#24 vom 25.08.1996
Rubrik Feature
PopKomm-Splitter
Auch die diesjährige Pop-Messe in Köln stand vorwiegend unter dem Motto Sehen und Gesehenwerden. Tiefergehende Gespräche und Diskussionen wären in dem wimmeligen und ohrenbetäubenden Rahmen in der Messehalle auch nur bedingt möglich gewesen. Der Krieg der Stände um die Aufmerksamkeit der 14.100 Messebesucher ließ die Dezibelzahlen bis zum Rande des Erträglichen ansteigen. Leidtragende waren u.a. die Jungs von der amerikanischen Gitarrenband Go To Blazes, die während ihres kurzen Unplugged-Sets bei "Blue-Rose" gegen eine, zu lautstarkem Playblack posierende, Heavy-Metal-Band anmusizieren mußten. Auch wenn sich der Unmut der Go-To-Blazes-Musiker abends in einem fulminanten und druckvollen elektrischen Gig im "Underground" Luft machte: Allen Beteiligten wäre geholfen, wenn hier in den nächsten Jahren seitens der Organisatoren regelnd eingegriffen würde.
Trend, wohin gehst du?
Über 350 Konzerte und Showcases fanden an den vier Tagen über die Stadt verteilt statt. An erster Stelle in der Publikumsgunst rangierten D.J.'s und Dancefloorprojekte in den Bereichen Dub, Trip-Hop, Jungle, Drum & Bass und House. Proppenvoll war es dementsprechend bei dem von Spex & MTV präsentierten "Friendly Electric"-Event mit Whirlpool, Nicolette, Rockers HiFi, Kruder & Dorfmeister und Nightmares On Wax, auch wenn gesalzene Getränkepreise (0,2 Kölsch für DM 4,-) und eine eigenwillige Abrechnungsregelung per Verzehrzettel (zahlbar bei Verlassen der Lokalität, bei Verlust des Papieres wurden DM 90,- veranschlagt) regelrecht nach Abzocke stanken. Mit konventionellen Instrumenten musizierende Künstler und Bands fristeten dagegen eher ein Nischendasein in den kleineren Clubs.
Auch ein von VH-1 und "Soulciety" initiiertes "Tribute Concert To Bobby Byrd" (der Ziehvater von James Brown laboriert an einem Krebsleiden), das während des Soul-Jazz-Booms vor zwei/drei Jahren noch eine echte Zugnummer dargestellt hätte, stieß nur noch auf mittelprächtiges Zuhörer-Interesse. Trotzdem machten die Live-Auftritte der Lovekrauts und von Eddie Bo gewaltigen Appetit auf deren jeweils neue Alben. Absolutes Highlight war der stimmgewaltige Set der Bobby-Byrd-Tochter Carleen Anderson mit Guest-Appearance von Pee Wee Ellis und Fred Wesley (Saxophon und Posaune der J.B.s, George Clintons Parliament/Funkadelic u.a.). Peinlich hingegen die durch den Abend führende Animation/Moderation einer dunkelhäutigen Beauty von VH-1 namens Love, die im Selbstdarstellungsrausch vor den Kameras kein noch so abgegriffenes Klischee ausließ und obendrein noch die Biografien von Ellis und Wesley verwechselte; aber in der schönen Glitzerwelt des Fernsehens reichen ein Schnitt und ein laszives Hüftwackeln, um die Dinge wieder ins rechte Lot zu rücken!
Quo Vadis Tonträgerhandel?
Diese gute Frage konnte ein Forum aus Repräsentanten des Einzelhandels (Fachgeschäft, Kette), einer Major-Company, eines Independent-Vertriebs und eines Unternehmensberaters leider auch nicht befriedigend beantworten: Die Charts-Ware wird in irgendwelchen Märkten verramscht, wichtige Aufbauarbeit und Sortimentpflege leisten die kleinen Einzelhändler, aber die sind, sobald ein Thema läuft, sofort wieder dem Preisdruck irgendwelcher Discounter ausgesetzt, die CDs lediglich als Frequenzbringer benutzen. Die personal- und somit kostenintensiven Serviceleistungen der wenigen noch verbliebenen Fachgeschäfte (Beratung, Tips, Bestellungen und Anhören nach Wahl) werden vom zu stark preisorientierten Durchschnitts-Endverbraucher nicht ausreichend honoriert. Kleinere Vertriebe haben ob des Fachhändlersterbens zunehmend Probleme ihr hochkarätiges, aber meist etwas exotischeres Programm, flächendeckend in den Läden zu plazieren und die großen Plattenfirmen zeigen sich, was zielgruppengerechte Vermarktung und Etablierung von neuen Acts angeht, erschreckend hilflos. Markant für die Diskussion war das Bekenntnis des BMG-Vertriebsleiters, eine Frage nicht beantworten zu können, weil er eigentlich aus der Sportartikelbranche käme und erst seit drei Monaten bei der Firma wäre (naja, wenigstens ehrlich!). Fazit: Wenn euch Musik jenseits der Charts am Herzen liegt, kauft bei engagierten Fachhändlern, die ein breites und vielfältiges Repertoire führen; diese vom Aussterben bedrohte Species ist wichtig, solange ihr den von euch gewünschten Sound noch nicht on-line ziehen könnt!
Ãœbrigens:
Die Schallplatte/Single aus Schokolade gibt es wirklich! Sie ist auf jedem herhömmlichen Plattenspieler abspielbar, sollte aber spätestens nach dem fünften Hörchdurchgang aufgegessen werden. In der Tat der ideale Tonträger für schnellebige Hits! [bs]
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