Ausgabe #236 vom 05.03.2001
Rubrik Texte - lesen oder hören
Heinrich Mann "Der Untertan"
H̦rspiel РAtemberaubend, entlarvend, deutsch: Ein Versager bringt es weit im Staat
(5CD; Hörverlag)
Dr. Diederich Heßling aus der deutschen Kleinstadt Netzig ist ein leerer Mensch. Feige drückt er sich vor dem Militär, kennt seine eigenen Gefühle nicht, lotet in sich kein Gewissen. Dieser Heßling wird in seinem Leben keinen einzigen Freund haben und seiner Ehefrau fremd bleiben. Aber Diederich Heßling hat früh Rettung für sich gefunden. Die liegt in seinem Glauben an die hierarchische Ordnung: Schon als Kind liebt Diederich die Unterdrückung durch den Vater, die Knute der Schule. Als Student liebt er es, in der Gruppe einer national gesinnten Korpsvereinigung unterzutauchen. Und weiter betet Heßling die Hülsen hierarchischer Ordnungen an: das Beamtentum und das Militär. Da gerade Kaiser Wilhelm II die Spitze der staatlichen Hierarchie bildet, wütet Heßling als Deutschnationaler gegen Juden – ohne zu wissen weshalb – und gegen Demokraten – auch hier ahnungslos. Wenn er nicht weiter weiß, schreit Heßling: "Sachlich sein heißt Deutscher sein!" Und richtet seinen Hals nach dem Wind.
"Der Untertan", Geniestreich und Epochenroman Heinrich Manns ist hier als Hörspiel auf fünf CDs dramaturgisch atemberaubend umgesetzt. Kurt Tucholsky erkannte in der Figur Heßlings den deutschen Mann "in seiner Sucht zu befehlen und zu gehorchen" und "in seiner Erfolgsanbeterei und seiner namenlosen Zivilfeigheit". Aktuell? [vw]
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