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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #308 vom 19.08.2002
Rubrik Feature

Patti Smith & Her Band, Colosseum, München, 13.8.2002

It's only Rock'n'Roll!

Und sonst: Blumen für die Ohren, die nicht nur um die Drums drapiert sind, wie die echten Rosen an diesem Abend.
"Take me now baby here as I am/ pull me close, try and understand/ desire is hunger is the fire I breathe/ Love is a banquet on which we feed."
Es wird auch jede Menge Manna from heaven in diesen viel zu schnell vorbeirasenden 2 Stunden gegeben haben. Und es begab sich wie folgt: 21 Uhr, gut 2000 Seelen in der Halle. Brot und Spiele. Der Name Colosseum passt auf's Feinste. Licht aus, Band raus. Los geht's. Denn: We shall live again. Lenny Kaye, Jay Dee Daugherty, Jackson Smith und Tony Shanahan entern die Rock-Arena. Ultrakurzes Pling-Plang, dann kommt der Fieldmarshall. Keith Richards, Iggy Pop, Mick Jagger, Queen of Sheeba – alles in einer Person. Eine schmale Figur mit angegrauten Haaren unter dem existenzialistischen Wollmützchen, dunklem Jackett (möglicherweise noch jenes vom legendären "Horses"-Cover?) über ausgebleichter, mit aufgemalten Filzstift-Blümchen verzierter Schlabber-Jeans, helles filigranes Flatterhemdchen und No-War-T-Shirt mit Peace-Emblem. Politik und Poesie. Ein Missing Link zwischen Kunst und Punk-Rock. Das Alter? Nie ein Thema gewesen. Auch heute abend nicht.
Bereits nach zwei Gitarrenhieben der Band und den ersten Worten ist jedem im Saal klar: Patti Smith ist hier der Boss. Und der legt auch gleich die Marschrichtung fest: "Dead City" und "Free Money" eröffnen fulminant die Hochzeitsveranstaltung von Bleistift und Gitarrenverstärker. Dann Kontaktaufnahme mit dem Publikum. Originalton Patti Smith: "Hello Munich, Munschen, Munchkin? I remember this city. 1975, 1976, 1977, 1978, 1979. Anyway." Kurze Grüße an seine Heiligkeit den Dalai Lama (vermutlich in den hinteren Teil der Halle), dann weiter im Programm.
"When Doves Cry" (das Prince-Cover), "1959", "Frederick", "Because The Night", "25th Floor", "About A Boy" (für Oliver Ray gespielt). Fast keine Hymne fehlt. Im ersten Drittel der Kampf um den Hallensound: Das Colosseum ist leider nicht die Mailänder Scala. Der Tonhexer erweist sich allerdings alsbald als Könner an der Reglern. Der Rock beginnt zu rollen. Das Colosseum turnt. Auch der ein- und ausstöpselnde Gitarrenreicher hat zu tun. Bei mehr als vier Saitentönern auch kein Wunder. Gut, dass das hier nicht sein erster Arbeitstag ist. Trotz Routine und bekannter Posen wird weder von Mrs. Smith noch von 'Her Band' pures Pflichtprogramm abgespult. Nichts muss mehr bewiesen werden und jeder der Bühnenhelden hat Raum für Solistisches. Für Arroganz ist da kein Platz. Ebensowenig für Aufregung wegen einer gerissenen Saite. München leuchtet.
Und wenn die Augen mal nicht geschlossen sind, strahlt der Fieldmarshall ins Publikum (oder salutiert auch mal). Patti Smith genießt das eigene Konzert. Der Saal steht dem in nichts nach. Literarische Exkurse streifen Thomas Mann (bzw. dessen Statue), William Blake, schließlich Hermann Hess(e) – die phonetisch korrekte Aussprache wird durch Publikumsabstimmung geklärt – und seinen "Steppenwolf" sowie "Das Glasperlenspiel". Augenaufschlag, Lesebrille, das Smith'sche Haupt ins Tagebüchlein versenkt – Charisma pur. Patti Smith ist und bleibt authentisch. Eine dunkle Stimme, die auch ohne übertriebene Gestik, Gehickse oder Gestöhne erotisierend wirkt. Als Rock'n'Roll-Sphinx setzt sie selbstbewußt ihre Emotionen frei. Und wie selbstverständlich auch die ihrer Zuhörer. Fight the good fight. Anarchistin und Romantikerin. Die Band legt nach. Ehrenrunde: "Beneath The Southern Cross", "People Have The Power", "Ghost Dance", "Summer Cannibals", "Dancing Barefoot" (inklusive Hochamt für Fußfetischisten), "Rock'n'Roll Nigger", "Redondo Beach" und "Gloria". Zugabe gab's auch, sogar zwei Botschaften: "Drink water!" und "Don't forget to vote!" Abgang. Bis dann. Licht an. Das Leben ist nicht besser geworden, sondern kürzer – aber ein wenig leichter auch. Schöner Abend. [gw]


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