#472 vom 13.02.2006
Rubrik Neu erschienen
Marty Stuart "Badlands - Ballads of the Lakota"
Country/Folk – der den Badlands eine musikalische Seele gibt: Lebenslinien eines Mannes, den Nashville nicht versteht
(CD; Universal/South)
Mit 13 Jahren zog Marty Stuart von zuhause aus und schloss sich der Bluegrass-Legende Lester Flatt (Flatt & Scruggs) an, zunächst als Roadie, dann als Mandolinenspieler. Später stieg er in die Begleitband seines Schwiegervaters Johnny Cash ein. Marty Stuart lebt eine Tradition, die in den 1950ern mit solchen Legenden wie Hank Williams oder all diesen Bluegrass-Gospel-Bands entstand, zeitweise spielte er auch bei Doc und Merle Watson.
"The Pilgrim" (1999) war meine erste Scheibe von Marty Stuart, ein Konzeptalbum, auf dem er die Geschichte eines Hobos erzählt und das er selbst einmal als seine Hommage an Hank Williams bezeichnete. Mit Gastmusikern wie Ralph Stanley, Emmylou Harris und Johnny Cash machte er klassischen Nashville-Country – aber auf seine eigene Art. Manches klingt üppig, und dennoch bestechen Musik und Songs durch eine einmalige Mischung aus Gospel-Spirit mit Folk und Country-Rock-Elementen. Als Vergleich fallen mir die letzten Scheiben von John Prine ein. Eine eigene Liga, schon wie er singt! Seine Stimme klingt sonor und dennoch hat sie auch die Tiefe eines Johnny Cash. Seine Musik versprüht eine Ehrlichkeit, eine innere Ruhe, die schlicht und genial ist. Die Platte wurde jedoch ein Flop!
2003 veröffentlichte er "Country Music" mit seiner neuen Begleitband 'The Fabulous Superlatives': astrein, mit Merle Haggard als Gastmusiker, sehr bodenständig und solide – auch diese Scheibe floppte!
"Badlands" ist ein Gebiet in South Dakota, absolut unfruchtbar, mit bizarren, kahlen Hügeln, die einer Wüstenlandschaft ähneln. Eine Mischung aus Furcht und Faszination. Wieder probiert es Marty Stuart mit einer Konzeptscheibe, diesmal über die amerikanischen Ureinwohner, Lakota, Native Americans. Johnny Cash tat dies in den Sechzigern mit "Bitter Tears" und streute danach sogar das Gerücht, er stamme zu einem gewissen Teil von den Cherokee ab, was ihn in Nashville noch unpopulärer machte.
Die Geschichte der amerikanischen Ureinwohner ist eine unendlich traurige Ballade ("... of Ira Hayes"). Es gibt nur wenige Völker, die derart unterdrückt wurden. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts bekamen die amerikanischen Ureinwohner die 'Amerikanische Staatsbürgerschaft' von Regierungsbeamten, die damals durch die Reservate stapften. Eine alte Indianerin meinte, als sie diesen Wisch hingehalten bekam: "Du willst mir die amerikanische Staatsbürgerschaft geben? Schau mal da rüber in die Berge, da liegen meine Vorfahren. Wie lange sind deine Vorfahren schon hier?" Dann fuhr sie fort: "Weißt du, eure Regierung ist wie ein kleines Kind, das sich immer nur vollsabbert!"
Außerdem wurden die amerikanischen Ureinwohner dazu gezwungen, in den Reservaten die amerikanische Flagge aufzuhängen. Als Zeichen des Protests hängten sie die Flagge verkehrt herum auf (was in den USA verboten ist).
Marty Stuart wohnte für dieses Projekt mehrere Monate bei den Lakota. Als Begleitband hat er wieder seine famosen Fabulous Superlatives mit dabei. Die Musik beginnt mit Getrommel und Indianergesängen, dann schälen sich meist ruhige, flirrende Country-Folk-Songs heraus, die eher getupft als gespielt werden. Höhepunkte sind "Wounded Knee" oder die Killerballade "Walking Through The Prayer", das sehr stark an "Wayfaring Stranger" erinnert! Eigentlich ist diese Scheibe ein einziger Höhepunkt. Obwohl diese 'Soul-Musik' sehr ruhig ist, entfaltet sie sich am besten, wenn sie laut gehört wird.
Als Marty Stuart nach Hause ging, gaben ihm die Lakota den Namen 'O Yate'o Chee Ya'Ka Hopsila' (The man who helps the people).
PS: Die CD ist mit einem mehrfach aufklappbaren Pappcover zudem klasse aufgemacht! [ba:Â @@@@@]
Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:
@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight
Permalink: http://schallplattenmann.de/a114160