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[ << | Inhalt ]Ausgabe #186 vom 20.02.2000
Rubrik Feature

Interview mit Al Jarreau: »You can call me Al!«

Mit 60 Jahren stürmt Al Jarreau noch einmal Richtung Charts

Der Kölner Musikwissenschaftler und Journalist Volker Wilde traf sich exklusiv für schallplattenmann.de mit Al Jarreau, um über dessen neues Album "Tomorrow Today", Vanessa Williams und die Zukunft zu sprechen.

Volker Wilde: Al, dein letztes Album "Tenderness" erschien 1994. Weshalb dauerte es fast 6 Jahre bis zur Produktion von "Tomorrow Today"?

Al Jarreau: Ich wechselte die Plattenfirma. Dieser Prozess allein dauerte zwei Jahre. Mein Freund und oftmaliger Produzent Tommy LiPuma arbeitet seit einiger Zeit für Universal/Verve. Das war ein Grund für ihn, mich anzusprechen. Und nun ist es ein Gefühl, wow, wie zu meinen Anfangszeiten.

Wie kommt es, dass Tommy nicht wieder auf dem Produzentenstuhl saß?

Al Jarreau: Oh, Tommy war genau der Richtige für seine Zeit; Paul Brown, der Typ ist gerade über 30, der ist richtig für jetzt! Wir haben prima zusammen gearbeitet, was auch daran liegt, dass die heutigen Hiphop-Beats mir tief in den Knochen stecken! Das ist Teil meiner Seele. Genau das findest du auch auf "Tomorrow Today" wieder. Es war beispielsweise Pauls Idee, den Song "God's Gift To The World" als Duett aufzunehmen und Vanessa Williams den zweiten Part singen zu lassen. Eine unglaubliche Idee, das wäre mir nie eingefallen... und ich schleppe den Song schon seit Jahren in meinem Kopf mit mir herum.

Ich habe gehört, dass du keine Noten lesen kannst.

Al Jarreau: Stimmt.

Wie schreibst du dann deine Songs?

Al Jarreau: Wenn mir eine Melodie in den Sinn kommt, die mir gefällt, mache ich den Kassettenrekorder an! Nimm den Titelsong "Tomorrow Today". Vor vier Jahren fiel mir dies ein (singt): »Tomorrow Toda-a-ay.« Und als Antwort darauf: »Is anybody thinkin' 'bout?« Das hörte ich mir einige Zeit lang an, dachte dann, das solle ein Salsa-Song werden. Und später dann kam ich auf die Line (singt und klatscht): »We need a think tank, I'm thinkin', we need a think tank, I'm thinkin'!« Worum geht es in dem Song? Darum, dass wir Verantwortung haben für die Armen, die vielen Leute ohne Wohnung, die Kranken, die psychisch Kranken, die sich durch den Tag schleppen.

Du hast Psychologie studiert und im San Francisco der 60er Jahre diesen Beruf auch ausgeübt. Hast du je in deinem Leben deinen ersten Brotjob vermisst?

Al Jarreau: Nicht einen Tag. Obwohl ich diesen Erfahrungen in den 60ern vieles verdanke. Ich habe Epileptikern, Blinden und Leuten mit anderen körperlichen oder geistigen Behinderungen geholfen, ins Arbeitsleben zurückzufinden. Die vielfach äußerst heiklen Erfahrungen von damals helfen mir noch heute, Songs wie "She's Leaving Home" zu interpretieren. Dieser Job erweiterte mein Einfühlungsvermögen, meine Sensitivität.

War "Tenderness" eine eher jazz-orientierte Produktion, so ist "Tomorrow Today" wieder mehr dem Pop zugewandt. Was kommt als nächstes?

Al Jarreau: (lacht) Zwei Dinge ganz bestimmt: Ich werde ein Big-Band-Album machen. Mein Gott, so viele Leute haben mich darum gebeten. Es kommt! Und dann möchte ich mit einem klassischen Orchester klassische Stücke aufnehmen. Ich habe viele Vorlieben: Ob das Jazz ist, ob R'n'B oder Funk oder eben Klassik – ich liebe all das!

Die erfolgreichste Jazzsängerin der Welt, Cassandra Wilson, gestand mir neulich, sie habe Jahre gezögert, bis sie einen Pop-Song, nämlich den Monkeys-Song "Last Train To Clarksville", aufnahm. Aus Angst vor den Jazzkritikern, sagte sie.

Al Jarreau: Sie hätte zu mir kommen sollen! (klatscht in die Hände) Ich hätte ihr gesagt: »Du musst das tun, was du tun willst.« Also: »Du musst das singen, was du singen willst!« Nichts anderes.

Vielen Dank für das Gespräch. [vw]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


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