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[ << | Inhalt ]Ausgabe #285 vom 11.03.2002
Rubrik Frisch aus den Archiven

John Sebastian "Faithful Virtue: The Reprise Recordings"

Das Lovin' Spoonful-Blumenkind mit allen 64 Solo-Tracks von Woodstock bis Welcome Back, Kotter...
(3CD; Rhino Handmade)

Ja. Da ist sie nun, die kleine 3er-Box. 6 Monate Lieferzeit, oder so. Die Jungs von Rhino arbeiten mal schnell (wenn Mutter Warner für größere Projekte ruft), mal wie die Schnecken (wenn Musiker der zweiten Reihe "dran" sind). Sie buddeln Katalogleichen aus und rücken sie ins Rampenlicht. Ihre sorgfältigen Restaurierungen alter LPs von deren Original-Bändern sind technisch und diskographisch meist genial.
Wer noch ab und zu die Woodstock-LPs hört, wird an John Sebastian auf LP 1, Track 4 und 5 mit insgesamt 5:47 Minuten erinnert: das nebulöse "I Had A Dream" und "Rainbows All Over Your Blues" mit viel Country-Feeling, so typisch voller selbstgefärbter Batik-Hemden und naiver Regenbogen-Allegorien, wie es die Zeit halt wollte. Im Booklet erzählt Sebastian, wie er damals nach Woodstock kam, aber sein Instrument vergessen hatte und sich eine Kaufhaus-Gitarre von Tim Hardin leihen mußte...
Auf "Faithful Virtue" ist eine Musikerkarriere zwischen den Mahlsteinen der Plattenindustrie und der eigenen Naivität akribisch dokumentiert worden. Sebastian kommentiert in der Rückschau, wie vergangener Ruhm mit einer Band aufgezehrt wurde, wie man kalkulierte und kalkulierbare Flops produzierte und wie einer sich wandte und permanent umfärbte wie ein Chamäleon, um in Lohn und Brot zu bleiben. Wie mit und nach Woodstock ein Image zementiert und zerbröckelt wurde. Die Bandbreite der Mi(e)tmusiker in diesen sechs Jahren ging von Crosby, Stills & Nash über die Esso Trinidad Steel Band bis zu Jeff Porcaro, Dr. John, Kooperationen mit Lowell George und Emmylou Harris auf einem lässigen Vor-Little Feat-igen "Dixie Chicken" oder auch den Pointer Sisters. Die Bandbreite der Musik war (manchmal leider) auch entsprechend.
Während die Live-Platte von 1971 unter Unterproduktion, mangelndem Equipment und clownesken Songideen litt, wirken auf "The Four Of Us" manche Studio-Stücke mit allerhand Streichern fast zugekleistert. "Well Well Well" mit lennon-scher schmerzhafter Intensität kollidiert mit der dahindümpelnden Suite "The Four Of Us", 17 Minuten schlichter Songideen, über sein sehr privates Glück. Hm. Ich bin nun mal kein Freund des verminderten Septakkordes. Schon meine Grabbelkisten-LP wurde auf dieser Seite nur selten aufgelegt.
Aber dann kommt als nächstes die LP "Tarzana Kid", die vielleicht sein stärkstes Werk darstellt. Auf dem Cover sieht Sebastian aus wie ein fröhlicherer kleiner Bruder von Townes van Zandt. Aufwändig produziert, mit einer Liste an Gastmusikern, die beeindruckt: David Lindley, Ry Cooder, Emmylou Harris, Lowell George, Buddy Emmons, Pointer Sisters... Obgleich Sebastian zu dem Album erzählt, daß er trotz seines langen Vertrages mit Warner auf der Abschussliste der Verantwortlichen stand. Man hielt seine Musik für reichlich "out of fashion", und damit waren alle Aktivitäten und Gelder zur Promotion abgesetzt. Ach, wir haben noch eine Stunde Studio-Zeit? Dann lasst uns mal was spielen, das wir alle noch können: Die beiden Traditionals "Wild Wood Flower" mit David Grisman und "Wild About My Lovin'" mit Ry Cooder entstanden so. Vor dem Hype-Höhenflug von Little Feat erwog Lowell George gar, Sebastian mit in die Band auf zu nehmen, und so findet sich hier die Ur-Version von "Dixie Chicken". Und die – mit Verlaub – ist viel viel spannender, als was die Feat später daraus sowohl live als in ihren eigenen Studioaufnahmen gemacht haben. Erdiger, relaxter, ländlicher. Und kommerziell natürlich absolut draußen, in den Zeiten des Disco-Booms...
Erinnert sich noch jemand an diese fürchterliche Serie "Welcome Back, Kotter"? Mit dem jungen Travolta? hilft dem Gedächtnis auf die Sprünge. Sebastian gewann den Auftrag, die Titelmusik zu schreiben. Und Warner Bros. wollten sofort das passende Album dazu auf den Markt bringen. Die Single wurde durch die TV-Serie ein ziemlicher Hit, das Album floppte gnadenlos, auch mit 'Hilfe' der Plattenfirma, die darauf keine weitere Hit-Single sah und die Promotion mal wieder einstellte. Gute Pop-Musik, mit gelegentlichen Reggae-Anleihen, und einigen starken Songideen und Melodien: "I Needed Her Most When I Told Her To Go" oder "A Song A Day In Nashville".
Und zu guter Letzt ist auch der komplette Woodstock-Auftritt John Sebastians zu hören, 5 Songs und 18 Minuten lang.
Sebastian ist ein freundlicher Hippie geblieben, der die angenehmen und die rauen Seiten des Geschäftes alle zu spüren bekam und dem die relative Berühmtheit der 60er nicht zu Kopfe gestiegen ist. "Hey man! Dig it, man!"
[Ein Hinweis: Da die Platte wohl in Europa regulär rauskommen soll, liefert Rhino Handmade seit Oktober 2001 nur noch nach USA und Kanada.] mit einer kompletten Diskographie! [www: @@@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


Permalink: http://schallplattenmann.de/a108495


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