Live-Album, ausgerechnet aus den vielgescholtenen 1980er Jahren: Nie klangen Kraan funkiger, als auf "Live 88", das übrigens 1987 aufgenommen wurde.
In der gleichen Kraan-Wiederveröffentlichungsreihe wurden neben anderen auch die Alben "Wiederhören" (1977), "Flyday" (1978), "Nachtfahrt" (1982) und das ebenfalls sehr empfehlenswerte "Live 2001" (2001) vorbildlich neu editiert. [sal: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Klaus Schulze "Irrlicht"

Krautrock/Elektronik – Klaus Schulzes Debüt (1972)
(CD; Revisited)

Der Elektronik-Pionier Klaus Schulze begann musikalisch völlig unelektronisch, nämlich als Schlagzeuger der Berliner Krautrock-Formation Psy Free, später drummte er bei den legendären Tangerine Dream und gründete seine eigene Band Ash Ra Tempel. Erst 1972 trat er als Solist und als Keyboarder in Erscheinung, um fortan eine völlig unübersichtliche Vielzahl an Solo-, Live- und Remix-Alben zu veröffentlichen.
Sein erstes Solo-Album "Irrlicht" aus dem Jahre 1972, ursprünglich erschienen auf dem legendären Elektronik-Label 'Ohr', trägt den Untertitel "Quadrophonische Symphonie für Orchester und E-Maschine". Dieser Zusatz verrät schon viel über das musikalische Konzept, das dieser bahnbrechenden Scheibe innewohnt. Ähnlich wie der Münchener Komponist und Dirigent Eberhard Schoener in seinen frühen Werken, verquickt Schulze elegische, symphonische Musik (mit Anklängen an Terry Riley und Steve Reich) mit (damals) modernster Studio- und Aufnahmetechnik und elektronisch erzeugter Musik. Zusammen mit seiner ehemaligen Band Tangerine Dream steht Schulze schon bei seinem Solo-Debüt für die sogenannte 'Berliner Schule', also für ausufernd lange, hypnotische Stücke mit stark meditativem Charakter.
Schulze, der nun die Rechte an all seinen Alben verwaltet, plant eine Neuveröffentlichung aller Longplayer im Deluxe-Gewand, klanglich verbessert und zum Teil durch Bonus-Tracks aufgewertet. Ob dann wirklich alle Veröffentlichungen dieser Reihe essentiell sind, bleibt fragwürdig. Klassiker wie das vorliegende Debüt, "Moondawn" (1976), "Mirage" (1977) und "Dig It" (1980) sind allemal zeitlos und unbedingt lohnenswert. [sal: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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