#199 vom 29.05.2000
Rubrik Neu erschienen
Juliette Gréco "Odéon 1999"
Grande Dame des französischen Chansons live
(2CD; Contraire)
Das deutsche Feuilleton und auch der Boulevard haben über Juliette Gréco schon alles gesagt, fürchte/hoffe ich... Dann darf ich hier sicher mal persönlich werden, die Stationen nachskizzieren, die mich zu diesem "Denkmal" führten. An den Texten, die sie sang, habe ich vor drei Jahrzehnten die französische Sprache gelernt: "Ne me quitte pas", das Lied derer, die grade doch verlassen werden; "Les feuilles mortes", das Gedicht von Jacques Prévert, zu dem alle Jazzmusiker die Melodie kennen. Oktober 1974, Nachtkonzert im Nationaltheater Mannheim, wir sind fasziniert und hingerissen von ihrer kargen Bühnenpräsenz. 1991, im Januar, gibt sie sechs Konzerte in Folge im Olympia in Paris, nach über acht Jahren Pause. Als sie bei einem Brel-Lied den Text vor Rührung vergisst, trägt die frenetische Unterstützung des Publikums sie über den faux-pas, unvergesslich! Ihre aktuellen Konzerte in Deutschland halten sich exakt an das Muster, das dieser Mitschnitt aus dem Mai 1999 liefert, so auch in Bonn am 2. Mai 2000: wenige Überraschungen. Aber wer wollte es der inzwischen 73jährigen Sängerin verdenken. Die Begleiter, am Piano ihr Ehemann Gérard Jouannest, spielen nach Noten das festgelegte Arrangement: nur die Gréco gestattet sich die feine Improvisation, das Spiel mit Emotionen des Publikums mittels der Lieder, das gelassene Interpretieren der Texte von Roda-Gil, Jean-Claude Carrière, die expressive Rezitation der Klassiker "Accordéon", "Paris-Canaille", "Bruxelles" aus ihrem langjährigen bewährten Repertoire. Sie muss niemanden mehr überraschen oder überzeugen: wir hängen an ihren Lippen, folgen den Bewegungen der weißen Hände über das samtschwarze Kleid!
Absolute Höhepunkte, auf CD wie im Konzert: "J' arrive" von Brel, das Hoffnungslied für alle Kinder: "Chante, mon fils, chante", und "Ne me quitte pas": nicht mehr tränenreich flehend, wie die junge Gréco, sondern hart, bestimmt und fordernd, mit allem Recht der Welt in der rauchigen Stimme; und als letzte Zugabe, nur zum Piano von Jouannest, ein Lied aus ihrem Vaterland, das sowohl ein Liebeslied wie auch ein revolutionäres Lied ist: "Le temps des cérises". Welch ein Abend! (Nächster Termin: 30.5.2000 Wuppertal)
[25.8.2005: Diese Doppel-CD hatten wir bislang unter dem Titel "Olympia 1999" aufgeführt, können aber nun keine Veröffentlichung dieses Namens mehr finden. Es ist unklar, ob der Plattentitel irgendwann geändert wurde oder eine Verwechslung bei der Erstellung der Rezension vorlag, auf jeden Fall enthält "Odéon" alle namentlich erwähnten Songs.] [www: @@@@@]
Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:
@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight
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