#334 vom 17.03.2003
Rubrik Texte - lesen oder hören
Thornton Wilder "Unsere kleine Stadt"
Hörspiel: Hochkarätiger Bühnenknaller
(Hoffmann & Campe)
Im Oktober 1945 ging "Unsere kleine Stadt" als Live-Hörspiel vor kleinem Publikum im Studio 4 von Radio Hamburg über den Sender. Der Krieg war gerade fünf Monate vorbei, meine liebe Stadt Köln lag in Glut und Asche (um nur ein Beispiel herauszugreifen), da sorgte die britische Besatzungsmacht mit besonderem Augenmerk auf's Hörspiel für Unterhaltung. Und das bitte mit lebensbejahender wie qualitativ hochstehender Power. Und genau das bringt Thornton Wilders "Unsere kleine Stadt".
Im Original einige Jahre zuvor für die Bühne konzipiert, führt ein Spielleiter durch das Leben einiger Familien und kleiner Leute einer provinziellen Stadt – und das über das Leben der Bewohner hinaus. Der Spielleiter gibt sogar Toten die Chance, einen Tag in ihrem Leben nochmals zu erleben. Ein packender Stoff, der mit dem Besten und Unterhaltsamsten von Brecht oder mit Eich- oder Frisch-Hörspielen in diesen Nachkriegsjahren längst mitzieht und das US-Nachkriegs-Dramengeschehen entscheidend prägte. Der Sound ist klasse, die Sprecher haben echten Swing in den Dialogen und ich lerne: Die verfremdeten Stimmen der Toten waren für damalige Zeiten ein Ausgangspunkt für innovative Technikexperimente zu Diensten ausgefeilterer Dramaturgie. Ein ergreifendes Stück, das uns mit der Träne im Augenwinkel klarmacht: Das Leben ist schön, auch wenn du im ersten Moment denkst, es wäre bloß banal. Ein Kuss Richtung Hoffmann und Campe, dass sie "Unsere kleine Stadt" wieder veröffentlicht haben. [vw]
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